Um nicht weniger als die Zukunft der deutschen Automobilzulieferer ging es beim zweiten Automotive-Gipfel der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und der WVIB Schwarzwald AG. Über 120 Gäste aus der Automobilindustrie waren der Einladung nach Donaueschingen gefolgt, um sich über aktuelle Trends, Entwicklungen und Zukunftsprognosen neuer Technologien zu informieren.
Dabei gab es nicht nur die fachliche Einschätzung der Keynote-Speaker, sondern auch Vorträge zu Technologien und Strategien, um den Strukturwandel im eigenen Unternehmen zu implementieren.
Herausforderung: Bewältigung des Strukturwandels
„Die Aussage, ‚Der Verbrennungsmotor ist tot‘ ist ebenso falsch wie ‚Der Elektromotor ist grün‘“, sagte IHK-Präsidentin Birgit Hakenjos-Boyd und verdeutlichte damit, wie unsachlich die Debatte um den Strukturwandel in der Automobilindustrie mitunter noch immer geführt werde. Hakenjos-Boyd plädierte dafür, den Markt und die Kunden entscheiden zu lassen: technologieoffen und frei von politischen Markteingriffen. Auch WVIB-Präsident Thomas Burger warnte vor der Lenkung aus der Politik. „Die Bewältigung des Strukturwandels ist eine Herausforderung, hier muss der ganze Schwarzwald zusammenhalten. Kluge Allianzen kosten weniger; aber die müssen uns selbst einfallen, wir sollten nicht auf politische Förderprogramme warten.“
Keynote-Sprecher Stefan Bratzel, Professor und Direktor des Center of Automotive Management, benannte die Kernpunkte der Mobilität: Der Verbrennungsmotor, der Fahrzeugbesitz und manuelles Fahren. Doch diese drei Paradigmen würden sich gerade grundlegend verändern. Der US-amerikanische Elektroauto-Hersteller Tesla habe vergangenes Jahr 100 000 Fahrzeuge produziert und inzwischen den Marktwert von BMW erreicht. Die US-amerikanische Fahrdienstvermittlung Uber habe durch ihr Sharing-Angebot den Wunsch nach Fahrzeugbesitz aufgeweicht, und die Konnektivität sei ein dritter großer Faktor, der das alte Paradigma des manuellen Fahrens hin zum autonomen Fahren verändere. In zehn Jahren würde man den Dieselskandal rückblickend als Wendepunkt in der Automobilindustrie bezeichnen, prognostizierte Bratzel: „Das Vertrauen in die Branche ist erschüttert.“ Die Nachfrageveränderung vom Diesel hin zum Benziner habe sich nicht nach dem Skandal ergeben, sondern erst seit den Fahrverboten in den Städten. Zwar werde der Verbrennungsmotor auch in den kommenden zehn Jahren noch eine wichtige Rolle spielen, trotzdem bedeutet das für Zulieferer, sich heute für die Zukunft zu rüsten.
Mobilitätsbedürfnis bleibt
„Sicher ist man, wenn man weitere Standbeine aufstellt. Das Mobilitätsbedürfnis bleibt, es gibt enorme Chancen, Geld zu verdienen.“ „Strukturwandel ist das Tagesgeschäft des industriellen Mittelstands, und das seit über 200 Jahren. Der Technologiewandel wird weitergehen – wie schnell, das ist die eigentliche Frage. Einen Blitz aus heiterem Himmel wird es jedoch nicht geben“, sagt WVIB-Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer.
IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Albiez und Christoph Münzer blicken zuversichtlich auf die Zukunft der Automobilindustrie der Region. „Wir wissen aus allen Umfragen, dass die Zulieferer darauf vorbereitet sind. Es wird niemanden überraschen, das Worst-Case-Szenario wird nicht stattfinden“, sagte Albiez. Und auch Münzer ist sicher, dass der Strukturwandel nicht von heute auf morgen stattfinden werde. Er sieht im Wandel eine Chance für den Hybridantrieb, bei denen Verbrennungs- und Elektromotor kombiniert sind. „Das ist als Brückentechnologie bezeichnet worden, aber manche Brücken halten sehr lang.“ Doch auch wenn der Mittelstand der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg hellwach sei, wie Albiez sagte, so habe er doch auf vier Dimensionen relativ wenig Einfluss: Politische Entscheidungen, Konzerne, weltweite Trends und die Technologien, die sich durchsetzen. „Das schafft keiner mehr allein, der Mittelstand muss zusammenkommen.“
VG
»Der globale Handel verändert die Märkte nachhaltig«
Interview mit Stefan Bratzel zur Mobilität der Zukunft
Die Schlagzeilen zur Zukunft der deutschen Automobilindustrie reißen nicht ab, auf die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg wirkt sich die Diskussion unmittelbar aus. Mit über 700 Zulieferunternehmen und rund 60.000 Beschäftigungsverhältnissen ist die Zuliefererindustrie ein bedeutender Wirtschaftszweig für die Region. Einen unabhängigen Ausblick auf die Zukunft der Mobilität und die Auswirkungen auf die Zulieferindustrie gibt der Automotive-Experte Stefan Bratzel. Der Professor war Gastredner beim jüngsten Automotiv-Gipfel in Donaueschingen.
Herr Bratzel, wie sieht Ihre Vision von der Mobilität der Zukunft aus?
Drei Trends prägen die Zukunft der Mobilität: E-Mobilität, autonomes Fahren und intermodale Mobilitätskonzepte. Künftig wird jeder ein Mobilitätsabo von einem intermodalen Mobilitätsprovider besitzen, über den Reisen gebucht und abgerechnet werden können. Dies wird auch neue Player aus der IT- und Softwarewelt ins Spiel bringen. Hier stellt sich die Frage: Warum kommen diese in die Mobilitätswelt, und was sind die Geschäftsmodelle, die diese in Zukunft auszeichnen? Wir erleben momentan drei Revolutionen, auf denen die neuen Geschäftsmodelle aufbauen. Die erste Revolution ist die Mobilitäts-Effizienz-Revolution. Im Wesentlichen bauen die Geschäftsmodelle darauf auf, dass das Auto relativ wenig genutzt wird. 95 Prozent seiner Zeit steht es ungenutzt herum. Die Geschäftsmodelle, die künftig entstehen werden, versuchen, die Effizienz zu erhöhen, etwa durch Carsharing oder Fahrdienste. Die zweite ist die Mobilitäts-Zeit-Revolution. Wir verbringen durchschnittlich vier Jahre unseres Lebens im Auto. Und wenn jetzt die Fahraufgabe entfällt, kann diese Zeit sinnvoll genutzt werden. Das ist der Punkt, auf dem neue Geschäftsmodelle aufsetzen. Die dritte ist die Mobilitäts-System-Revolution. Diese geht von einem anderen Nutzungsmuster aus. Wer ein Auto vor dem Haus stehen hatte, dachte und plante seine Wege mit seinem Auto. Durch mobile Endgeräte und Apps wird die Verkehrsplanung zu einer inter- oder multimodalen Verkehrsplanung. Also eine verkehrsträgerübergreifende Routen- und Mobilitätsplanung. Auch das ist eine Veränderung, die wiederum neue Geschäftsmodelle ermöglicht.
Zur Person
Stefan Bratzel, geboren 1967, ist Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM). Das CAM ist ein unabhängiges, wissenschaftliches Institut für empirische Automobil- und Mobilitätsforschung sowie für strategische Beratung und Bratzel ein von Automobilherstellern, Zulieferern sowie Medien viel gefragter Experte zu Themen rund um die Automobilbranche. Sein Expertenwissen fußt darüber hinaus auf vielfältigen beruflichen Stationen unter anderem als Produktmanager bei Smart, als Programm Manager, Product Line Automotive, bei Group3G in München und als Leiter Business Development Automotive bei der PTV-Group in Karlsruhe. Der Professor ist seit 2004 Dozent und Studiengangsleiter für Automotive Management an der privaten Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach.
