Für dieses Rotkehlchen kommt jede Hilfe zu spät. Genauso wie für Millionen Artgenossen jedes Jahr. Fensterscheiben sind ein großes Problem für die Artenvielfalt. Ein Problem, das sich mit relativ wenig Aufwand lösen lässt. Gerade Unternehmen haben – wegen ihrer vielen Glasflächen – großes Potenzial als Umweltschützer.
Gut 16 Millionen getötete Vögel, deutschlandweit, jedes Jahr. Eine fast unbegreifliche Dimension. Und doch geht es noch viel schlimmer: Denn die 16 Millionen sterben im Straßenverkehr, etwa auf Autoscheiben. Fensterscheiben sind für Vögel die noch weit schlimmeren Todesfallen: Rund 100 Millionen Tiere prallen jährlich an ihnen ab und verenden. Ein Albtraum für den Artenerhalt. Die gute Nachricht: Immobilienbesitzer können leicht etwas dagegen tun – und allen voran Unternehmen, da ihre Gebäude die größten Fensterflächen aufweisen.
So macht man Brennpunkte aus
- Absuchen der Flächen unterhalb von Fenstern und Bestimmung der Vogelarten
- Zur Bestimmung der Vogelarten bei Bedarf Experten anfragen, zum Beispiel beim Nabu Baden-Württemberg oder den örtlichen Nabu-Gruppen
- Suche nach Anflugspuren an Scheiben (Kleingefieder) und Vogelresten am Boden (Rupfungen)
- Turnus: möglichst täglich, mindestens einmal wöchentlich
- Zeitraum: am besten ganzjährig, eventuell verkürzt auch Frühjahr bis Herbst, mindestens aber Juli bis November
- (Foto)-Dokumentation der Funde: Datum, Ort, Art, Finder, Fundumstände
Und das geschieht bereits. Mehr als 80 Firmen hat der Naturschutzbund (Nabu) in Baden-Württemberg in den vergangenen Monaten beraten – nicht nur, aber auch zum Thema Vogelschlag an Glasfassaden von Firmengebäuden. Da gibt es viel zu lernen. Anke Heidemüller und Caroline Wittor vom Landesverband räumen im Gespräch direkt mit der allgemeinen Vorstellung auf, ein paar aufgeklebte schwarze Greifvogelsilhouetten seien wirksame Instrumente, die Vögel zu schützen.
„Sie helfen den Tieren leider nicht zu unterscheiden, wo das Gebäude aufhört und wo der Himmel anfängt“, erklärt Projektleiterin Heidemüller. „Auch UV-Schutzfolien empfehlen wir nicht“, ergänzt Caroline Wittor, Teamassistentin Naturschutz. „Die Schutzwirkung reicht einfach nicht aus. Nicht alle Vögel erkennen UV und auch die, die es sehen, erkennen es nicht immer früh genug, um den Aufprall zu vermeiden.“
Fenster mit Mustern versehen
Entscheidend für die Fähigkeit, Hindernisse zu erkennen, ist für Amseln, Rotkehlchen und Co. vielmehr die Dichte von Markierungselementen, die man zum Schutz der Vögel auf das Glas aufklebt. Nicht größer als eine Handfläche soll der Abstand jeweils sein, lautet die Faustregel. Ist der Abstand größer, entsteht der Eindruck, hindurchfliegen zu können. Nachvollziehbar, wenn man bedenkt, wie flink sich beispielsweise Spatzen im dichten Gebüsch von Ast zu Ast bewegen. Wird dieses Kriterium beherzigt und umgesetzt, ist der Zweck erfüllt.
Und der Mustervielfalt sind keine Grenzen gesetzt. „Man kann Glas kreativ gestalten“, erklärt Anke Heidemüller. Ein gutes Beispiel liefert der Nabu selbst: Beim Bodenseezentrum des Nabu kurz vor der Insel Reichenau, das beim Neubau mit Vogelschutzglas ausgestattet wurde, hat man die Fenster mit einem schilfartigen Muster versehen. Es wurde vor dem Einbau mit der Vogelschutzwarte Sempach besprochen und in die Scheibe integriert. Dafür wurde das Muster mit einem speziellen Verfahren von innen in die äußere Scheibe eingeätzt.
