Das Jahr 2023 ist noch jung, doch die Herausforderungen sind bereits groß. Energiewende, Fachkräftemangel, digitale Transformation. Alle diese Themen beschäftigen die Unternehmen in der Region massiv. Auch auf dem ersten Neujahrsempfang der IHK nach längerer Coronapause.
„Erstarren Sie nicht vor dem Berg an Aufgaben und Risiken“, forderte Eberhard Liebherr, Präsident der IHK Südlicher Oberrhein, die Unternehmerinnen und Unternehmer beim Neujahrsempfang der IHK Südlicher Oberrhein Anfang Januar in Freiburg auf. „Nutzen Sie die Chancen, die sich durch die aktuell stattfindende ökologische Transformation und die Lieferkettentransformation ergeben.“ Zuvor hatte IHK-Hauptgeschäftsführer Dieter Salomon den festlichen Abend eröffnet. „Viele sind froh, dass sie wieder Menschen treffen“, begrüßte er die Gäste.
Nach dreijähriger Coronazwangspause waren rund 1.200 Unternehmenslenker, Verantwortliche aus Politik und Verwaltung und dem öffentlichen Leben ins Freiburger Konzerthaus gekommen. „Nach diesen drei Jahren hat sich bei der IHK einiges getan“, so Salomon. IHK-Präsident Liebherr präsentierte anhand von filmischen Beiträgen unterschiedliche Beispiele, wie Unternehmen am südlichen Oberrhein die drängenden Zukunftsthemen auch zusammen mit den Beratern der Kammer angehen. Ob bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels, der Aufstellung eines Nachhaltigkeitskonzepts, dem Vorantreiben der Energiewende über neue Produkte und Dienstleistungen oder der Schaffung eines Mentorenservices – in der Region gibt es viele erfolgversprechende Ansätze, um die Zukunft zu meistern.
„Wir müssen unseren Tüftler- und Innovationsgeist bemühen“, sagte Liebherr. „Erkennen wir die Herausforderungen als Chance und packen wir sie mit regionaler Stärke an! Zusammenhalten, neu denken, voneinander lernen.“ Einen eindringlichen Appell richtete Liebherr aber auch an die Politik. Diese solle die Innovationskraft der Unternehmen und die Bereitschaft, die Dinge anzupacken, nicht behindern. „Manchmal können weder die Unternehmerschaft noch die Mitarbeitenden der IHK etwas tun. Warum? Weil die Politik in vielen Belangen zu zaghaft und zu langsam ist.“ Er verwies auf Aussagen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, wonach die Betriebe im Land sowohl alle in- als auch alle ausländischen Potenziale an Fachkräften heben müssten.
„Da frage ich mich, und die Fragen können Sie, verehrte Bundestagsabgeordnete, gern nach Berlin mitnehmen: Wie sollen wir Unternehmerinnen und Unternehmer das machen, wenn Kinderbetreuungsangebote fehlen und Eltern deswegen nur Teilzeit arbeiten können? Und wer schon einmal versucht hat, aktiv im Ausland Fachkräfte zu rekrutieren, weiß von der zermürbenden Bürokratie, die in unserem Land herrscht.“ Aktuell seien unter den insgesamt rund 10.000 Auszubildenden in IHK-Berufen im gesamten Kammerbezirk 1.320 mit ausländischer Staatsbürgerschaft. „Die Unternehmen sind also sehr offen, dazu engagieren sie sich enorm.“
Die Bereitschaft und die Notwendigkeit, ausländische Fachkräfte einzustellen, sei in der Region noch weitaus größer. „Aber Behörden, die teilweise nicht nur unkoordiniert, sondern gegeneinander arbeiten, verhindern das. Wussten Sie, dass mehr als 1.000 Behörden in Deutschland zuständig sind für die inhaltliche Überprüfung ausländischer Abschlüsse? Oder dass es im Kammerbezirk der IHK Südlicher Oberrhein elf verschiedene Ausländerbehörden gibt? Wenn wir ein echtes Zuwanderungsland werden wollen, muss sich hier etwas ändern.“
Der Aufruf von Liebherr: „Liebe Politikerinnen und Politiker, schaffen Sie schnellstmöglich die Voraussetzungen, die Sie schon so lange ankündigen. Dann können wir Unternehmerinnen und Unternehmer endlich machen! Der Erhalt unserer regionalen unternehmerischen Stärke hängt auch von Ihnen ab. Ohne die dramatische Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und ohne den massiven Ausbau erneuerbarer Energien werden wir die Aufgaben, die uns gestellt werden, nicht stemmen!“
