Seit 1. November können Wirtschaftsstreitigkeiten in Baden-Württemberg vor den sogenannten Commercial Courts ausgetragen werden. Dabei handelt es sich um spezialisierte Wirtschaftskammern (jeweils eine Zivil- und eine Handelskammer) bei den Landgerichten Mannheim und Stuttgart. Das Land möchte damit dem Trend, Wirtschaftsstreitigkeiten vor privaten Schiedsgerichten oder ausländischen Gerichten auszutragen, entgegenwirken und den Gerichtsstandort Deutschland attraktiver machen.
Die Commercial Courts entscheiden über nationale und internationale Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Kauf von Unternehmen/Unternehmensanteilen, Handels-, Bank- oder Finanzgeschäften und sonstige gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (teilweise jedoch erst ab einer Streitwertgrenze von zwei Millionen Euro). Sie sind mit drei auf das Wirtschaftsrecht spezialisierten (Handels-)Richtern besetzt. Die Zuständigkeit der Commercial Courts kann von den Beteiligten nicht vereinbart werden, sondern ergibt sich ausschließlich aus den Geschäftsverteilungsplänen der beteiligten Gerichte und den allgemeinen Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes.
Um die Verfahren möglichst effizient und flexibel gestalten zu können, sollen Videokonferenzen oder mehrtägige Verhandlungen am Stück ebenso ermöglicht werden wie die – für internationale Sachverhalte unumgängliche – Option, größere Teile des Verfahrens (insbesondere die mündliche Verhandlung) auf Englisch zu führen. Die Schriftsätze und das Urteil bleiben aber deutschsprachig oder bedürfen einer amtlichen Übersetzung.
Ob die Commercial Courts sich bewähren und von der Praxis angenommen werden, bleibt abzuwarten. Gerade in internationalen Streitigkeiten sind Schiedsverfahren beliebt. Sie sind vorteilhaft, wenn es an Vollstreckungs- und Anerkennungsabkommen für nationale Urteile fehlt oder Neutralität bei der Vereinbarung des zuständigen (Schieds-)Gerichts gewünscht ist. Zudem sind Schiedsverfahren nicht öffentlich und daher immer dann (besser) geeignet, wenn ein Streit und seine Details nicht publik werden sollen. Hinzukommt ein grundlegendes Problem, das die Commercial Courts nicht lösen können: Seit Jahren geht die Zahl neuer Gerichtsverfahren vor den Zivilgerichten zurück – von Massenverfahren wie den Dieselklagen einmal abgesehen. Im Wirtschaftsleben besteht mehr denn je die Neigung, sich außergerichtlich zu verständigen und sich die Zeit und die Kosten zu ersparen, die zwangsläufig mit einem (Gerichts- oder Schieds-)Verfahren verbunden sind.
Text: Tina Bieniek, Friedrich Graf von Westphalen & Partner
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