Sprachen anwenden, sich an einem fremden Ort zurechtfinden: Auslandspraktika ermöglichen jungen Menschen, wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Unternehmen, die solche Vorhaben fördern, können sich im engen Bewerbermarkt mit einem schönen Angebot abheben. Über die Vorteile von Programmen wie „Go.for.Europe“ und „Erasmus Plus“.
Das letzte Mal Englisch gesprochen hatte Luca Fröhlin vor vier Jahren in der Schule. Kein Wunder also, dass er vor seinem Auslandspraktikum ein wenig aufgeregt war, wie gut die Verständigung klappen würde. „Aber nach ein paar Tagen war ich dann wieder drin“, erzählt der 20-Jährige, der gerade im zweiten Lehrjahr eine Ausbildung zum Bauzeichner im Architektenbüro Lentz Frings Partner in Schliengen absolviert. Sein Chef, Hajo Frings, ist überzeugt, dass genau solche Selbsterfahrungen Auslandsbesuche so wertvoll machen. Der Architekt ermutigt alle seine Auszubildenden, den Blick jenseits der Landesgrenzen zu wagen. Um dies zu ermöglichen, nutzt sein Büro die Infrastruktur von Go.for.Europe, einem Gemeinschaftsprojekt der baden-württembergischen Wirtschaft, an dem auch die Industrie- und Handelskammern beteiligt sind. Zwei- bis dreimal im Jahr werden über das Programm vierwöchige Auslandspraktika für Azubis verschiedener Berufsrichtungen in europäischen Mitgliedstaaten durchgeführt. Die Nachwuchskräfte müssen in Baden-Württemberg wohnhaft sein und sich mit Motivationsschreiben und einem Lebenslauf bewerben.
„Wir schauen nicht so sehr auf die Noten, sondern wollen insbesondere jene Azubis fördern, die durch den Auslandseinsatz selbstbewusster werden und ihre Stärken kennenlernen“, sagt Michael Uriot, Projektleiter Go.for.Europe für den Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) und bei der IHK Südlicher Oberrhein angesiedelt. Entsendet werden bis zu 200 Azubis pro Jahr, aufgeteilt auf die drei Träger Baden-Württembergischer Handwerkstag, Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. (Südwestmetall) sowie die BWIHK. „Meistens können wir drei Viertel der Bewerbungen positiv bescheiden, einem Viertel müssen wir absagen.“ Eine Altersbegrenzung für die Teilnahme gibt es nicht.
Die Vorteile liegen für Uriot auf der Hand: Angehende Fachkräfte kommen deutlich eigenständiger zurück. Zudem bestehe auch die Chance, dass ein solches Angebot Azubis enger an den Betrieb bindet, weil sie wertschätzen, was ihr Arbeitgeber ermöglicht. „Wenn der am meisten motivierte Azubi die Chance bekommt, sich auf ein Auslandspraktikum zu bewerben, fungiert das natürlich auch als eine Belohnung“, sagt Uriot.
Go.for.Europe sucht gemeinsam mit der Partnerorganisationen vor Ort einen passenden Praktikumsplatz und kümmert sich um Versicherungen, Tickets für Hin- und Rückreise und die Unterkunft. Arbeitgeber Hajo Frings empfindet die Organisation über Go.for.Europe als „sehr rund“. Ein Rund-um-Sorglospaket sozusagen. Firmenseitig wird das Auslandspraktikum gehandhabt wie eine überbetriebliche Ausbildung, das heißt Azubis dürfen hierfür keinen Urlaub nehmen. Sie sind weiter sozialversichert und erhalten Lohn. Die Lehrlinge müssen lediglich einen kleinen Eigenanteil erbringen, der sich je nach Land zwischen 50 und 250 Euro bewegt. Für teilnehmende Unternehmen fallen keine Kosten an.
