Die Industrie- und Handelskammern ziehen ein gemischtes Fazit zum jüngsten „Faktencheck“ des Gäubahnausbaus. Einerseits habe das Gesprächsformat die Diskussion objektiviert und Planungshorizonte genannt. Andererseits sei auch die ganze Abhängigkeit des südlichen Baden-Württembergs vom Stuttgarter Hauptbahnhof offenbar geworden. Entsprechend ganzheitlich müssten die nächsten Schritte gegen eine Abbindung des südlichen Baden-Württembergs gestrickt werden.
Birgit Hakenjos, Präsidentin der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg betont: „Die angedachte S-Bahn-Lösung von Stuttgart in Richtung Singen darf nur ein Mosaikstein im Ausbau der Schienenstrecke Stuttgart-Zürich sein.“ Die IHKs entlang der Gäubahn skizzieren fünf neuralgische Felder für den weiteren Ausbau.
Güterverkehr berücksichtigen
Der „Faktencheck“ fokussierte die Erreichbarkeit des Stuttgarter Hauptbahnhofes für Pendler und Geschäftsreisende. Die IHKs unterstreichen diese Bedeutung. Hakenjos: „Die Auswirkungen auf den Schienengüterverkehr sind in einem Folgeschritt zu untersuchen.“ Bei Spediteuren und Logistikunternehmen komme es sonst landesweit gegebenenfalls zu Auswirkungen auf Liefer- und Transportwege. Die Gäubahn dürfe nicht weiter zu einer untertourig genutzten Strecke mit wenig Güterzügen und langen Transportzeiten degradiert werden.
Planungsbeschleunigung für den Abschnitt Süd
Ebenso nachrangig wurde die Ausbauplanung des Streckenabschnitts Süd zwischen Böblingen und der Schweizer Grenze betrachtet. „Wir IHKs bekräftigen aber die Zielsetzung, dass die Gäubahn so schnell wie möglich deutschlandtaktfähig und zweigleisig befahrbar sein muss“, bekräftigt Birgit Hakenjos. Das gelte für Personen- und Güterverkehre. Dies habe Deutschland im Vertrag von Lugano zugesichert. Bei Planung und Bau sollten die Maßnahmenträger sämtliche planerische Beschleunigungsmöglichkeiten, die sogenannte „Legalplanung“, nutzen. Ebenso seien die Finanzierung des Gäubahnausbaus und die Kosten der angestrebten Übergangslösungen final zu klären.
Das Bündnis
Die Industrie- und Handelskammern agieren gemeinsam mit Schweizer Unternehmensvertretern zum Ausbau der Gäubahn. Mit dabei in diesem grenzüberschreitende Bündnis der Wirtschaft zum Ausbau der Schienenachse Stuttgart-Zürich sind die IHKs Schwarzwald-Baar-Heuberg, Region Stuttgart, Reutlingen, Nordschwarzwald und Hochrhein-Bodensee sowie der VSL Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg und der Interessenverband Gäu-Neckar-Bodenseebahn. Aus der Schweiz wird die Initiative unterstützt vom Schweizerischen Dachverband der Wirtschaft economiesuisse, dem Speditionsverband Spedlogswiss, der Handelskammer Deutschland-Schweiz, der Zürcher Handelskammer sowie der Industrie- und Wirtschaftsvereinigung Schaffhausen.
Philipp Hilsenbek, Fachbereich Standortpolitik
Telefon: 07721 922-126
Mail: hilsenbek@vs.ihk.de
Beschaffung zusätzlicher Züge
Die diskutierte Ausweitung der S-Bahn von Stuttgart in Richtung Singen begrüßen die Kammern. Auch hier sei die Finanzierung seitens der Projektträger zu lösen. Hier bräuchte es ein belastbares Zeichen – auch seitens Landespolitik und dem Verband Region Stuttgart. Die Beschaffung zusätzlicher S-Bahn-Züge dürfe beispielsweise nicht gegen die Ausstattung angrenzender und angedockter Verkehrswege gehen. „Auf keinen Fall darf der Aufbau einer S-Bahn-Verbindung aus Richtung Singen nach Stuttgart zur Ausdünnung angrenzender Verkehrsnetze führen“, unterstreicht die IHK-Präsidentin.
Stabiler Fahrplan
Ein Ausbau der S-Bahn-Strecke werde zusätzliche Fahrzeuge benötigen. Ebenso werde es zu Auswirkungen auf die bestehende Gleisnutzung und die Fahrpläne kommen. Etwaige Fahrplananpassungen sollten im Schulterschluss mit den Regionalbahnen und Verkehrsverbünden südlich von Böblingen gelöst werden. Keinesfalls dürfe es zu Verschlechterungen für die Querverbindungen kommen. Die IHK-Präsidentin betont, dass das Gegenteil der Fall sein müsse. „Die Querverbindungen in den ländlichen Raum müssen attraktiver werden.“ Beispielhaft gelte das für den Metropolexpress nach Freudenstadt oder eine zukünftige umstiegsfreie Verbindung von Stuttgart nach Nagold. Weiter Richtung Süden gelte es dann beispielsweise auch die Anbindung an die Schwarzwaldbahn und die Höllental-Bahn zu stärken. Gleichzeitig dürfe die Fahrplanstabilität im S-Bahn-Kernnetz nicht leiden: insbesondere im Bezug an der S-Bahn-Stammstrecke Stuttgart.
Tunnel Vaihingen als Nadelöhr entschärfen
In der IHK-Bewertung wird der S-Bahn-Halt in Stuttgart-Vaihingen für die weiteren Jahre neuralgisch. Einerseits für den Pendlerverkehr, andererseits in seinen Auswirkungen für die Taktung aller weiteren Fahrpläne südlich von Stuttgart. Umso wichtiger sei die Schaffung des Nordhalts für Pendlerverkehre im Norden Stuttgarts. Er schaffe Redundanzen und gebe Zugfahrenden Planungssicherheit – beispielsweise im Falle von Baumaßnahmen an der S-Bahn-Stammstrecke.
Zusammengefasst pochen die IHKs im Schulterschluss auf den zweigleisigen Ausbau zwischen Stuttgart und Zürich für Personen- und Güterverkehre. Birgit Hakenjos abschließend: „Es schmerzt, dass die angedachte Interimslösung mit Nordhalt, Bahnhalt Vaihingen und S-Bahn-Anbindung zwischen sieben und 15 Jahren betragen soll. Umso wichtiger ist jetzt, dass geplant und gebaut wird: zeitnah und zügig, unter Zusagen von Finanzmitteln und der Einhaltung geschlossener Verträge.“ Die Zukunft der Gäubahn hätten viele Seiten zu lange vertagt. Der Süden Baden-Württembergs habe nun die klare Erwartungshaltung, dass die Gleisinfrastruktur leistungsfähig und zukunftsfest gebaut wird.
Text: Hi
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