Mit überwältigender Mehrheit haben die Mitglieder der IHK Hochrhein-Bodensee auf ihrer Wintervollversammlung Mitte Dezember einem Positionspapier zur nachhaltigen ökologischen Transformation der Wirtschaft zugestimmt. Sie fand pandemiebedingt erneut digital statt.
„In unserer Sommersitzung hatten wir bereits einen ersten Entwurf dieser Positionen diskutiert. Dabei haben unsere Mitglieder unterschiedliche Aspekte aus ihren Branchen eingebracht“, sagt IHK-Präsident Thomas Conrady. „Nun haben wir uns auf zehn Punkte verständigt, wie eine ökologische Transformation technisch und wirtschaftlich, aber auch regulatorisch und sozial gelingen kann. Daraus lassen sich klare und stringente Positionen ableiten, wenn es künftig um konkrete Entscheidungen in unserer Region geht.“
Die Vollversammlung sieht es als Aufgabe ihrer Mitgliedsunternehmen, mithilfe der Wissenschaft technologische Lösungen für diese Transformation zu entwickeln und in Produkten und Dienstleistungen zur Marktreife zu führen. Sie sieht es als Aufgabe der IHK, den komplementären legislativen, administrativen und fiskalischen Handlungsrahmen einzufordern, den eine erfolgreiche Implementierung voraussetzt, und dabei die Akzeptanz der Konsumentinnen und Konsumenten, der Bürgerinnen und Bürger und der Wählerinnen und Wähler als notwendige Voraussetzung für den Erfolg nicht aus den Augen zu verlieren.
Aus dieser Perspektive erkennen die IHK-Vollversammlungsmitglieder drei gesellschaftliche Kreise, in denen einerseits Handlungsoptionen, andererseits aber auch Verantwortung verortet werden könnten und müssten – einen wissenschaftlich/wirtschaftlichen, einen politischen/legislativen/administrativen und einen privaten der Menschen, die als Konsumentinnen und Konsumenten letztlich den Ressourcenverbrauch auslösten.
„Im ersten dieser drei Kreise werden die technologischen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit entwickelt – von der Grundlagenforschung an den Hochschulen über die Innovation in den Unternehmen bis hin zu konkreten Produkten und Dienstleistungen“, erläutert IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx das Modell. „Hier werden die Wärmepumpen, die Photovoltaikmodule, die Windräder, die Speichertechnik, die Sensoren und Aktoren, die Steuerungstechnik und die Software entwickelt, produziert und permanent verbessert und optimiert. Im zweiten Kreis werden die Bedingungen gesetzt, unter denen diese Technologien zum Einsatz gebracht werden können – Verbote, Erlaubnisse, Zulassungsverfahren, gesetzliche Privilegierungen, Art und Umfang des möglichen Rechtsschutzes, aber auch steuerliche Anreize, Subventionen und andere fiskalische Werkzeuge gehören hierher. Auch Anreize für das Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher können regulatorisch gesetzt und gesteuert werden. Im dritten Kreis schließlich entscheidet sich, ob eine technologische Lösung oder eine legislative Vorgabe auch Akzeptanz bei der Bevölkerung findet. Fehlt es daran, weil etwa eine Technologie auf Ängste, Ablehnung und Widerstand trifft, kann ein Veränderungsprozess leicht ins Stocken geraten. Umgekehrt gilt: Im Schnittbereich der drei Kreise, wo also die Technologie stimmt, die Administration die Implementierung fördert und schließlich die Anwender überzeugt sind, da wird die Transformation ein gesamtgesellschaftlicher Erfolg.“
Deutlich wird in den Positionen aber auch, dass Klimaschutz ungeachtet seiner enormen Bedeutung für die Menschheit nicht Gegenstand einer monothematischen Politik sein darf, so die Unternehmerinnen und Unternehmer im IHK-Bezirk Hochrhein-Bodensee. Gesamtgesellschaftliche Ziele und Aufgaben wie der soziale Ausgleich, die allgemeine Daseinsvorsorge, Generationengerechtigkeit sowie die physische und psychische Gesundheit der Menschen, aber auch der Erhalt von Beschäftigung und Wohlstand und gesundes Wachstum müssten in allen klimapolitischen Entscheidungen mitbedacht werden, fordern sie mit einem Verweis auf die 17 Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung.
„Die Wirtschaft in unserer Region ist überdurchschnittlich exportorientiert. Ambitionierte nationale Klimaziele dürfen nicht dazu führen, dass unsere Region im internationalen Vergleich ihre Standortgunst verliert. Das nämlich wäre wenig nachhaltig“, so IHK-Präsident Conrady. Wo überambitionierte Klimaziele zu Standortverlagerungen führten, entstehe nur eine lokale „Klimaschutzillusion“ – die Emissionen fänden dann schlicht an anderen Orten statt, an denen weniger strenge Auflagen gälten. Damit sei niemandem gedient. „Damit ökologische Transformation und ökonomischer Erfolg zusammengehen, muss deshalb die nationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten werden. Technologieführerschaft ist der Königsweg für einen erfolgreichen Wandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Dafür braucht es Planungssicherheit und Vorhersehbarkeit politischen Handelns und eine Gesellschaft, die erkennt, dass es zu wenig ist, beim Klimaschutz immer nur auf den anderen zu zeigen. Wirtschaft, Politik und Bürger müssen ihren jeweiligen komplementären Beitrag leisten. Die Wirtschaft ist bereit dazu.“
Text: hw
Bild: vegefox.com – Adeobe Stock
Zehn Punkte zur ökologischen Transformation
- Der Klimawandel bezeichnet die wissenschaftlich hinreichend belegte und empirisch nachweisbare, rasante Veränderung des Weltklimas (Erderwärmung). Die Ursachen für diesen Wandel, insbesondere seine Geschwindigkeit, sind großenteils menschengemacht (Industrialisierung, exponentieller Verbrauch fossiler Energieträger der letzten 150 Jahre, Treibhausgasemissionen, insbesondere CO2).
