Nachhaltigkeit ist neben Industrie 4.0 ein Megatrend in der Wirtschaft. Durch den Druck von Politik und Gesellschaft können es sich Unternehmen nicht mehr leisten, das Thema zu vernachlässigen. Welche Wege dorthin führen können und welche Werkzeuge hilfreich sind, war im Mai im Rahmen der IHK-Nachhaltigkeitswoche das Thema auf dem IHK-Kongress im historischen Kaufhaus in Freiburg.
Ressourceneffizientes, nachhaltiges Wirtschaften ist in aller Munde. Auch für die Unternehmen am südlichen Oberrhein wird der Trend zur Nachhaltigkeit immer wichtiger. „Es gibt von immer mehr Seiten Druckpunkte, die das Thema vorantreiben: Die Politik schreibt durch den Green Deal vor, dass Europa bis 2050 klimaneutral werden muss. Deutschland will bereits 2045 klimaneutral werden und nimmt auch die Unternehmen in die Verantwortung. Mit der Verpflichtung zur Erstellung einer CO2-Bilanz bekommt die Ermittlung und Bewertung von Wertschöpfungseffekten einen neuen Schub. Und gesellschaftlich beschleunigt der fortschreitende Klimawandel das Bestreben zum nachhaltigen Wirtschaften“, erklärte André Olveira-Lenz, Leiter des Geschäftsbereichs Innovation und Umwelt bei der IHK Südlicher Oberrhein, bei der Abschlussveranstaltung zur IHK-Nachhaltigkeitswoche. „Wir können es uns nicht leisten, hier nichts zu machen, sonst werden wir global abgehängt, wie es bereits bei der digitalen Transformation geschehen ist“, warnte Olveira-Lenz vor rund 100 Unternehmern im historischen Kaufhaus in Freiburg.
Klimaneutralität versus wahrem Klimaschutz?
Unter dem Titel „Klimaneutralität – sinnvolle Strategie oder fragwürdige Mogelpackung“ hielt Mario Schmidt von der Hochschule Pforzheim die Keynote zur Veranstaltung. „Klimaneutralität ist eher ein Marketing-Gag, der in Wahrheit kaum einlösbar ist – auf allen Ebenen. Wenn ein Unternehmen wirklich etwas für den Klimaschutz tun will, dann muss es energie- und materialeffizient produzieren, auf den verstärkten Einsatz von regenerativen Energien setzen und seine Produkte energiesparend und recyclinggerecht konstruieren“, sagte der Experte. Statt Klimaneutralität solle also besser Treibhausgasneutralität angestrebt werden. Denn, so Schmidt: „Jede eingesparte Kilowattstunde im Betrieb ist für den Klimaschutz mehr wert, als sich mit mitunter zweifelhaften Emblemen ‚Klimaneutralität‘ zu erkaufen.“
In seinem Vortrag führte er aus, dass Klimaschutz alle Handlungsbereiche von Unternehmen betrifft – vom Einkauf der Materialien und der Energie über die Produktion bis hin zur Verpackung und zum Vertrieb. „Die meisten Unternehmen glauben, mit dem Wechsel zu sogenanntem grünen Strom oder durch Kompensationszahlungen für die eigenen Emissionen habe man seine Schuldigkeit getan. Das ist aber ein Fehler, denn die Energieeffizienz und eigene regenerative Stromerzeugung stehen an erster Stelle“, stellte Schmidt klar. Zu Kompensationen rät der Wissenschaftler als letzten Schritt nur dann, wenn zusätzlich und langfristig im Unternehmen Emissionen eingespart werden.
