Nicht wie sonst auf dem Neujahrsempfang der IHK, sondern hier an dieser Stelle wendet sich IHK-Präsident Thomas Conrady zum Jahresbeginn an alle Mitgliedsunternehmen. Diesmal mit dem Fokus auf der Gastronomie.
Wenn Soziologen über die Gastronomie sprechen, beschreiben sie diese gerne als „dritten Ort“ der Menschen. Warum dritter Ort? Weil Restaurants, Cafés und Bars neben dem Zuhause (erster Ort) und dem Arbeitsplatz (zweiter Ort) die Bühne sind, auf der sich Freunde, Bekannte oder Familienangehörige treffen. Wir nehmen dort nicht nur Speisen und Getränke zu uns, wir lachen dort gemeinsam, wir reden über unser Leben und diskutieren über Gott und die Welt. Die Gastronomie ist ein Ort der Begegnung. Das Gegenteil von alleine sein.
Wie sehr das zutrifft, haben wir im vergangenen Sommer gespürt. Mit Händen zu greifen war die Freude, als sich die Menschen nach dem monatelangen Lockdown im Frühling endlich wieder in Restaurants und Cafés treffen konnten. Und jetzt? In der kalten Jahreszeit, an den kürzer werdenden Tagen, gerade jetzt, wo es besonders Freude macht, in das freundliche Ambiente eines Lokals einzutauchen, sind diese Orte des Zusammenkommens zwar geöffnet, aber drinnen ist es leer.
Exponentiell steigende Inzidenzen und verschärfte Coronamaßnahmen haben uns das Ausgehen verleidet. Helle Fenster, leere Tische, überall – in Konstanz, Singen, Lörrach, Waldshut genauso wie in Schopfheim, Rheinfelden, Bad Säckingen oder Weil am Rhein.
Ich möchte meinen Beitrag für die Januarausgabe 2022 der Wirtschaft im Südwesten dazu nutzen, auf die Gastronomie aufmerksam zu machen. Denn ich glaube, dass es kaum eine Branche in dieser Pandemie schwerer hatte als sie. Seit bald zwei Jahren erleben die Unternehmerinnen und Unternehmer im Gastgewerbe einen schwer zu ertragenen Wechsel zwischen Lockdown, Öffnungen, Teilschließungen und sich ständig ändernden Coronamaßnahmen. Manch einer weiß schon nicht mehr, was schwerer zu ertragen ist – geschlossen zu sein oder geöffnet zu haben – ohne Gäste. Verstehen Sie mich nicht falsch, viele Branchen haben schwer unter der Krise gelitten und tun es immer noch – der Einzelhandel, der Tourismus, die Hotellerie, die Kultur- und Veranstaltungsbranche und viele Dienstleistungsunternehmen, deren Geschäftsmodell den Kontakt zum Kunden voraussetzt. Auch die Industrie kämpft nach wie vor mit Lieferkettenproblemen, Versorgungsengpässen und steigenden Energie- und Rohstoffpreisen. Dennoch: Die Gastronomie steht besonders hart im Wind. Und wo sich Erholung abzeichnete, da bremsten Personalmangel und Hygienekonzepte den Erfolg.
Ja, wir befürchten Insolvenzen – mit Auswirkungen auch für andere Branchen. Nicht erst seit der Coronakrise wissen wir, wie sehr in Wirtschaft und Gesellschaft alles mit allem verbunden ist. Nicht nur der stationäre Einzelhandel ist auf die Gastronomie angewiesen. Ohne die Gastronomie leidet das Aufenthaltserlebnis in der gesamten Innenstadt, ohne Gastronomie gehen mit dem Ladenschluss wortwörtlich die Lichter aus. Nicht, dass wir kein Verständnis für die aktuellen Corona-Einschränkungen hätten – angesichts der Entwicklung der pandemischen Lage waren sie nicht nur abzusehen, sondern auch geboten. Wir alle müssen unsere Kontakte vorübergehend reduzieren.
Auch die Gastronomie weiß das, und dennoch hat sie jedes Recht, verärgert und verzweifelt zu sein. Wie den Betrieb offenhalten, wenn keine Gäste kommen? Wie die Rechnungen bezahlen, wenn nahezu alle Reservierungen abgesagt, Weihnachtsfeiern, Hochzeiten und Familienfeste storniert werden?
Weil die Lasten dieser Pandemie nicht gleich verteilt sind, aber auch, weil es gerade ein Gebot des Anstandes und der Verantwortung jedes Einzelnen ist, unser Gesundheitssystem nicht ohne Not an den Rand der Überforderung zu bringen, meine ich, sollte sich ein jeder und eine jede fragen, ob er oder sie alles getan hat, damit es besser wird. Und dazu gehört nach allem, was wir wissen, zuvorderst das Impfen. Einmal, zweimal, dreimal. Und weiter, wenn es notwendig sein sollte.
Wenn wir uns daran halten, können wir schon bald die Oberhand über das Virus gewinnen, unser aller Freiheit zurückerobern und – nicht zuletzt – unsere Restaurants, Cafés und Bars wieder so richtig bevölkern. Für das Jahr 2022 wünsche ich mir, dass alle diese Orte der Begegnung auch dann noch da sind, wenn die Temperaturen wieder steigen und die Pandemie ein geselliges Zusammensein zulässt. Vielleicht sehen wir uns.
Allen Mitgliedern der IHK Hochrhein-Bodensee wünsche ich, dass 2022 das Jahr wird, in dem wir all das zurückerlangen, was unser Leben, unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft ausmacht.
Ihr Thomas Conrady