Kinder, pflegebedürftige Angehörige, körperliche Einschränkungen – es gibt viele Gründe, die eine Ausbildung erschweren können. Die Lösung: eine Teilzeitausbildung. Diese Form der Ausbildung ist fest im Berufsbildungsgesetz verankert; am Ende steht ein vollwertiger Abschluss. Doch sind die Angebote auf Seiten der Ausbildungsbetriebe, aber auch die Nachfragen auf Seiten potenzieller Auszubildender verschwindend gering. Wo es hakt, erzählt Sandra Müller-Reinke im Interview. Für die Projektreferentin Netzwerk Teilzeitausbildung Baden-Württemberg ist es eine Herzensangelegenheit, das Thema bekannter zu machen und damit auch die Zahlen zu erhöhen.
Frau Müller-Reinke, das Modell der Teilzeitausbildung wird nur sehr wenig genutzt. Woran liegt das?
Sandra Müller-Reinke: Ja, leider sind die Zahlen so gering. Das Modell ist leider immer noch sehr unbekannt. Hinzu kommen viele Vorbehalte. Unter anderem glauben sowohl Arbeitnehmer als auch potenzielle Auszubildende, dass die Teilzeitausbildung sehr kompliziert ist.
… und das ist sie nicht?
Nein. Letztendlich ist es nur eine Frage von frühzeitigen Absprachen und Organisation zwischen Ausbildungsbetrieb und Azubi.
Aber so ganz unkompliziert ist es sicher nicht, wenn mein Azubi nur die Hälfte der Zeit in meinem Betrieb ist.
In Ihrer Frage findet sich schon ein ganz großes Missverständnis: Teilzeitausbildung heißt nicht unbedingt Reduzierung um die Hälfte. Vielleicht sollte das Modell auch besser „stundenreduzierte Ausbildung“ genannt werden. Dann würde es vermutlich deutlicher.
Also ist ein Teilzeit-Azubi nicht unbedingt ein Halbtags-Azubi?
Nein, es geht tatsächlich nur um eine Stundenreduzierung, beispielsweise 30 Stunden statt der 38-Stunden-Woche. Der oder die Auszubildende ist dann drei Tage pro Woche mit sechs Stunden täglich im Betrieb plus zweimal wöchentlich Schule in Vollzeit. Die Kürzung der täglichen oder der wöchentlichen Ausbildungszeit darf nicht mehr als 50 Prozent betragen.
Das Netzwerk
Das Netzwerk Teilzeitausbildung Baden-Württemberg wurde von der Landesarbeitsgemeinschaft Mädchenpolitik Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit Akteuren im Arbeitsfeld der Teilzeitausbildung 2011 gegründet. Es ist im Rahmen des Modellversuchs „Qualifizierungsprojekt zur Entwicklung regionaler Akquise- und Betriebsbegleitungsstrategien für spezielle Ausbildungsplatzbedürfnisse am Beispiel der Teilzeitausbildung für junge Mütter und Väter“ entstanden.
Dann ist die Teilzeitausbildung aber nicht wie gewöhnlich nach drei Jahren abgeschlossen, oder?
Sie kann auf bis zu viereinhalb Jahre verlängert werden. Das muss aber nicht sein. Verkürzungsgründe sind beispielsweise Alter, Schulabschluss oder aber auch Erziehungszeiten. Dies wird individuell von den Kammern geprüft.
Und wie funktioniert das mit der Berufsschule? Sowohl die Ausweitung auf viereinhalb Jahre als auch eine Stundenreduzierung?
Die Berufsschule müssen Teilzeit-Azubis besuchen wie angeboten. Da gibt es keine Möglichkeit der Reduzierung. Und auch bei einer Ausdehnung der Ausbildung auf viereinhalb Jahre müssen die Azubis den schulischen Teil individuell verteilen.
… jetzt klingt es doch recht kompliziert.
Es braucht sicher eine gewisse Vorarbeit und auch Begleitung während der Ausbildung. Dann kann es gut funktionieren. Da können die Einrichtungen vor Ort helfen, also die IHKs, die Handwerkskammern sowie Bildungsträger, die in TZA beraten oder begleiten, auch Beauftragte für Chancengleichheit der Agentur für Arbeit oder die Jobcenter.
Eine gewisse Flexibilität auf Seiten des Ausbildungsbetriebs ist schon gefragt, oder?
Ganz sicher. Aber die sollte aktuell, da viele Betriebe ihre Ausbildungsstellen nicht besetzen können, sowieso gegeben sein. Wenn eine alleinerziehende Mutter beispielsweise aufgrund der Betreuungszeiten erst um 8 Uhr die Arbeit aufnehmen kann statt wie alle anderen um 7 Uhr, sollte der Arbeitgeber diese Möglichkeit bieten. Oder ein abgesprochenes Verlassen der Arbeit um 15 Uhr sollte nicht immer wieder mit lustig gemeinten Sprüchen wie „Ach, Du gehst schon?“ kommentiert werden.
Was bekommt der Ausbildungsbetrieb denn für die Flexibilität?
Teilzeitauszubildende sind häufig Erziehende. Die sind deutlich reifer und oft auch, bedingt durch ihr Alter, fokussierter. Meist sind die Schulnoten auch besser, da sie diese Chance sehr ernst nehmen. Sie wollen eben nicht einfach weiterjobben und auf Dauer nur ein Hilfsarbeitergehalt bekommen. Dazu sind sie sehr standorttreu. Und auch die erfolgreiche Abschlussquote liegt etwas höher als bei den Vollzeit-Azubis. Jedoch ist es wie bei den Vollzeitausbildungen: Abbrüche gibt es natürlich auch.
Wer macht außerdem eine Teilzeitausbildung?
Neben den Erziehenden sind es Menschen, die Angehörige, beispielsweise die Eltern, pflegen. Auch Personen mit psychischen Erkrankungen, gesundheitlichen Einschränkungen oder einer Behinderung. Einige Leistungssportler sind ebenfalls unter den Teilzeit-Azubis. Für Geflüchtete stellt die Teilzeitausbildung auch eine Möglichkeit dar. Letztendlich kann jeder oder jede eine Teilzeitausbildung machen, so das Berufsbildungsgesetz (BBiG) seit 2020.
Interview: naz
Bild: Adobe Stock – Brad Pict
Die Frauenwirtschaftstage 2022
„Frauen. Gründen. Zukunft“
Die Frauenwirtschaftstage 2022 finden vom 19. bis zum 22. Oktober statt (www.frauenwirtschaftstage.de) und stehen unter dem Titel „Frauen.Gründen.Zukunft“. Die Veranstaltungen, an der auch die IHKs der Region beteiligt sind, bieten Infos und Hintergründe zu folgenden Themen:
„Soziale Absicherung für Gründer:innen“ am 19. Oktober, 15 Uhr, online. Anmeldung: www.startercenter-suedwest.de Gruender Tea Time
„Smart, digital, flexibel – Familien und Beruf unter einen Hut bekommen“ am 19. Oktober, 18 Uhr, Hochschule Offenburg. Anmeldung: jacqueline.obermann@hs-offenburg.de
„Halbe Zeit, volles Wissen! Ausbildung und Studium in Teilzeit“ am 20. Oktober, 18 Uhr, Hochschule Offenburg. Anmeldung bis zum 18.Oktober: anmeldung@vhs-offenburg.de
„Wie finde ich einen (Wieder-)Einstieg in Beruf oder Ausbildung“ am 21. Oktober, 10 Uhr, Volkshochschule Offenburg. Anmeldung: www.fub-ortenau.de