Möglich ist auch, grafische Elemente als Folie auf Glas zu kleben, etwa Quadrate oder Linien. Wer möchte, kann die Gestaltung an das Corporate Design der Firma anlehnen oder die Produktpalette stilisieren. Wichtig ist, die Markierungen über die gesamte Fläche der Glasscheibe anzubringen. Um Spiegelungen zu durchbrechen, sollten die Folien stets von außen angebracht werden.
Beim Neubau Vogelschutz gleich mitbedenken
Konzeptionell freier sind Unternehmen und Architekten, die Neubauten planen und dabei von vornherein Über-Eck-Verglasungen und verglaste Durchgänge von einem zum anderen Gebäudetrakt vermeiden können. Oder sie setzen vogelfreundliche Varianten ein, etwa geriffeltes, perforiertes oder geätztes Glas, auch Drahtglas oder Milchglas gehören dazu.
Befürchtungen, der Blick aus dem Bürofenster hinaus würde versperrt oder die Muster würden irritieren, seien unbegründet, sagen die beiden Expertinnen. „Das Auge gewöhnt sich schnell an die Veränderung“, erklärt Caroline Wittor. Wer dennoch reduziert vorgehen wolle, könne sich für eine Minimalbeklebung etwa mit „SEEN“-Punkten entscheiden. Das sind unscheinbare Punkte der St. Galler Firma „SEEN AG“, die sich horizontal oder vertikal auf den Scheiben aufkleben oder – bei Neubauten – in das Glas einlaminieren lassen.
Gefährlich: Durchsicht und Spiegelungen
Vögel sehen Glas nicht. Problematisch sind vor allem die Spiegelung und die Durchsicht. Bei einer Spiegelung nehmen die Vögel an, da stehe ein Baum oder der Himmel gehe weiter, und fliegen gegen die Scheibe. Bei einer Durchsicht, etwa einer Über-Eck-Verglasung, einem gläsernen Gang oder zwei gegenüberliegenden Fenstern, erkennen die Tiere die Barriere nicht und bremsen nicht ab. Wer sein Gebäude nach solchen Konstellationen absucht, findet schnell die Problemstellen.
Gefahrenstellen identifizieren
Wie aber erkennt ein Unternehmen, dass Vogelschlagprävention am eigenen Gebäude sinnvoll wäre? – „Das ist durchaus tricky, denn nicht jeder Vogel wird von Mitarbeitern oder Passanten gefunden“, räumt Anke Heidemüller ein. Marder, Füchse, Katzen oder Greifvögel sind oft schneller und schnappen sich ihre Beute. Manche Opfer sterben zudem erst an ihren Verletzungen, wenn sie den unmittelbaren Fensterbereich bereits verlassen haben.
Ein Monitoring über einen Zeitraum beispielsweise von einem Jahr sei da hilfreich, sagt Caroline Wittor (siehe Kasten). So könne man Stellen, die offensichtlich Gefährdungen darstellen, turnusmäßig abgehen und dort nach toten Vögeln suchen. Den Job kann ein Hausmeister übernehmen oder Sicherheitspersonal, die ohnehin täglich ihre Runde drehen. Wichtig sei, dass man nicht sporadisch nachschaut, sondern regelmäßig. Eine andere Idee ist, das Personal von Fensterreinigungsfirmen zu bitten, sensibel zu sein für Aufprallspuren. Denn so bitter das ist: Tauben oder andere größere Vogelarten hinterlassen auf der Scheibe oft einen Puderabdruck, der Korpus und Flügel erkennen lässt. Kleinere Vögel hinterlassen manchmal kleine flaumige Federn am Glas.
Aufprallspuren, die noch beim Hinsehen wehtun, oder Schutzmarkierungen, die durch ihre Ästhetik ansprechen? Die Entscheidung sollte nicht schwerfallen, und schon gar nicht, wo die Umsetzung relativ einfach ist, wenn man sich an die Kriterien hält, die Vögel nachhaltig schützen können.
Text: Benedikt Brüne
Bilder: NABU/Stefan Bosch
Bilder unten: Große oder auch viele kleine Muster signalisieren Vögeln: Halt, hier gehts nicht weiter!
Beratungsangebot zur Vermeidung von Vogelschlag und anderen Themen naturnaher Gestaltung: Nabu-Landesverband Baden-Württemberg, www.UnternehmensNatur-BW.de
Broschüre „Vogelfreundliches bauen“ des Nabu zum Download über Vogelfreundliches Bauen – NABU BW