Am Ende vieles besser als befürchtet
Nicht nur der IHK-Präsident, auch der Gastredner des Abends, Michael Hüther, hatte eine Botschaft an die politisch Verantwortlichen: „Wirtschaftspolitik muss, wenn sie erfolgreich sein soll, immer auch gesellschaftliche Bedingungen widerspiegeln“, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Hüther hob die besondere Stellung der heimischen Unternehmenslandschaft hervor, sie sei in ihrer clusterorientierten Aufstellung mit zahlreichen Weltmarktführern einmalig auf dem Globus. Industrie- und Dienstleistungscluster, so wie sie auch am südlichen Oberrhein existieren, „fördern die Kooperation und Integrationsfähigkeit und damit auch die Leistungsstärke einer Region“. Das sorge dafür, dass einzelne Metropolen wie Berlin, Hamburg oder München in Deutschland mit ihrer Wirtschaftskraft längst nicht so dominant seien wie London in Großbritannien oder Paris in Frankreich. Der Ökonom warnte aber davor, sich auf dieser historisch gewachsenen Stärke auszuruhen: „Diese historische Leistung besteht nicht im Überleben, sondern im Wandel, wenn zum Beispiel eine Brauerei erkennt, dass das Thema Nachhaltigkeit auf einmal zentral werden kann.“
Hüther hatte auch eine ermutigende Botschaft: Ex post, also im Nachhinein betrachtet, seien alle Krisen nicht so schlimm wie im Vornherein befürchtet. Auch der aktuelle Konjunktureinbruch werde wohl weniger dramatisch sein, als in den Prognosen des Jahres 2022 vorhergesagt. Trotzdem seien die mittelfristigen Herausforderungen groß. „Wir haben nicht nur eine Energiekrise, sondern zweitens eine Globalisierungskrise, drittens eine Transformations- und viertens eine Bevölkerungskrise. Die Frage ist, wie gehen wir damit um, haben wir eine Antwort darauf?“ Die Kombination dieser Krisen sei eine riesige Aufgabenstellung, die man über einen längeren Zeitraum angehen müsse.
„Auf Sicht zu handeln“ ist zu kurz gesprungen
„Eine der großen Handlungsebenen heißt: Wir müssen uns mittelfristiger orientieren. Die große Transformation, die wir leisten wollen, die Klimaneutralität, auch ernst nehmen.“ Die Herausforderung sei beachtlich. „Wir müssen ja nicht nur uns klimaneutral machen, sondern auch die Schäden kompensieren, die frühere Generationen durch die CO2-Entnahme verursacht haben. Rein von der Logik her kann eine Generation das nicht leisten.“
Zum Ernstnehmen gehöre mit Blick auf die Politik nicht nur das Aufstellen von Regeln, sondern auch das konkrete Umsetzen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beispielsweise werde nicht funktionieren, wenn es in der Verwaltung vor Ort hake. Hüther: „Hier liegen die Potenziale, die wir heben müssen.“ Und: „Wir müssen nicht nur über Zu- sondern auch über die Gründe für Abwanderung reden.“ Kritik äußerte der Volkswirt zudem an der Rente mit 63. Auch durchschnittlich zwei Stunden mehr Wochenarbeitszeit – wie in der Schweiz üblich – würden das Problem des Fachkräftemangels deutlich dämpfen.
All die Transformationsprozesse könne Deutschland aber nicht allein bewältigen. „Was mich am meisten grämt in alldem, was diese Regierung tut: Sie hat keine europapolitischen Visionen.“ Das gelte speziell in der Energiepolitik: „Es ist doch absurd, dass wir hier so tun, als sei jeder für sich unterwegs. Meine Perspektive für 2023: Wir müssen dieses Europa in den Mittelpunkt rücken.“
Passend zum Abend hat die IHK ihre Kampagne „Für die Wirtschaft“ präsentiert. 2023 wird die Kammer die Themen Digitalisierung, Fachkräfte, Nachhaltigkeit und Standort verstärkt in den Blick nehmen.
Text: tas
Bilder: Michael Bode
Weitere Impressionen vom Neujahrsempfang finden Sie in einer Bildergalerie unter www.ihk.de/freiburg – 5685068
Mehr Informationen zur IHK-Kampagne „Für die Wirtschaft“ unter www.fuerdiewirtschaft.de