Vermeiden und reduzieren vor kompensieren
Beim anschließenden Podiumsgespräch diskutierten Experten aus der Praxis über unternehmerische Chancen und Herausforderungen der Klimaneutralität. „Klimastabilität kann nur erreicht werden, wenn Unternehmen am stärksten Hebel ansetzen und CO2 maximal vermeiden und reduzieren. Den verbleibenden Carbon Footprint gilt es zu kompensieren, und zwar dort, wo es wirklich gebraucht wird, nämlich in Entwicklungs- und Schwellenländern“, erklärte Gesa Schöneberg, Leiterin Forschung und Beratung der Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima. „Der positive Beitrag zu den Entwicklungswirkungen lässt sich dann gemäß der Social Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen ermitteln.“
Birte Hackenjos, CEO der Haufe Group, betonte die Rolle der Mitarbeiter bei der Transformation: „Das Thema Nachhaltigkeit ist vor allem ein Thema der Unternehmenskultur. Dabei müssen die Hierarchien und die Fehlerkultur im Unternehmen ebenfalls unter die Lupe genommen werden. Denn die Mitarbeitenden sind die Träger der Maßnahmen – sie sollten an erster Stelle motiviert und auch in die Lage versetzt werden, die Maßnahmen mitzutragen.“ Ohne eine aktive Nachhaltigkeitsstrategie wird ein Unternehmen künftig nicht überleben können, darin waren sich alle Experten einig. „Man wird auch schlicht keine neuen Mitarbeitenden mehr gewinnen können, wenn man keine Antwort auf die Frage hat, was Klimaneutralität für das Unternehmen bedeutet und wie man mit CO2-Neutralität umgeht“, betonte Hackenjos.
Im zweiten Teil der Veranstaltung wurden nützliche Werkzeuge für die betriebliche Klimabilanzierung vorgestellt, so etwa das Projekt „Zielgerade2030“ der IHK Südlicher Oberrhein und der Energieagentur Regio Freiburg.
Den Abschluss der Veranstaltung bildeten drei Best-Practice-Beispiele aus Unternehmen der Region. Die FSM, Elektronikspezialist aus Kirchzarten, präsentierte ihren ganzheitlichen Unternehmensansatz zur Nachhaltigkeit. Neben der Verwendung moderner Gebäudetechnik gehören dazu auch E-Geschäftsfahrzeuge sowie Schulungen, die das Umweltbewusstsein der Mitarbeiter schärfen.
Die Papierfabrik Koehler Gruppe aus Oberkirch zeigte Beispiele für Nachhaltigkeit durch Innovationen bei Produkten und Prozessen auf. Koehler setzt ausschließlich auf hochwertiges Recyclingpapier und plant die vollständige Dekarbonisierung ihrer bisher fossilen Energie- und Dampferzeugung in Oberkirch. Dabei soll ein Steinkohleheizkraftwerk umgebaut und modifiziert werden zu einem Biomasseheizkraftwerk.
Als Handelsunternehmen zeigte die Schwarzwaldeisen Gruppe aus Lahr, wie sie ihre konventionelle Versorgung durch Stromeinkauf und Gasheizung auf Eigenstromnutzung durch eine große Photovoltaikanlage umgestellt hat. Neben der Erzeugung und dem Direktverbrauch wird dabei bereits heute langfristig gedacht und das Thema Speicherung mit berücksichtigt. Eine neue Trafostation wurde bereits entsprechend zukunftsfähig dimensioniert und steht für die Erweiterung der PV-Anlage, für Wärmepumpen und für das Thema E-Mobilität im Unternehmen bereit.
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Bild oben: Bei der Podiumsdiskussion (v.l.) Jil Munga, André Olveira-Lenz, beide IHK Südlicher Oberrhein, Mario Schmidt von der Hochschule Pforzheim, Birte Hackenjos, CEO der Haufe Group, Gesa Schöneberg, Leiterin Forschung und Beratung der Stiftung Allianz, Dirk Kron, Projektleiter für den „Green Industry Park Freiburg“.
Bild unten: Unternehmer präsentierten ihre Nachhaltigkeitsstrategien (v.l.): Santha Zeiher von FSM, Michael Maier von Koehler Innovation & Technology, Steffen Auer von Schwarzwaldeisen.
Projekte für mehr Nachhaltigkeit
Zielgerade2030: Das Bündnis Zielgerade2030 ist ein gemeinsames Projekt der IHK Südlicher Oberrhein und der Energieagentur Regio Freiburg GmbH, bei dem sich die teilnehmenden Unternehmen und Kommunen verpflichten, bis 2030 tatsächlich klimaneutral zu arbeiten. www.zielgerade2030.de
ecocockpit: Kostenfreies CO2-Bilanzierungstool für Unternehmen. Infos und Schulungen unter anderem bei den IHKs. www.ecocockpit.de
IHK ecoFinder: Kostenfreie Umweltfirmendatenbank, in der Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen rund um Umweltschutz und Energie anbieten, ihr Leistungsprofil präsentieren können. www.ihk-ecofinder.de