- Angesichts der erwartbaren, vielerorts bereits sichtbaren Folgen des Klimawandels stehen Wirtschaft und Gesellschaft vor der doppelten Aufgabe, den globalen Temperaturanstieg einzudämmen und die Anpassung an die nicht mehr abzuwendenden Folgen des Klimawandels zu organisieren und zu finanzieren (Pariser Klimaabkommen).
- Der Ordnungsrahmen des Klimaschutzes wird international (Pariser Abkommen), europäisch (Green Deal) und national (Klimaschutzprogramm 2030) auf unterschiedlichem Ambitionsniveau gebildet. Damit ökologische Transformation und ökonomischer Erfolg gleichwohl zusammengehen, muss die nationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten beziehungsweise hergestellt und Technologieführerschaft angestrebt werden.
- Klimaschutz darf ungeachtet seiner enormen Bedeutung für die Menschheit nicht Gegenstand einer monothematischen Politik sein. Gesamtgesellschaftliche Ziele und Aufgaben wie der soziale Ausgleich, die allgemeine Daseinsvorsorge, der Erhalt von Beschäftigung und Wohlstand, gesundes Wachstum, Generationengerechtigkeit sowie die physische und psychische Gesundheit der Menschen müssen in allen klimapolitischen Entscheidungen mitbedacht werden. Die 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung bilden dies ab.
- Das weltweite Emissionsgeschehen verteilt sich aktuell zu circa 30 Prozent auf China, zu 13 Prozent auf die USA, zu 9 Prozent auf die EU und zu 2 Prozent auf Deutschland. Daraus folgt nicht, dass es sinnlos wäre, Emissionen auf nationaler Ebene zu reduzieren, umso weniger, als der Pro-Kopf-Ausstoß und die kumulative historische Betrachtung ein anderes Bild der Verantwortung zeichnen. Daraus folgt indessen die Notwendigkeit, nationale Anstrengungen in internationale einzubetten und das Ziel, durch gutes Beispiel und Technologieführerschaft über die eigenen Grenzen hinaus zu wirken.
- Emissionsminderung kann gleichermaßen technologisch wie auch durch das Verhalten jedes Einzelnen erzielt werden. Ersteres verlangt die Entwicklung und den wirtschaftlich tragfähigen Einsatz neuer technischer Lösungen, was gegebenenfalls der staatlichen Förderung bedarf, nicht dagegen der Regulierung im Sinne einer politischen Zielvorgabe (Technologieoffenheit). Letzteres verlangt einen gesellschaftlichen Konsens, der nicht verordnet werden kann, sondern Ergebnis eines offenen Diskurses sein muss.
- Ambitionierte nationale Klimaziele dürfen nicht dazu führen, dass unsere Region im internationalen Vergleich ihre Standortgunst verliert. Standortverlagerungen in Länder mit geringeren Umweltauflagen führen zu einer „nationalen Klimaschutzillusion“. Tatsächlich verursachen sie mehr Emissionen und erhöhten logistischen Aufwand.
- Ressourcenkonflikte lassen sich mit Instrumenten des Marktes und des Wettbewerbes effizient steuern. Beim Klimaschutz leistet dies das Europäische Emissionshandelssystem. Ein CO2-Preismechanismus soll die externen Effekte der Emission abbilden, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Branchen zu unterlaufen. Schlichte Ge- und Verbote sind nur dann das Mittel der Wahl, wenn marktwirtschaftliche Instrumente fehlen oder versagen.
- Investitionsentscheidungen sind ihrer Natur nach langfristig angelegt. Daraus resultiert das notorische Bedürfnis unserer Wirtschaft nach Planungssicherheit und Vorhersehbarkeit politischen Handelns. Dieses legitime Bedürfnis verlangt höchstmögliche Konstanz und Verlässlichkeit aller rechtlichen, steuerlichen, administrativen und ökonomischen Rahmenbedingungen.
- Die Effizienz von Klimaschutzmaßnahmen nimmt regelmäßig mit zunehmender Zielerreichung ab („abnehmender Grenznutzen“). Die Klimaeffizienz jedes dafür eingesetzten Euro ist deshalb sowohl unter den betroffenen Sektoren (Stromerzeugung, Industrie, Transport, Gebäude) als auch im internationalen Kontext (Anpassung ärmerer Länder, Emissionsminderung an rückständigen Standorten) ein maßgebliches Kriterium und angesichts allgemeiner Mittelknappheit auch ein ethisches Gebot.
Die zehn Punkte zur ökologischen Transformation gibt es auch als PDF zum Download mit mehreren Grafiken unter
https://www.konstanz.ihk.de – 5365236 und
www.wirtschaft-im-suedwesten.de/rubrik/downloads