Wie geht es der Ausbildung im IHK-Bezirk Hochrhein-Bodensee? Werden die Unternehmen trotz wirtschaftlicher Sorgen aufgrund der Coronapandemie ihre Azubis halten? Was bedeutet weniger Ausbildungsengagement in Zukunft für die Wirtschaft? Bei der Sommervollversammlung der IHK Hochrhein-Bodensee in Singen ging es um diese Fragen.
Bisher haben nur wenige Auszubildende coronabedingt ihren Ausbildungsplatz verloren. Das sind gute Nachrichten. Auch eine erhöhte Anzahl von aufgelösten Ausbildungsverhältnissen können wir aktuell nicht feststellen“, sagt Thomas Conrady, Präsident der IHK Hochrhein-Bodensee. „Im Landkreis Konstanz wurden seit Anfang März aus unterschiedlichen Gründen 58 Ausbildungsverträge aufgelöst, in den Landkreisen Waldshut-Tiengen und Lörrach sind es seit Anfang März gerade einmal 36 Auflösungen, davon keine in der Gastronomie, und nur insgesamt 29 aus dem Einzelhandel.“ Das sei absolut im Rahmen. Doch das müsse nicht so bleiben. Thomas Conrady: „Es besteht die Gefahr, dass eine Reihe von Insolvenzen auf uns zukommt und dass Unternehmen in einem zunehmend schwierigen Marktumfeld ihre Ausbildungstätigkeit – wenn auch vielleicht nur vorübergehend – reduzieren oder einstellen. Vereinzelt mag dies verkraftbar sein, aber wenn alle gleichzeitig die Luft anhalten, fehlen uns ein kompletter Azubijahrgang – und drei Jahre später dann die entsprechenden Fachkräfte.“ Das dürfe nicht passieren.
Zu Gast bei der IHK-Sommersitzung war Jutta Driesch, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg. Sie sprach sowohl über die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt als auch über die Lage der Ausbildung. „Es ist absolut positiv, dass bisher in unserer Region noch kein Jugendlicher durch Corona den Ausbildungsplatz verloren hat. Nahezu alle Unternehmen haben ihre Azubis behalten.“ Das sei nicht überall so. Bezüglich der angebotenen Stellen hätten sich die Zahlen im Vergleich zu den vergangenen Jahren kaum geändert. „Wir verzeichnen einen Rückgang von 3,5 Prozent, was normale Schwankungen sind. Der Landesschnitt liegt bei acht Prozent. Und wir haben noch immer deutlich mehr Ausbildungsplätze als Bewerber“, so Jutta Driesch. „In diesem Jahr möchten wir die Schulabgänger und jungen Erwachsenen besonders ermutigen: Informiert euch! Die duale Ausbildung macht auch 2020 keine Pause.“
Sorge macht der Agenturchefin das sogenannte Matching – das Zusammenführen von persönlicher Neigung und Stärke des Auszubildenden mit einem adäquaten Ausbildungsplatzangebot in einem Unternehmen. Die gängigen und erprobten Formate dafür wie Berufsbildungsmessen, Jobdays und Schnuppertage in den Unternehmen sind wegen Corona ausgefallen beziehungsweise nicht durchführbar. Damit fehlt ein wesentliches Tool für die erfolgreiche Ausbildungsplatzvermittlung: der persönliche Kontakt. Telefonische Beratungsangebote und Hotlines bieten Ersatz, werden von den Jugendlichen aber nur zögerlich angenommen. Jutta Driesch appelliert an die Jugendlichen, die Zeit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.
Was für die Unternehmen gilt, gilt auch für die Schulabgänger: „Wer jetzt aus einer allgemeinen Verunsicherung heraus auf Stand-by geht, verliert ein ganzes Lebensjahr“, mahnt Alexandra Thoß, bei der IHK verantwortlich für die duale Ausbildung. Sie hofft, dass die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge noch weiter aufholt – bis dato liegt sie noch um fast zwanzig Prozent unter dem Vorjahreswert.
Die Botschaft von Thoß, Driesch und Conrady ist klar. Sie appellieren an die Unternehmen, sich weiterhin in der dualen Ausbildung zu engagieren, ihre Azubis zu halten und neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Gleichzeitig ermutigen sie junge Menschen, eine Ausbildung in Betracht zu ziehen und als Alternative zum Studium zu sehen. „Wir sollten jede Möglichkeit nutzen, damit weiter ausgebildet wird. In einigen Jahren werden diese jungen Fachkräfte dringend gebraucht werden“, ist Jutta Driesch überzeugt. Sicher ist jedenfalls, dass Ausbildung, die heute versäumt wird, in drei Jahren nicht mehr nachgeholt werden kann.
hw