Schwere Krankheiten mit ungewissem Ausgang, um ihre Eltern trauernde Mitarbeiter, Fehlgeburten, Betriebsunfälle mit Todesfolge, der Suizid eines Kollegen – Tod und Sterben sind alltäglich, aber im betrieblichen Alltag häufig ein Tabuthema. Um angemessen sensibel reagieren zu können, sollten sich Führungskräfte mit dem Ernstfall präventiv auseinandersetzen, raten Heinke Wedler und Stefan Hund.
Wieso nennen Sie das Thema Trauer eine „Feuertaufe“ für Führungskräfte?
Heinke Wedler: In solchen Situationen zeigt sich Leadership. Durch unsensiblen Umgang mit der Trauer von Mitarbeitern kann man im Extremfall ein ganzes Unternehmen in die Krise stürzen. Ich kenne ein Beispiel, bei dem die Geschäftsleitung den Tod eines Mitarbeiters praktisch ignoriert hat, weshalb im Anschluss die komplette Vertriebsmannschaft kündigte, weil sie von dem Verhalten so empört war. Die Mitarbeiter hatten das Gefühl, sie seien nur eine Nummer.
Heinke Wedler, Stefan Hund
Heinke Wedler gründete 1995 ihr Ingenieurbüro für Arbeitssicherheit und Betriebliches Gesundheitsmanagement. Dabei begegneten ihr immer wieder Fälle, bei denen Führungskräfte Todes- und Trauerfällen hilflos gegenüberstanden, und Mitarbeiter, die sich vom Arbeitgeber im Stich gelassen fühlten. Stefan Hund, evangelischer Klinikpfarrer (i.R.), ist der Fachmann für psychische Belastungen im Kompetenzteam des Ingenieurbüros. Er hatte im Rahmen seiner Tätigkeit bereits zahlreiche Menschen in Todes- und Trauersituationen in Gemeinde, Klinik und Unternehmen begleitet. Gemeinsam entwickelten sie den „Schwarzen Brandschutzordner“, eine Checkliste ( www.schwarzer-brandschutzordner.de), mit der sich Führungskräfte und Unternehmer auf den Umgang mit Todesfällen im betrieblichen Umfeld vorbereiten können. Zudem unterstützen sie professionell in der Akutsituation. Im firmeneignen Podcast spricht Stefan Hund mit Führungskräften, die mit Trauer im Unternehmen konfrontiert waren (trauerimunternehmen.de/podcast).
Wie gut sind Unternehmen vorbereitet?
Stefan Hund: Die Technische Hochschule Würzburg hat für uns eine anonymisierte Umfrage durchgeführt: ‚Wo kam in Ihrem Unternehmen Tod und Trauer vor und wie ist damit umgegangen worden?‘. Die war zwar nicht repräsentativ, hat aber doch sehr interessante Ergebnisse erbracht: 80 Prozent der 140 Befragten sagten, Trauer war zu irgendeinem Zeitpunkt massiv Thema und hatte großen Impact auf die Arbeit, aber sie wussten nicht damit umzugehen, hatten keine Unterstützung von den Führungskräften und hätten sich Orientierung und bessere Kommunikation gewünscht. Dann offenbarte sich eine große Sprachlosigkeit über Suizide, was bei einem Viertel der Befragten Thema war, und, vielleicht überraschend, eine signifikante Menge sagte auch, sie waren stark beeinträchtigt aufgrund der Trauer um ein Haustier.
Was haben Sie aus diesen Erkenntnissen gemacht?
Wedler: Aus diesen Antworten haben wir mitgenommen, dass sich die Leute eine Hilfestellung wünschen, wenn es zu einem Todesfall kommt. Ich als Sicherheitsingenieurin war mit einem standardisierten Vorgehen sehr vertraut: Im Brandschutz gibt es einen Leitfaden, der sich präventiv damit beschäftigt, wie man sich im Ernstfall verhalten sollte. Und eines ist sicher: Im betrieblichen Kontext mit dem Thema Trauer in Berührung zu kommen, ist sehr viel wahrscheinlicher als ein Brand. Wir haben also analog einen Trauerleitfaden entwickelt. Diesen gehen wir mit Unternehmen durch und prüfen, was sie diesbezüglich vielleicht bereits in ihrem „Werkzeugkasten“ haben – wie etwa Sonderurlaub in Krisenfällen – und was fehlt.
Was gibt es denn zu beachten?
Wedler: Beispielsweise ganz viel Organisatorisches: Wie halten wir das mit der Beerdigung? Wer räumt den Spind aus und bringt den Angehörigen die Sachen? Auch hier ein Negativbeispiel: Eine schwangere Frau mit vier kleinen Kindern, deren Mann gerade verstorben war, wurde im ersten Kontakt mit der Firma aufgefordert, den Dienstwagen umgehend zurückzugeben. So etwas spricht sich herum und kann dem Firmenimage dauerhaft schaden. Der gedankenlose Klassiker ist, weiter einen Weihnachtsgruß an die Verstorbenen zu senden.
Menschen trauern unterschiedlich, kann man überhaupt pauschal etwas raten?
Hund: Wir haben vor allem die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, Führungskräfte zu ertüchtigen, wie man über Tod und Trauer spricht: Wer kommuniziert den Todesfall wie im Team? Und: Wie spreche ich mit Betroffenen? Es gibt auch interkulturell große Unterschiede mit Krankheit und Tod umzugehen. Dann ist es auch so, dass Trauernde die ersten Tage oder auch Wochen schlicht nicht arbeitsfähig sind. Auch auf so etwas muss man sich einstellen und damit umgehen. Grundsätzlich gilt: Man sollte Anteilnahme zeigen. Und dann natürlich ein persönliches Gespräch suchen und abfragen: Was braucht der Mitarbeiter? Die meisten wissen sehr genau, was ihnen hilft. Für den einen ist es das Beste in Ruhe gelassen werden, für den anderen Halt zu bekommen durch Arbeitsnormalität. Viele werden sich ohnehin krankschreiben lassen, aber man kann auch aktiv anbieten, dass jemand sich eine Auszeit nimmt – und klären, ob es okay ist, sich bei Fragen zu melden, um die Tür zur Kontaktaufnahme offenzuhalten. Das Angebot macht für die Betroffenen kommunikativ einen Unterschied.
Interview: Daniela Becker