Erfahrungen sind etwas sehr Persönliches – und können auch nur auf persönlichem Wege weitergegeben werden. Ein Mentorat beschreibt genau das: Transfer von Erfahrungswissen in persönlichen Beziehungen – meistens als Personalentwicklungsinstrument eingesetzt. Das Mentorinnen-Programm der Kontaktstelle Frau und Beruf – Südlicher Oberrhein leistet dies: Frauen mit Berufserfahrung begleiten Frauen mit Migrationshintergrund, die beruflich ein- oder aufsteigen wollen. Ursula Lemmertz betreut das Mentorinnen-Programm, das bereits im sechsten Jahr läuft. Wir sprachen mit ihr über Hindernisse für migrantische Frauen, die in Deutschland beruflich Fuß fassen wollen und warum es für die Wirtschaft ein Luxus ist, weibliche Kompetenzen brachliegen zu lassen.

Frau Lemmertz, welches ist das größte Hindernis für Frauen mit einer Migrationsgeschichte, wenn sie in Deutschland wieder zurück ins Berufsleben wollen?
Ursula Lemmertz: Da gibt es individuell sehr große Unterschiede: Sie müssen in „Sprache“ und „Kultur“ ankommen. Sehr oft steht das Erlernen der deutschen Sprache im Vordergrund, bei anderen geht es um die Anerkennung der beruflichen Abschlüsse oder darum, dass der erlernte Beruf in Deutschland nicht ausgeführt werden kann und eine Neuorientierung ansteht. Viele der Frauen haben an ihren früheren Arbeitsplätzen Englisch gesprochen, was bei uns in Deutschland ja eher unüblich ist. Aber auch unser größtenteils noch sehr traditionell funktionierender Arbeitsmarkt macht es den Frauen schwer. Dazu gehört zum Beispiel ein „lückenloser Lebenslauf“. Diesen vorzulegen, ist bei uns sehr wichtig, aber viele der Frauen können ihre oft langen Berufsbiografien nicht durch Arbeitszeugnisse nachweisen. Dazu kommt, dass die formale Anerkennung von Abschlüssen manchmal ausgesprochen schwierig und langwierig ist. Manche Frauen sind gezwungen, hier nochmal eine Ausbildung zu machen, um in einem Beruf arbeiten zu können, den sie in ihrem Land schon jahrelang sehr erfolgreich ausgeübt haben. Dafür braucht es schon sehr viel Motivation.
Das klingt nach Herausforderungen unterschiedlichster Natur – auch für die Mentorinnen…
Das ist richtig. Die Betreuung ist ausgesprochen intensiv und engmaschig. Sie dauert in der Regel neun Monate, und wir sind dankbar für jede Mentorin, die sich für dieses Ehrenamt zur Verfügung stellt. In diesem Jahr wollen wir acht Tandems betreuen, in ganz Baden-Württemberg sind es etwa 80 Tandems.

Wie wichtig ist es, dass Mentorin und Mentee matchen?
Es funktioniert nur, wenn zwischen Mentee und Mentorin „die Chemie stimmt“ und es ist optimal, wenn die Berufsbilder passen. Wir hatten zum Beispiel eine Automobilingenieurin aus Rumänien im Programm. Für sie fanden wir eine Mentorin, die ebenfalls Ingenieurin ist, und die half, ein Praktikum und eine längere Fortbildung in die Wege zu leiten. Es nehmen aber auch Frauen teil, die ganz ohne Berufsausbildung sind. Dabei schauen wir sogar auf deren Hobbies – denn vielleicht lässt sich ja an dieser Stelle einhaken und ein neuer Weg tut sich auf. Es braucht aber immer ein hohes Maß an Motivation, damit eine Strategie der kleinen Schritte und die persönliche Unterstützung zum Ziel führen.
Was wünschen Sie sich von Arbeitgeberseite für das Mentorinnenprogramm?
Flexibilität und Offenheit von Arbeitgeberseite sind hilfreich. Manchen Frauen wäre schon gedient, wenn sie wenigstens zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen würden oder ein Praktikum absolvieren könnten. Oft fehlt schlichtweg ein Zugang zum Arbeitsmarkt. Es ist wichtig, dass die Frauen einen Fuß in die Tür bekommen. Aber auch von politischer Seite könnte etwas getan werden. So gibt es zum Beispiel für Lehrkräfte ausgesprochen restriktive Vorgaben. Selbst wenn eine Frau jahrelang in ihrem Herkunftsland als Lehrerin gearbeitet hat, reicht es in Deutschland nicht aus, wenn sie nur ein Unterrichtsfach unterrichten kann. Sie muss hier bei uns zwei Fächer studiert haben. Das muss man sich aber leisten können, dies nachzuholen. In Mangelberufen wie im Pflegebereich ist der Arbeitsmarkt bereits offener und es werden Fachkräfte in ihren Heimatländern rekrutiert. Wir haben in der Kontaktstelle Frau und Beruf in der Beratung Frauen mit tollen Lebensläufen. Es wäre für alle zielführend, wir könnten sie als Fachkräfte an die richtige Stelle bringen.
Welche Bedeutung haben Frauen im Beruf, wenn es um die Bewältigung des Fachkräftemangels geht?
Eine große. Dabei hatten wir in Baden-Württemberg 2019 mit 75 Prozent eine hohe Frauenerwerbsquote in der Alterspanne von 20 bis unter 65 Jahren. Sie lag nur um acht Prozent niedriger als die der Männer. Allerdings arbeitet die Hälfte der Frauen in Teilzeit, während es bei den Männern lediglich etwa jeder zehnte war, so das Statistische Landesamt. Um das Potenzial von Frauen zu nutzen, braucht es die Chance zum Einstieg, Offenheit für Quereinstiege und eine familienbewusste Unternehmenspolitik.
Interview: dg
Bild: Adobe Stock/fizkes
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Die Kontaktstelle Frau und Beruf Freiburg – Südlicher Oberrhein berät und unterstützt seit mehr als 25 Jahren weibliche Fachkräfte und bringt sie mit der regionalen Wirtschaft zusammen. Die Stadt Freiburg ist Trägerin der Kontaktstelle. Sie wird zudem von den Landkreisen Emmendingen und Breisgau-Hochschwarzwald, der IHK Südlicher Oberrhein, der FWTM und vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg im Rahmen des Landesprogramms Kontaktstellen Frau und Beruf gefördert wird. Zu den regelmäßigen durchgeführten Programmen gehört das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen, das 2021 erneut für drei Jahre durch den wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Mentoring zertifiziert wurde. Gesucht werden sowohl Mentorinnen, die über Berufserfahrung im deutschen Arbeitsmarkt verfügen sollten, als auch Mentees mit Migrationshintergrund.
Weitere Infos zum Programm und den Teilnahmevoraussetzungen gibt es hier: frau_und_beruf@stadt.freiburg.de /www.frauundberuf.freiburg.de/pb/1194293.html