Die Wirtschaftsregionen entlang der deutsch-schweizerischen Grenze sind eng miteinander verbunden. Diese Verbundenheit prägt das Leben der Menschen und die Wirtschaft. Darüber und warum die gute Zusammenarbeit nicht gefährdet werden darf, haben wir mit Katrin Klodt-Bußmann, Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee, und Jérôme Müggler, Direktor der IHK Thurgau, gesprochen.
Frau Klodt-Bußmann, Herr Müggler: Wie würden Sie die deutsch-schweizerische Wirtschaftsregion beschreiben?
Katrin Klodt-Bußmann: Die traditionell starke wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verflechtung im deutsch-schweizerischen Grenzraum ist das herausragende Merkmal unserer Region. Unser Wirtschaftsraum ist so eng verwoben, dass wir eigentlich nicht von zwei Regionen sprechen können. Charakteristisch ist auch die Branchenvielfalt. Hier sind viele Unternehmen aus verschiedenen Sektoren ansässig, darunter Maschinenbau, Chemie, Pharma, Elektro- und Feinmechanik, aber auch eine bunte Gründerszene in den Bereichen Nachhaltigkeit, Medizintechnik, Bildung und KI.
Jérôme Müggler: Ich kann das nur bestätigen. Auch in den Bereichen Handel, Forschung und Entwicklung, Logistik und Tourismus ist unsere Region stark. Die Wirtschaftsstruktur im Süden Deutschlands und in der Nordschweiz ist zudem sehr ähnlich und vor allem mittelständisch geprägt. Viele Unternehmen sind inhabergeführt und Hidden Champions, die im globalen Markt aktiv sind.
Klodt-Bußmann: Vielleicht ist das auch ein Grund, warum unsere Grenzregion gern unterschätzt wird. Es gibt nicht den einen großen Industriestandort. Deswegen ist vielen auch nicht bewusst, wie stark unsere Region ist. Wäre die internationale Bodenseeregion ein Nationalstaat, würde er mit einer Bruttowertschöpfung von 67.000 Euro pro Einwohner zu den fünf wirtschaftsstärksten Staaten Europas gehören.
Müggler: Damit das so bleibt, müssen die Grenzen für den Handel und den Personenverkehr offen sein. Offene Grenzen fördern wirtschaftliche Aktivitäten. Das kann man in Konstanz bei der Schänzlebrücke gut sehen. Täglich passieren dort tausende Autos und Lastwagen in beide Richtungen die Grenze. Würde man die Grenze schließen oder den Übergang erschweren, wirkt sich das direkt auf die Wirtschaft und das Leben der Menschen im Grenzraum aus.
Klodt-Bußmann: Das konnten wir gut beobachten, als während der Corona-Krise die Grenzen zeitweise geschlossen waren. Tausende Pendlerinnen und Pendler, die täglich zur Arbeit in die Schweiz fahren, waren betroffen. Dem deutschen Einzelhandel fehlte plötzlich die Schweizer Kundschaft. Und die Unternehmen, die häufig Standorte auf beiden Seiten der Grenze unterhalten, wussten zeitweise nicht, wie sie ihre Lieferketten und Produktionen aufrechterhalten können. In dieser Zeit wurde besonders deutlich, wie wichtig es ist, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert.
Wo sehen Sie Herausforderungen?
Müggler: Aktuell sehe ich vor allem die laufenden Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über die Weiterentwicklung bilateraler Verträge als Herausforderung, die auch die Grenzregion betreffen. Dabei geht es um eine Handvoll Marktzugangsabkommen, von welchen beide Seiten stark profitieren. Wenn der bilaterale Weg weiter erodiert, würde dies dem Handel in der Region schaden.
Klodt-Bußmann: Dass die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU so schwierig sind, hat auch mit den unterschiedlichen politischen Systemen zu tun. Für die Menschen in der Schweiz ist die direkte Demokratie mit Volksabstimmungen sehr wichtig. Das sollten wir respektieren.
Müggler: Ein wichtiger Punkt in den Verhandlungen ist die Rolle des Europäischen Gerichtshof (EuGH), der im Streitfall europäisches Binnenmarktrecht auslegen soll. Die Schweiz kennt ihrerseits keine Verfassungsgerichtsbarkeit im eigentlichen Sinne. Deshalb ist es für die Schweiz schwieriger, ein System zu akzeptieren, in dem das Stimmvolk nicht das letzte Wort haben würde. Im Gleichen muss die Schweiz verstehen, dass eine Teilnahme am Binnenmarkt eben an gewisse Regeln gebunden ist, die auch für die EU-Mitglieder gelten.
Wird es eine Lösung geben?
Klodt-Bußmann: Fehlen entsprechende bilaterale Abkommen, ist das für die Unternehmen mit viel Aufwand und Kosten verbunden. Abkommen schaffen Rechtssicherheit, minimieren Handelshemmnisse und unterstützen die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft von Unternehmen in beiden Regionen. Die Abkommen bieten klare und einheitliche Regeln und reduzieren Unsicherheiten, insbesondere bei Fragen der Produktsicherheit, Umweltstandards und technischen Vorschriften. Angesichts der zahlreichen Gespräche zwischen deutschen und Schweizer Akteuren und dem spürbaren Willen auf beiden Seiten, die enge Zusammenarbeit zu vertiefen, bin ich dennoch optimistisch. Die Beziehungen der Schweiz und der EU gleichen manchmal einer Familie. Man setzt sich auseinander, es wird intensiv diskutiert und findet schließlich eine gute Lösung.
Müggler: Ich finde das Bild der Familie sehr schön. Wir haben einen vertrauten Umgang, sind eng verbunden und wissen, was wir aneinander haben. Manchmal wird intensiv diskutiert und verhandelt – und dann finden wir eine gute Lösung. Gerade weil die Import- und Export-Zahlen eindeutig zeigen, wie sehr beide Seiten voneinander profitieren. Selbst bei Kritikerinnen und Kritikern der bilateralen Verträge herrscht dann oft großes Staunen.
Klodt Bußmann: Wir müssen den Menschen immer wieder erklären, was auf dem Spiel steht. Hierfür ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Industrie- und Handelskammern (IHKs), wie zwischen Deutschland und der Schweiz, von großer Bedeutung. Der regelmäßige Austausch der IHKs stärkt die Stimme der Unternehmen in unserer Region gegenüber Regierungen und internationalen Institutionen. Interview: Heike Wagner
Zu den Personen
Katrin Klodt-Bußmann (53) ist seit Januar 2024 die neue Hauptgeschäftsführerin der IHK Hochrhein-Bodensee. Zuvor war sie Professorin für Wirtschaftsrecht sowie unter anderem für Großkanzleien und einen Automobilkonzern tätig.
Jérôme Müggler (44) ist seit 2019 Direktor der Industrie- und Handelskammer Thurgau. Zuvor war er für das Beratungsunternehmen KPMG in Zürich tätig. Studiert hat der Thurgauer Geschichte und deutsche Literatur an der Universität Zürich sowie strategisches Marketing und marktorientierte Unternehmensführung an der Universität Basel.