Ein digitales System soll Zollbeamte, den Verkehr an Grenzübergängen, den Einzelhandel und nicht zuletzt die Kunden entlasten, wenn es um die Ausfuhrkontrolle zur Umsatzsteuerrückerstattung für Einkaufstouristen geht.
Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat – nach jahrelanger Blockade – am 26. Januar endlich die Mittel für das Projekt eines digitalen Ausfuhrscheins (IT AKZ) freigegeben. Hintergrund war eine nunmehr überwundene Differenz zwischen Bundesrechnungshof und Bundesfinanzministerium gewesen. Die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern der Region und der Einzelhandelsverband begrüßen einstimmig diese positive Entwicklung. „Mit zuletzt (vor Corona) bis zu 16 Millionen Ausfuhrvorgängen erwies sich das papiergestützte Verfahren der Umsatzsteuerrückerstattung als wahres Bürokratie-Monster“, sagt Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee. „Nicht nur die personelle Beanspruchung des Zolls beim manuellen Abstempeln der Ausfuhrscheine brachte das System an seine Grenzen, auch der Einzelhandel war und ist bis heute unsinnig belastet. Ganze Lagerhallen mussten angemietet werden, um Millionen von Papierdokumenten für die Finanzverwaltung zu archivieren, Schlangen an den Kassen verärgern die Kundschaft.“ All dies könnte bald der Vergangenheit angehören, wenn es gelingt, den Ausfuhrvorgang digital zu begleiten. Industrie- und Handelskammern, der Handelsverband Südbaden, Vertreterinnen und Vertreter aus dem Handel und viele weitere Akteure haben dafür bereits vor Jahren in enger Zusammenarbeit mit einer Taskforce der General Zolldirektion weitgehende Vorarbeiten geleistet. Daran soll nun angeknüpft werden. Die Wirtschaftskammern und der Handelsverband Südbaden jedenfalls haben ihre Kooperation in einem gemeinsamen Schreiben an das Bundesfinanzministerium angeboten, ihre Mitgliedsunternehmen stehen für die Erprobung und Einführung des digitalen Ausfuhrscheins parat. „Was wir uns nun wünschen, ist Tempo“, sagt Marx. „Unser von Corona, von Lockdowns, Zugangsbeschränkungen und Grenzschließungen gebeutelter Einzelhandel am Bodensee und Hochrhein hätte es mehr als verdient, an dieser Stelle zeitnah Entlastung zu bekommen.“
Text: red
Bild: Hauptzollamt Singen
»Überfällig und alternativlos«
IHK-Hauptgeschäftsführer im Interview
IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx erklärt, wie der digitale Ausfuhrschein in der Praxis
aussehen könnte und warum sich die IHK mit Nachdruck dafür einsetzen wird.
Wie sieht die digitale Lösung für die Mehrwertsteuer aus?
Die digitale Lösung könnte so aussehen, dass der Kunde aus der Schweiz, dessen Identität und Wohnsitz geprüft und im System hinterlegt wurden, die relevanten Daten seines Einkaufs im Geschäft seiner Wahl auf sein mobiles Endgerät/Smartphone übertragen erhält. Die dafür entwickelte, georeferenzierte Applikation würde die Daten an den Zoll weiterleiten. Von dort erhielte der Kunde eine Rückmeldung, optional könnte auch die Frage einer Kontrolle beim Grenzübertritt (Stop oder Non-Stop) an dieser Stelle geregelt werden.
Der tatsächliche Ausfuhrvorgang (Grenzübertritt der Ware) würde durch die Bewegung des registrierten und personalisierten Mobiltelefons festgestellt, übermittelt und bestätigt. Die Beamten der Zollverwaltung würden von der händischen Bestätigung in jedem einzelnen Falle befreit und könnten sich auf die Stichprobenkontrolle beschränken, der Verkehrsfluss würde erheblich verbessert. Für den Einzelhandel würden die relevanten Daten so aufbereitet und übermittelt, das dies den Anforderungen der Finanzverwaltung genügt.
Mit welchem Zeithorizont rechnen Sie bezüglich der Realisierung?
Das lässt sich derzeit nicht belastbar abschätzen. Immerhin herrscht endlich Einigkeit bei den Entscheidungsträgern beim Bund – die zuvor blockierten Mittel wurden freigegeben. Jetzt kann es also losgehen. Die Komplexität des Projekts ist freilich hoch: Einzelhandel, Zoll und Finanzverwaltung müssen kooperieren und, auch das ist ein Parameter des Erfolges, der Kunde muss die so gefundene Lösung akzeptieren. Denn nur, wenn das System auch angenommen wird, kann es sich wirtschaftlich rechnen und die erhofften Entlastungseffekte bringen.
Seit etwas mehr als zwei Jahren gibt es die Bagatellgrenze von 50 Euro. Steht die nun auf dem Prüfstand?
Die Bagatellgrenze entfällt nach Paragraph 6 Absatz 3a Satz 2 Umsatzsteuergesetz zum Ende des Jahres, in dem die Ausfuhrnachweise erstmals elektronisch erteilt werden. Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes soll dies allerdings nicht nur an der Grenze zur Schweiz, sondern „an allen Drittlandsgrenzen“ und damit auch an den Flughäfen der Fall sein müssen.
Wie wichtig wäre ein digitales Ausfuhrverfahren für den grenznahen Einzelhandel?
Die Bedeutung der grenzüberschreitenden Konsumnachfrage für unsere Region ist groß. Die digitale Abfertigung der Ausfuhr liegt deshalb in unserem uneingeschränkten Interesse – sie macht den Einkauf für alle Beteiligten – die Händler, ihre Kunden, die Finanz- und die Zollverwaltung – einfacher und angenehmer. Staus an Kassen und Grenzübergängen würden vermieden, ebenso die anachronistische Archivierung von Millionen Papierdokumenten. Deutschland hat ein Onlinezugangsgesetz (OZG), das auf die Digitalisierung sämtlicher Verwaltungsvorgänge zwischen Staat und Bürger bis Ende 2022 zielt. Die Bearbeitung von Millionen von Ausfuhrscheinen in Papierform ist vor diesem Hintergrund vollkommen aus der Zeit gefallen, ihre digitale Ablösung überfällig.
Wie wichtig sind diese Einkäufe für den Detailhandel aber auch das Gewerbe?
Südbaden ist über Jahrzehnte zum Nahversorger der Nordschweiz geworden. Der Einkaufstourismus ist in Wahrheit gar kein Tourismus, sondern gelebter Alltag. Verkaufsflächen, Sortimentstiefe und Markenvielfalt in den grenznahen Orten sind darauf ausgerichtet. Die grenzüberschreitende Nachfrage macht in etwa ein Drittel dieses Angebots aus, in einzelnen Branchen und Unternehmen auch bis zu 50 Prozent. Viele Dienstleistungen, Handwerksbetriebe, Gastronomen und Hoteliers profitieren ebenfalls. Aufenthaltsqualität und Einkaufserlebnis machen die Region über die reine Versorgungsfunktion hinaus attraktiv.
Die IHK Hochrhein-Bodensee wird sich jetzt mit Nachdruck dafür einsetzen, dass das digitale Ausfuhrverfahren kommt. Die Digitalisierung dieser Verwaltungsleistung ist sachlich geboten, zeitlich überfällig und wirtschaftlich wie technisch alternativlos.
Interview: mx/hw
Bild: Herbert Weniger