Hybride Arbeitsformen stellen Führungskräfte vor ganz neue Organisationsaufgaben. Damit virtuelle Zusammenarbeit dauerhaft gelingt, sind klare Regeln und viel Kommunikation nötig.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Im Durchschnitt wünschen sich Beschäftigte drei Homeoffice-Tage pro Woche. Die Präferenzen für hybrides Arbeiten steigen seit der Pandemie Jahr für Jahr. Das ist das Fazit einer Langzeitstudie der Universität Konstanz unter 699 Erwerbstätigen im Zeitraum März 2020 bis März 2023.
In vielen Stellenausschreibungen wird inzwischen örtlich flexibles Arbeiten in Aussicht gestellt. Sind das Arbeiten von zu Hause oder von anderen Orten – remote im eigenen Möbel oder mit Arbeitsplatz vom Arbeitgeber als Homeoffice – also inzwischen selbstverständlich? Hört man sich in der Region um, gibt es bei Arbeitgebern durchaus Skepsis. Mit einem kritischen Statement zitiert werden möchte aber niemand. Denn es herrscht Fachkräftemangel und es gilt, mögliche Talente nicht abzuschrecken.
Führungskräftetrainerin und Psychologin Laura von der Groeben kennt aus ihrer Beratungsarbeit zahlreiche Vorbehalte: Wie erhält man das Gemeinschaftsgefühl? Wie stellen Vorgesetzte sicher, dass Arbeitnehmer ihr Pensum erfüllen? Wie gehen sie mit der Ungerechtigkeit um, dass Mitarbeiter in Produktion und Handel nun mal nicht von zu Hause arbeiten können? „Klar gibt es Menschen, die vor Ort sein müssen. Meistens lässt sich die Verstimmung darüber auflösen, wenn man im Team darüber spricht, woher das Gefühl kommt, man werde ungerecht behandelt“, rät von der Groeben. Sie berichtet von einem Fall, bei dem Servicekräfte ärgerlich waren, dass Verwaltungsmitarbeiter teilweise von zu Hause arbeiten durften. Ein klärendes Gespräch half: Unter den Verwaltungskräften waren viele Mütter mit Kindern, die ihre Doppelbelastung von Arbeitspensum und Carearbeit besser von zu Hause erledigen konnten. Nachdem die Situation erläutert wurde, gab es Verständnis.
Unternehmerin Stephanie Holmes war früher selbst angestellt und musste pendeln. Spätestens, als das erste von heute zwei Kindern kam, empfand sie dies als Belastung. „Anderthalb Stunden vom Tag waren allein durch die Hin- und Rückfahrt weg. Es ist ein Riesenvorteil, wenn diese Zeit zur freien Verfügung steht.“ Diese Erkenntnis, gepaart mit der Beobachtung, dass „selbst in Weltkonzernen Mütter in Teilzeit häufig Aufgaben erledigen müssen, die weit unter ihrem Tätigkeitsniveau vor der Familienphase lagen“, inspirierten sie, neue Wege zu gehen. Als sie im Jahr 2010 ihre Social-Media-Beratung „YNovation“ gründete, fing sie zunächst mit einem Werkstudenten an – virtuell. Heute führt die 43-Jährige von Müllheim aus fünf Mitarbeiter, die in Freiburg, München, Paderborn, Stuttgart und am Bodensee sitzen und ihren Arbeitsalltag überwiegend von zu Hause, ab und zu auch in einem Coworking Space oder in einem Café gestalten. Nur zu bestimmten Workshops bei Kunden sehen sich die Kollegen in wechselnden Teams in Präsenz. „Meine Erfahrungen sind durchweg gut. Ich glaube, das liegt auch daran, dass wir vor der Einstellung sehr stark filtern und die Arbeitsweise sehr offen besprechen“.
Damit die virtuelle Zusammenarbeit klappt, hat die Geschäftsführerin eine „durchdachte Kommunikationsstruktur“ ausgetüftelt. Sie führt in regelmäßigen Abständen mit jedem Mitarbeiter telefonisch individuelle Statusgespräche. Einmal im Monat findet ein Onlinemeeting mit dem ganzen Team statt. Dabei werde ausführlich „privat gequatscht“ und alle Projekte nach Bedarf durchgesprochen. Ein Gemeinschaftsdokument, in dem das genau protokolliert wird, ist das Rückgrat dieser Treffen. Der Instant-Messaging-Dienst Slack dient als Teamchat. „Das ist Ersatz für den kurzen Schwatz über die Bürowand. Da fragt man auch mal ‚Hey, ist dein Kind wieder gesund?‘“, erklärt Holmes. Ansonsten werden Emails, Telefon und Zoom genutzt – wie in jedem anderen Büro auch.
