Orientieren sie sich um, oder bleiben sie Händlern und Gastronomen für den Neustart erhalten? Jutta Driesch, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg, spricht im Interview über die Beschäftigten dieser Branchen, die sich zurzeit zum großen Teil in Kurzarbeit befinden.
Dritte Welle, Lockdown, Perspektivlosigkeit: Gerade die Betriebe in den Branchen Gastronomie, Handel und Touristik leiden. Nicht weniger besorgt sind die Beschäftigten, die seit Monaten in Kurzarbeit sind. Vermehrt hört man, dass sich viele Fachkräfte dieser Branchen nun beruflich umorientieren und den Betrieben fehlen, wenn es wieder losgeht. Können Sie den Eindruck bestätigen?
Es gibt Berufs- und Branchenwechsel, allerdings zeichnet sich aus unserer Sicht noch kein Trend ab. In Gesprächen mit Beschäftigten aus der Gastrobranche bekommen wir häufig bestätigt, dass diese Menschen weiterhin in ihrem Bereich arbeiten wollen. Unsere Erfahrungen nach dem Lockdown im vergangenen Frühjahr bestätigen dies. Sobald Lockerungen in Kraft treten, nimmt die Beschäftigung in der Gastronomie wieder deutlich zu. Dies gilt für die anderen Branchen fast gleichermaßen.
Viele Beschäftigte in der Gastronomie, dem Handel und dem Tourismus sind gerade in Kurzarbeit und sorgen sich um ihre Zukunft. Was können die Unternehmen tun, um ihre Fachkräfte zu halten?
Die Kurzarbeit ist ein wichtiges und bewährtes Instrument. Sie hat in vielen Fällen Arbeitslosigkeit vermieden. Betroffene Unternehmen sollen weiterhin Kurzarbeit nutzen, um ihre Mitarbeiter im Betrieb zu halten. Verknüpft mit guten Qualifizierungsmaßnahmen ergeben sich sogar noch weitere Möglichkeiten für die Zukunft. Interessierte Arbeitgeber können gerne auf uns zukommen, wir haben viele Ideen.
Der Fachkräftemangel in den Branchen Gastronomie, Handel und Touristik war schon vor der Coronakrise dramatisch. Hat die Coronakrise den Trend verschärft?
Hier hat sich nichts verändert, weder in die eine noch in die andere Richtung. Wir sehen eine Verschärfung des Fachkräftebedarfs vor allem dann kommen, wenn nicht weiter ausgebildet wird.
Im Lockdown ruht bei vielen Unternehmen das Ausbildungsengagement. Wie schätzen Sie die Situation ein, und welche langfristigen Folgen erwarten Sie?
Die besten Fachkräfte bildet man selbst im eigenen Unternehmen aus. Eine duale Berufsausbildung oder ein duales Studium sind dafür die beste Basis. Daher appelliere ich an alle Betriebe, weiterhin Lehrstellen anzubieten. Die neu geschaffene Ausbildungsprämie, die nun nochmals aufgestockt wurde, bietet einen zusätzlichen Anreiz.
Welche Entwicklung erwarten Sie, wenn die Insolvenzantragspflicht wieder in Kraft tritt – für die Unternehmen dieser Branchen und die Mitarbeiter?
Es ist noch völlig unklar, in welchem Maße Insolvenzen erfolgen werden. Hierüber zu spekulieren, halte ich für wenig zielführend. Auf der anderen Seite wäre es blauäugig, sich nicht auf diese Entwicklung vorzubereiten. Deshalb nutzen wir schon jetzt freie Kapazitäten, um unsere Mitarbeiter mit den geltenden Insolvenzgeldregeln fit zu machen. Wir haben den Anspruch, dass im Insolvenzfall alle Betroffenen so schnell wie möglich ihr Geld bekommen sollen, so wie es uns auch beim Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld gelungen ist.