Die angeführten Mobilitätkonzepte lassen sich in der Stadt sicherlich gut umsetzen. Welches Mobilitätsszenarium sehen Sie in ländlichen Regionen?
In ländlich geprägten Gebieten wird der private Autobesitz auch künftig noch die Hauptrolle spielen. Aber auch hier werden neue Mobilitätsdienstleistungen, wie Shuttle-on-Demand und längerfristig auch autonomes Fahren eine immer zentralere Rolle spielen.
Wo liegt künftig der wesentliche Teil der Wertschöpfung von Automobilherstellern?
Die Formel lautet: Mobilität der Zukunft ist gleich Software multipliziert mit Dienstleistungen im Quadrat. Die Wertschöpfung liegt künftig im Wesentlichen in der Entwicklung von Dienstleistungspaketen und entsprechenden Softwareanwendungen. Es wird einen Kampf der Welten geben zwischen Autobauern und Big Data Playern wie Google, Apple und Alibaba.
Das Rennen wird der machen, der mit attraktiven neuen Geschäftsmodellen die Kundenschnittstelle besetzt. In einem langfristigeren Zukunftsszenario ist es auch denkbar, dass Robo-Taxis Bestandteil des Mobilitätskonzepts sein werden. Sie fahren elektrisch und suchen sich je nach Auslastung eigenständig induktive Ladestationen und wirken gleichzeitig als Energiepuffer für das Stromnetz.
Die neuen Formen der Mobilität sind das eine, was ist aber mit dem Elektroantrieb?
Das wird auch kommen, aber wir werden Geduld brauchen. Uns fehlt in Deutschland eine dichte Schnell-Lade-Infrastruktur. In 15 bis 20 Minuten muss eine Batterie zu 80 Prozent geladen sein, das wäre ein akzeptabler Standard für Autofahrer. Natürlich ist das auch wieder ein Parkplatzthema, besonders in Städten. Denn nur die Wenigsten haben zu Hause eine Garage, wo sie ihr Auto selbst aufladen könnten. Wenn aber der Markt für Mobilitätsdienstleistungen langsam entsteht, dann werden mehr Menschen auf das eigene Auto verzichten. Wir bräuchten also weniger Parkplätze, damit entsteht neuer Raum für Ladestationen.
In der Region gibt es viele Zulieferunternehmen, die in erster Linie für konventionelle Antriebe produzieren. Welche Auswirkungen könnten die von Ihnen beschriebenen Trends auf sie haben? Und was müssen sie tun, um sich für die Zukunft zu rüsten?
Für Zulieferer, die vor allem auf den Verbrennungsmotor setzen, werden schwierige Zeiten kommen. Der Kostendruck wird steigen und ab 2025 auch die Volumina sinken. Es ist höchste Zeit, sich nach alternativem Geschäft rund um Elektromobilität umzusehen, denn die Wertschöpfung rund um den Verbrennungsmotor wird sich perspektivisch verkleinern. Aber man kann auch versuchen, zu den Konsolidierungsgewinnern zu zählen, also in seinen Feldern Wettbewerber aufzukaufen. Riskant, aber möglich. Erste wichtige Schritt sind allgemein ein gutes Netzwerk sowie stets am Puls der Zeit zu sein. Beispielsweise informieren Netzwerke und Veranstaltungen wie der Automotive-Gipfel der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und der wvib Schwarzwald AG über neue Entwicklungen und Trends. Die Teilnehmer erhalten von Referenten aus OEMs, Zulieferunternehmen und der Forschung wichtige Impulse, wie sie die aktuellen Herausforderungen zur Chance machen können.
Interview: Daniela Jardot
IHK-Ansprechpartner
Daniela Jardot
Fachbereich Innovation | Umwelt
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