Regeln fürs Kommunizieren
Psychologin Laura von der Groeben rät, Kommunikation klar abzusprechen. Konkret: Was wird erwartet, auf welche Nachrichten man wie schnell antworten sollte – und auf welchem Kanal. „In dringenden Fällen sollte man lieber zum Telefon greifen. Bei rein schriftlicher Kommunikation entstehen sonst schnell Missverständnisse.“
Bei Ynovation läuft Kundenkommunikation während der regulären Büroöffnungszeiten. Darüber hinaus können die Mitarbeiter ihre präferierte Arbeitszeit selbst bestimmen. „Man weiß heute, dass Menschen verschiedene Biorhythmen haben. Ich bin überzeugt, dass die Ergebnisse am besten werden, wenn man dann arbeitet, wann es einem am leichtesten fällt.“
Holmes schreibt nur Stellen mit maximal 30 Wochenstunden aus, zahlt aber ein nach eigenen Angaben vergleichbares Gehalt wie für eine Vollzeitstelle; Überstunden werden bezahlt. „Ich denke, gerade im virtuellen Team ist es unrealistisch, 40 Stunden die Woche produktiv zu arbeiten. Was bringt es mir, wenn Leute sich rumquälen, weil sie denken, sie müssten diese 40 Stunden vor dem Bildschirm absitzen?“ Ihr Angebot sei: Arbeite effizient in 30 Stunden. „Die restlichen zehn Stunden sind für meine Mitarbeitenden dafür da, sich eine Work-Life-Balance zu schaffen, die sie brauchen, um auszugleichen, dass es halt kein Schwätzchen am Kaffeeautomaten gibt.“
Viel Eigenverantwortung
Doch woher nimmt sie das Vertrauen, dass ihre Mitarbeitenden die Aufgaben gut und effizient erledigen? „Ich biete eine Mischung aus ganz viel Freiheit und hoher Eigenverantwortung“, sagt Holmes. Das heißt, ihre Mitarbeiter betreuen ihre eigenen Projekte und Kunden selbstständig und können den Ablauf nach eigenem Ermessen gestalten. Holmes diene bei Bedarf als „Backup und Sparringspartnerin“. „Das Gefühl, dass sie sich um ihr ,eigenes Baby‘ kümmern, löst etwas aus.“
Pygmalion-Effekt wird dieses Phänomen in der Wissenschaft genannt. „Wenn ich meinen Mitarbeitern sehr viel zutraue, schaffen sie viel mehr. Wenn ich dagegen sehr misstrauisch bin, erledigen sie vieles schlechter“, erläutert Psychologin Laura von der Groeben. Grund zur Sorge gäbe es ohnehin nicht: Inzwischen, so die Expertin, sei in zahlreichen Untersuchungen festgestellt worden, dass Mitarbeiter bei der Remotearbeit keineswegs faul herumliegen, sondern mindestens genauso viel leisten wie im Büro. Völlig im luftleeren Raum bewegt sich die Belegschaft von Ynovation dennoch nicht. Die Arbeitszeit pro Projekt wird über eine Time-Tracking-Software mitgeloggt. Zum einen, um dem Kunden gegenüber kommunizieren zu können, wieviel Arbeit in welche Aufgaben geflossen ist. Zum anderen, um zu verhindern, dass Kollegen mit dem Anspruch auf Perfektion zu viel Zeit an ein spezielles Problem verschwenden.
„Natürlich bekommt man etwas weniger von den privaten Sachen mit. Die Arbeit läuft trotzdem super und ich habe auch nicht das Gefühl, dass etwas aktiv vermisst wird.“ Ein- bis zwei Mal im Jahr gebe es einen Präsenzteamtag, bestehend aus „ein bisschen Arbeit und viel Spaß“: Projekte durchsprechen, Teamcoachings, Bogenschießen, gutes Essen. Ihre Mitarbeiter bewegen sich in der Altersrange zwischen 20 und 60 Jahren. „Ich habe das Gefühl, dass die Art zu arbeiten weniger vom Alter als vom Typ abhängt. Sowohl Eltern als auch die jüngere Generation ohne Kinder, die einer gute Work-Life-Balance viel Bedeutung zumisst, schätzten das Angebot.
Großer Talentpool
Als Arbeitgeberin sieht sie den Vorteil: „Mein Talentpool erstreckt sich auf ganz Deutschland.“ Das einzige Manko: Sie bekomme nicht ganz so schnell mit, wenn jemand in einem Projekt „in die falsche Richtung“ läuft. „Man hört halt nicht mit halben Ohr mit, wenn jemand mit einem Kunden telefoniert.“ Laura von der Groeben rät daher zu häufigeren, aber kurzen Telefonaten mit den Mitarbeitern. „Dabei sollte man nicht das Gefühl vermitteln, dass es um Kontrolle geht, sondern wertschätzend Interesse an der Arbeit des Mitarbeiters zeigen und Feedback einholen.“
Kreative und organisatorische Prozesse sowie Knowledgemanagement virtuell sicherzustellen, muss gut vorbereitet sein. „Das ist die Aufgabe einer Führungskraft – egal, ob in Präsenz oder virtuell“, meint von der Groeben. Folgt man den Autoren der Konstanzer Studie, müssen sich Arbeitnehmer darauf einstellen, dass es für immer mehr Beschäftigte nicht in Frage kommt, fünf Tage die Woche im Büro zu arbeiten. „Wir haben im Moment einen Arbeitnehmermarkt. Wenn auf qualifizierte Mitarbeiter Zwang ausgeübt wird, damit sie gegen ihren Willen dauerhaft ins Büro zurückzukehren, besteht die Gefahr, dass diese kündigen“, sagt von der Groeben. Genauso gebe es auch Mitarbeiter, die gerne die ganze Woche in einem lebhaften Büro sitzen und es schade finden, wenn sich alle nach Hause verziehen. Der Vorschlag der Beraterin: „Karten auf den Tisch“. Statt Druck auszuüben, rät sie zum offenen Gespräch, um die bestmögliche Lösung für alle Beteiligten auszuhandeln.
Text: Daniela Becker
Bild (oben): Adobe Stock/supamotion