Wertvolle Lebenserfahrung
„Wir empfehlen das allen unseren Azubis, weil das Lebenserfahrung bringt, den Horizont erweitert und selbstständig macht. Alle, die bisher teilgenommen haben, haben wirklich profitiert“, sagt Hajo Frings. Die Auszubildenden, die bei ihm im Architektenbüro anfingen, haben in der Regel die mittlere Reife oder ein Fachabitur. „Die sind relativ jung und haben es in der Schule oft nicht einfach gemacht bekommen, ins Ausland zu gehen. Im Studium ist es relativ leicht, ein Auslandssemester zu machen und das fehlt hier halt total“, sagt Frings. Er habe den Eindruck, dass man dann nach der Ausbildung schnell in die Berufstätigkeit „hineinrutscht, damit nur noch über begrenzten Urlaub verfügt und sich dann in einem System befindet, wo man sich die Freiheit nicht mehr nimmt und die Erfahrung nicht mehr machen kann, dass man auch im Ausland zurechtkommt.“
Den Bewerbungsprozess beschreibt sein Azubi Luca Fröhlin als aufwendig, aber machbar. Für ihn ging es in ein Architektenbüro in Brescia, Italien. Angesprochen auf das Thema Eigenständigkeit, muss der angehende Bauzeichner ein bisschen grinsen: „Das stimmt schon mit der Selbstständigkeit, weil ich das von zu Hause nicht in diesem Ausmaß gewohnt bin, jeden Tag selber zu kochen, Wäsche zu waschen und den ganzen Rest. Das war echt nicht schlecht.“ Vor allem aber habe ihm gefallen, seine Sprachkenntnisse aufzupolieren.
Erasmus gibt es auch für Azubis
Ob auch sie tatsächlich „selbstbewusster“ zurückgekehrt sei, könne sie nicht beurteilen, meint Vanessa Bösch. Aber alle Rückmeldungen aus ihrem Umfeld deuten darauf hin. „Sie ist richtig strahlend durch die Gänge gelaufen“, sagt Bettina Schuler-Kargoll, Geschäftsführerin der Schuler Rohstoff GmbH, über ihre 19-jähre Auszubildende, die Anfang Juli aus ihrem vierwöchigen Praktikum in Irland zurück nach Deisslingen gekommen ist. Bösch befindet sich bei dem Entsorgungsfachbetrieb und Sekundärrohstoffhändler gerade im zweiten Lehrjahr zur Groß- und Außenhandelsmanagerin. In ihrer Zeit in Irland hat Bösch zunächst an einem einwöchigen Englischsprachkurs teilgenommen und anschließend in der Buchhaltung einer Catering-Firma mitgearbeitet. „Das war interessant zu vergleichen, welche Dinge wir gleich und welche wir anders in Deutschland machen.“
Bettina Schuler-Kargoll ist stolz auf die 70-jährige Ausbildungstradition ihres Familienbetriebs. „Wir sehen unsere Auszubildenden nicht einfach als billige Arbeitskräfte, sondern wollen den jungen Menschen in diesen drei Jahren was fürs Leben mitgeben.“ Soziale Umgangsformen, weniger Ellenbogen, mehr Interesse für andere, gerade auch andere Kulturen – all diese Softskills will die Geschäftsführerin ihren Schützlingen vermitteln. „Und es geht auch darum, den ‚europäischen Gedanken‘ zu leben“, betont die ehemalige Lehrerin und überzeugte Europäerin.
Der Betrieb nutzt die Unterstützung des EU-Programms „Erasmus“, das seit 2014 nicht mehr nur Studierenden dazu verhilft, Lebenserfahrung im Ausland zu sammeln, sondern auch Auszubildenden. Ein Praktikum über Erasmus Plus kann zwischen zwei Wochen und zwölf Monaten dauern. Die Auszubildenden können während oder auch kurz nach ihrer Ausbildung ins Ausland gehen, als Gruppe oder allein. Kosten für Reise, Unterkunft, Praktikumsvermittlung sind durch das „Erasmus+“-Stipendium gedeckt. Selbstverständlich sei so ein Angebot für Azubis nicht, weiß Vanessa Bösch. Viele ihrer Mitschüler lernen bei Unternehmen, bei denen Auslandserfahrung während der Lehrzeit kein Thema ist.
Ioannis Grizis, Ausbildungsleiter bei Schuler, hält das Angebot eines Auslandsaufenthaltes auch für ein geeignetes Instrument, den Ausbildungsberuf interessanter zu machen. „Wenn man beim Bewerbungsgespräch erzählt, dass es die Möglichkeit gibt, einen Monat ins Ausland zu gehen, werden alle sofort hellhörig“, sagt er. Für Bösch sei das Angebot zwar nicht das entscheidende Kriterium gewesen, den Betrieb auszuwählen, „aber es war auf jeden Fall ein Pluspunkt“. In der Gesamtschau ziehen Bösch und Fröhlin das gleiche Fazit zu ihrem Europa-Trip: „Absolut empfehlenswert“.
db
- Austauschprogramm der badenwürttembergischen Wirtschaft
Go.for.Europe: www.goforeurope.de
Ansprechpartner: Michael Uriot,
c/o IHK Südlicher Oberrhein (Lahr),
Telefon: 07821 2703 659
Mail: michael.uriot@freiburg.ihk.de - EU-Programm Erasmus Plus: www.erasmusplus.de – berufsbildung