Zu Herzen gehende Geschichten von nach Deutschland geflüchteten Menschen gibt es viele. Aida Haidari hat genau solch eine Geschichte zu erzählen. Allerdings: Hört man sie, wünschte man sich, es gäbe neben dem Herzen ein Organ, das von guten Beispielen berührt werden kann. Um dann die eigene Power und den eigenen Durchsetzungswillen dem Niveau dieser jungen Frau anzupassen…
Aida Haidari ist mit ihren 20 Jahren ein Profi im Hindernisse-Überwinden. Willensstärke ist ein mageres Wort, wenn man damit beschreiben will, was in dem zierlichen Persönchen steckt, dessen warme braune Augen wach und interessiert blicken, während sie von ihrem Leben erzählt: „Meine Eltern sind mit mir als Kleinkind von Afghanistan in den Iran geflohen. Wir haben dieses Land verlassen, weil ich als Mädchen aus Afghanistan dort nicht zur Schule gehen durfte“, berichtet sie von den Motiven ihrer Eltern, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen. Auf die Frage, ob sie noch Geschwister habe, zitiert sie ihren Vater: „Wenn wir wegmüssen, kann ich mir Aida auf den Rücken binden. Mit mehr Kindern wird das schwieriger!“
Was es bedeutet, mit solch einer väterlichen Haltung aufzuwachsen? Aida Haidari hat sich darüber nicht weiter Gedanken gemacht. Außer jenen, dass sie ihren Eltern dankbar ist. Dafür, dass sie so schnell als möglich aus der Abhängigkeit ihres deutschen Gastlandes herauskommen und die Sammelunterkunft für Asylbewerber rasch hinter sich lassen wollten. Heute arbeitet Aida Haidaris Vater als gelernter Schneider bei der Friesenheimer Badenia Bettcomfort GmbH & Co. KG. Und auch, dass ihre Familie ihr gesamtes Vermögen einem Menschen übergab, „der uns den Weg nach Deutschland zeigte“, erfüllt Aida Haidari mit einem tiefen Gefühl von Dankbarkeit und Glück.
Helfende Hände weisen den Weg
Mit am Tisch sitzt während ihres Berichts auch Birgit Erb. Die Geschäftsführende Gesellschafterin des gleichnamigen Friesenheimer Ingenieurbüros war zunächst eines von Aida Haidaris „Hindernissen“. Um dann allerdings ein Jahr später, im September 2023, doch noch zur Lösung zu werden. Wie es dazu kam, berichtet die junge Afghanin: „Ich wollte unbedingt Bauzeichnerin werden, absolvierte während meiner Schulzeit bei Frau Erb ein Praktikum mit der Zusage, auch einen Ausbildungsplatz zu bekommen.“ „Aus dem dann leider nichts wurde, weil wir die Ausbildungsberechtigung noch nicht hatten“, bekennt Birgit Erb.
Aber Aida Haidari wäre nicht das Kind der Eltern, die alles für die Bildung ihrer einzigen Tochter riskierten, hätte sie es dabei bewenden lassen. Und, mindestens genauso wichtig: Aida Haidari hat mit Rosi Kienzler, einer für ihr soziales Engagement bekannten Friesenheimerin, eine „Zweit-Mama“, die sie darin unterstützte, den Weg Richtung Bauzeichnerin kontinuierlich zu verfolgen. „Ich wurde in das sogenannte Kümmerer-Projekt der IHK Südlicher Oberrhein aufgenommen und hatte die Gelegenheit, ein von der Agentur für Arbeit gefördertes Langzeitpraktikum zu absolvieren. Das ist eine sogenannte Einstiegs-Qualifizierung, EQ genannt, bei der man parallel die Berufsschule besucht. Offensichtlich habe ich da bewiesen, dass ich ganz gut für diesen Beruf geeignet bin – und so hat man mir diese Zeit als erstes Lehrjahr anerkannt. Rosi Kienzler und natürlich auch meine Eltern haben mir auch in schwierigen Situationen Mut gemacht“, erinnert sich Aida Haidari.
Als großen Glücksfall erlebte sie die Menschen, die sie bei und durch die IHK kennenlernte: „Christiane Möller und Isabell Heinrich sind bei der Kammer zuständig für Aus- und Weiterbildung und vermittelten mich mit ganz viel Engagement im Rahmen der Einstiegs-Qualifizierung an ein Offenburger Architekturbüro“, blickt die junge Frau zurück auf die Chance, via EQ eben doch noch in die Ausbildung zu starten.
Birgit Erb, Inhaberin Ingenieurbüro Erb GmbH, Friesenheim
»Ich stehe ihr gerne zur Seite. Ich kam selbst auf Umwegen zu meinem Beruf«
Trotz Umweg gut angekommen
Im Büro Modul One von Martin Brischle ging es ab dem ersten Tag für die junge Frau in die Vollen: „Der Architekt musste auf die Baustellen, die einzige Mitarbeiterin war krank und ich habe einfach angefangen zu arbeiten“, erinnert sich Aida Haidari. Sie schrieb Rechnungen, holte Angebote ein, ließ sich vom Chef von der Baustelle aus am Telefon anleiten. Und: „Ich durfte ihn auch begleiten, bekam alles erklärt, von der Baugrube bis zum entstandenen Gebäude. Ich war bestens aufgehoben, ich fühlte mich ernst genommen und gefordert und ich habe unendlich viel gelernt“, erinnert sie sich.
„Martin Brischle war für Aida Haidari ein Glücksfall und das gilt auch umgekehrt“, ist sich Christiane Möller sicher. Die junge Frau arbeitete im Büro, als hätte sie nie etwas anderes getan, sammelte sich die Informationen, die sie brauchte, in Windeseile, um dann – einfach zu tun. Wie richtig sie stets damit liegt, kann Birgit Erb heute bestätigen. Mittlerweile ist sie Aida Haidaris Chefin.
Eine Neuausrichtung des Offenburger Architekturbüros führte dazu, dass die selbstbewusste und zielorientierte Auszubildende ihren Arbeitgeber wechseln musste. Dass dieser Wechsel Richtung Friesenheim stattfinden würde, lag dann auf der Hand und hat neben der Auszubildenden auch das gesamte Ingenieurbüro happy gemacht, wie sich Birgit Erb überzeugt zeigt.
Was ungerade Lebensläufe bedeuten, weiß die Inhaberin des Büros für die Generalplanung von Industriebauten aus eigener Erfahrung: „Ich bin keine Ingenieurin, sondern Fremdsprachenkorrespondentin und kam durch Umwege an meine heutige Position“. Alle beide scheinen diesen Nerv zu haben, in herausfordernden Situationen nicht auf-, sondern ihr Bestes zu geben.
Doris Geiger
Bild: Für Aida Haidari sind Hindernisse höchstens dafür da, überwunden zu werden.
Mehr zu den Möglichkeiten, Geflüchtete zu beschäftigen und auszubilden unter www.ihk.de/freiburg/standortpolitik/fluechtlinge
IHK-Ansprechpartner für Zugewanderte und Geflüchtete, die sich für eine Ausbildung interessieren sowie für ausbildungswillige Unternehmen unter www.ihk.de/freiburg – 2960994