Seit Ende März ist die chinesische Hafenmetropole wegen der „Zero Covid“-Strategie der chinesischen Regierung nahezu abgeriegelt. Mit immensen Auswirkungen für die Menschen und die Wirtschaft vor Ort, aber auch für hiesige Unternehmen, da eines der größten Drehkreuze des Welthandels seit Wochen weitgehend stillsteht. Andreas Krause, Director Market Entry bei der Auslandshandelskammer (AHK) Greater China, berichtet aus Shanghai, wie es sich in einer solchen Ausnahmesituation lebt und arbeitet und wie die AHK deutschen Unternehmen helfen kann.
Herr Krause, wie ist bei Ihnen in Shanghai aktuell die Versorgung mit Lebensmitteln sichergestellt?
Andreas Krause: Hauptsächlich läuft die Versorgung über Bestellungen per Social Media. Hier in China nutzt man dazu die Plattform WeChat. Unser gesamter Compound, unsere Wohnanlage, hat sich in verschiedenen WeChat-Gruppen themenspezifisch vernetzt. Der Haken: Es werden von Händlern zurzeit hauptsächlich Großmengen angeboten, zum Beispiel Eier mit einer Mindestabnahme von 30 Kisten. Per WeChat melden sich dann die Bewohner eines Compounds, die jeweils eine oder zwei Kisten haben wollen. Hat man die Mindestbestellmenge beisammen, werden die Eier in kurzer Zeit in den Compound geliefert.
Alle paar Tage kommen zudem Versorgungspakete von der Stadtregierung mit Obst, Fleisch und Gemüse und mittlerweile haben bereits wieder einige Supermärkte und ausgewählte Filialen von Restaurantketten geöffnet. Auch hier läuft es meist auf Großbestellungen hinaus. Sobald ein Mitbewohner von der Öffnung eines nahegelegenen Restaurants erfährt, setzt er das WeChat-Netzwerk in Bewegung, um Bestellungen zu bündeln.
Können Sie sich innerhalb der Wohnviertel, unter Kollegen oder mit anderen Gruppen persönlich treffen?
Im Zuge der Pandemiebekämpfung soll auf jeglichen sozialen Kontakt verzichtet werden. Das Leben beschränkt sich somit fast ausschließlich auf die eigenen vier Wände. Der etablierte Tauschhandel innerhalb der Compounds findet in der Regel auch kontaktlos statt: Fragt etwa eine Nachbarin nach Milchpulver für ihr Kind, stellt man es ihr einfach vor die Tür, wenn man eine Dose übrig hat. Der chinaweite Austausch mit den Kollegen läuft weiterhin reibungslos über Social Media und MS-Teams.
Sind Erleichterungen im Lockdown in Sicht?
Wenn ich mir die sinkenden Fallzahlen insgesamt in Shanghai anschaue und, dass weiterhin sukzessive Covidtests bei uns im Compound durchgeführt werden, gehe ich hier mittelfristig von Erleichterungen aus. Was diese „Erleichterungen“ dann aber konkret bedeuten und wann sie tatsächlich kommen, wird sich noch zeigen müssen. Das ist aktuell schwer absehbar.
Was vermissen Sie am meisten?
Mit meiner Frau und meiner 19 Monate alten Tochter mal wieder einen langen Spaziergang zu machen, zum Schwimmen und auf den Spielplatz zu gehen. Und ich vermisse die kollegiale Atmosphäre bei der AHK und hoffe, dass wir bald wieder alle zusammen im Büro sind und dass das soziale Leben auf die Straßen Shanghais zurückkehrt.
Wie unterstützen Sie aus dem Homeoffice deutsche Unternehmen vor Ort?
Der Lockdown in Shanghai betrifft mittlerweile alle Unternehmen – unabhängig von Branche oder Größe. Den deutschen Unternehmen vor Ort helfen wir aktuell insbesondere mit unseren etablierten und guten Verbindungen zur chinesischen Lokal- und Zentralregierung. Wir sprechen aktiv Probleme an, stehen als Vermittler zur Verfügung und informieren unsere Mitgliedsunternehmen mehrmals wöchentlich über aktuelle Entwicklungen. Bei konkreten Fällen von einzelnen Unternehmen für Transport-erlaubnisse oder Closed-Loop-Genehmigungen unterstützen wir durch Gespräche mit der Regierung. Mittlerweile gibt es verschiedene Whitelists, die Unternehmen benennen, die mit der Wiederaufnahme der Produktion – im Closed-Loop-Verfahren – beginnen können.
Wie können Sie für Unternehmen in Deutschland derzeit tätig werden?
Wegen der aktuellen Einreiserestriktionen stößt vor allem unsere Inkubationslösung, mit der man Mitarbeiter über uns anstellen kann und somit „einen Mann/eine Frau vor Ort“ hat, etwa um Distributoren zu koordinieren oder neue Geschäfte anzubahnen, auf großes Interesse bei Unternehmen, die auf den chinesischen Markt wollen. Man muss keine Tochtergesellschaft gründen.
Die Reisebeschränkungen gelten seit über zwei Jahren. Wie haben Sie Ihre Services und Ihre Arbeitsweise darauf einegstellt?
Vom Erstberatungsgespräch über Marktstudien, Geschäftspartnersuchen bis hin zur Durchführung von Delegationsreisen für Unternehmen, die in den chinesischen Markt einsteigen wollen, wird alles online und über Videokonferenzen durchgeführt. Egal, ob aus dem Büro oder dem Homeoffice, wir sind für unsere Kunden wie gewohnt erreichbar.
Interview: Lisa Fischbach
Bild: Adobe Stock, dptro