Interview: hw
Bilder: David Tadevosian photography – Adobe Stock/Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg
„Das größte Problem ist die Planungsunsicherheit“
Wenn sich jemand mit der Gastronomie in der Region rund um Bad Säckingen auskennt, dann ist das Alexandra Mußler. Sie ist die Besitzerin des Storchen in Rheinfelden, ein Hotel mit 25 Zimmern. Seit 2000 führt sie das Haus, das seit 50 Jahren im Familienbesitz ist. Neben ihrem Beruf engagiert sie sich für ihre Branche als Kreisvorsitzende des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Bad Säckingen. Sie ist außerdem Mitglied in der Vollversammlung der IHK Hochrhein-Bodensee und dort auch im Tourismusausschuss aktiv. Seit Monaten spricht sie mit Hoteliers und Gastronomen über deren Sorgen im Lockdown und fehlende Perspektiven. Und über unglückliche Mitarbeiter, die ebenso lang schon in Kurzarbeit sind. „Ich nehme zunehmend wahr, dass die Betriebe ihre Fachkräfte verlieren. Viele arbeiten mittlerweile für große Lebensmittelhändler, andere entscheiden sich für eine Umschulung. Das kann ich ihnen auch nicht übelnehmen. Die Löhne in unserer Branche sind nicht sonderlich hoch, dementsprechend niedrig ist auch die Höhe des Kurzarbeitergeldes.“ Mußler hat sich schon mehrmals an Politiker gewandt. Sie sagt, es wäre einfacher, die Fachkräfte in dieser schwierigen Zeit zu halten, wenn das Kurzarbeitergeld dem Gehalt entsprechen würde. Allerdings stieß sie nicht auf offene Ohren.
„Das Kurzarbeitergeld war und ist sicherlich sehr hilfreich“, sagt Ines Kleiner, Geschäftsführerin der Dehoga-Geschäftsstelle in Konstanz. Somit könne die Mehrzahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gehalten werden. Kleiner stellt aber auch eine Abwanderung des Personals fest. „Das ist tatsächlich ein Problem und es ist ungewiss, ob sie in die Gastronomie zurückkehren. Oft ist das Team in einem Gastronomiebetrieb gut eingespielt, scheiden Mitarbeiter aus, wirkt das wie ein herausgebrochenes Zahnrädchen.“
Das größte Problem ist zurzeit die Planungsunsicherheit. „Viele Betriebe, die auf Saisonarbeitskräfte angewiesen sind, müssen jetzt Personal einstellen, sonst stehen sie im Sommer alleine vor ihren Gästen“, sagt Alexandra Mußler. Doch keiner weiß, weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer, wann die Arbeit tatsächlich losgeht.“ Das kann Ines Kleiner nur bestätigen. „Die Saison wäre eigentlich im April gestartet.“
Die Ungewissheit schlägt sich laut Alexandra Mußler auch auf die Ausbildung nieder. „Unsere Branche hat ja schon lange Nachwuchssorgen, aber mit Corona wird die Situation nicht besser. Zwar werden Bewerbungsgespräche geführt, aber die jungen Leute sind noch zögerlicher geworden, ob eine Ausbildung in der Gastronomie für sie das Richtige ist.“ Eine Entspannung der Lage sieht Mußler erst dann, wenn flächendeckend geimpft wurde und die Menschen keine Angst mehr haben, ein Restaurant zu besuchen. „Dann können wir auch jungen Menschen wieder eine Perspektive geben.“
Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Laut Ines Kleiner erwägt etwa ein Viertel der Gastronomiebetriebe ihr Geschäft aufzugeben. „Viele Ausbildungsverträge wurden aufgrund des langen Lockdowns gekündigt. Diese Fachkräfte fehlen natürlich in der Zukunft.“
Optimistisch möchte Alexandra Mußler für ihre Branche dennoch bleiben. Die Rheinfelderin liebt ihren Beruf und ist überzeugt, dass es vielen genauso geht. „Es werden ja auch neue Betriebe gegründet und weil die Menschen einfach gerne reisen und in einem Restaurant essen, hat unsere Branchen gute Zukunftsaussichten. Es wäre noch schöner, wenn die Gäste bereit wären, für den Service etwas mehr zu zahlen. Dann könnten wir auch unsere Fachkräfte besser entlohnen und junge Menschen würden sich dann vielleicht eher für eine Ausbildung in der Gastronomie entscheiden.“
hw