In Donaueschingen trafen sich circa 150 Teilnehmer zur dritten Auflage des Automotive-Gipfels von IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und Wirtschaftsverband industrieller Unternehmen Baden (WVIB Schwarzwald AG). Im Bezirk der IHK sind circa 1.000 Unternehmen mit 60.000 Mitarbeitern im Automotive-Cluster tätig, im Verbandsgebiet des WVIB sind es 300 meist größere Firmen.
Diese Unternehmen, so machte IHK-Präsidentin Birgit Hakenjos-Boyd bei ihrer Begrüßung deutlich, sehen sich derzeit drei parallelen Herausforderungen gegenüber: Die Weltwirtschaft kühlt ab, angesichts der weltweiten politischen Unsicherheiten fehlt die Investitionssicherheit, und die Automobilwirtschaft befindet sich in einem strukturellen Wandel. Gewaltige Investitionen in nachhaltige Antriebsformen, autonomes Fahren, neue Mobilitätskonzepte und die Automobilproduktion 4.0 werden getätigt, so die IHK-Präsidentin. Die deutschen Automobilindustriezulieferer würden den Strukturwandel nicht verschlafen oder gar verhindern. Vielmehr seien sie selbst zentraler Teil des Strukturwandels, 80 Prozent der Wertschöpfung in der Automotive-Kette stamme von ihnen.
WVIB-Präsident Thomas Burger plädierte für einen nachhaltigen und technologieoffenen Wandel. „Eine einseitige Fokussierung auf batteriebetriebene Elektromobilität, bestehend aus chilenischem Lithium, kongolesischem Kobalt und indonesischem Nickel, angetrieben durch Kohlestrom aus der Steckdose, hilft beim Umweltschutz nicht weiter“, so Burger. Klimaneutrale Mobilität bedeute, dass jedes Fortbewegungsmittel einer ganzheitlich betrachteten Umweltbilanz bedürfe, nur eine faire Rechnung könne zeigen, welche Technologien sich in Zukunft durchsetzen könnten.
Hanns-Peter Knaebel, Vorstandsvorsitzender der Röchling-Gruppe, die für rund 1,2 Milliarden Euro Automobilteile aus Kunststoff verkauft und damit über die Hälfte ihres Gesamtumsatzes erzielt, führte aus, dass die Politik Technologieoffenheit propagiere, dabei aber den batteriebetriebenen Elektroantrieb gegenüber der Wasserstofftechnologie und dem Hybridantrieb priorisiere. Industrieseitig seien die Mittel, die in Forschung und Entwicklung gingen, für die nächsten fünf bis acht Jahre in die E-Mobilität vergeben. Knaebel rechnet damit, dass der weltweite Automobilmarkt während der nächsten Jahre bis zu elf Prozent zurückgeht. Der Verbrenner bleibe zwar relevant, aber das batteriebetriebene Auto werde das einzige Wachstumsfeld sein. Eine Konsolidierung unter den Zulieferern sei unvermeidbar. Er empfahl den Firmen, ihren Markenkern jeweils stark auszubilden und nach Möglichkeit Produkte zu entwickeln, die andere nicht anbieten könnten, um damit dem Preisdruck ein Stück weit zu entgehen.
Dieter Becker, bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG als „Global Head of Automotive“ tätig, sah die Branche mehreren Megatrends gegenüber: zum einen der Einordnung der Fahrzeugtechnologie ins Ökosystem, zum zweiten den Marktanteilverschiebungen von Europa nach Asien sowie zum Dritten den Industriepolitiken der USA und Chinas und damit der Frage, wer auf welche Ressourcen setzt beziehungsweise auf ihnen sitzt. Die USA würden ihre Industriedominanz über das Erdöl ausüben, seit sie dank der Öl-Schiefer-Produktion zum weltgrößten Ölproduzenten geworden seien. Sie würden nach wie vor auf Verbrenner setzen. Die Chinesen hingegen, die sich große Vorkommen seltener Erden gesichert hätten, bevorzugten die E-Mobilität. Und die Europäer hätten keine Industriepolitik. Becker prognostizierte langfristig ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Antriebstechnologien. Dabei komme es sehr auf die Applikation, also die jeweilige Nutzung an: batteriebetriebener Elektromotor für die Städte, Hybrid für das Land, Brennstoffzelle für lange Distanzen. Für die exportorientierte Automobilindustrie sei wichtig, dass sich viele Länder, wie beispielsweise Indien, Elektromobilität gar nicht leisten könnten. Wegen der stark schwankenden Netzspannungen in Indien gebe es beispielsweise derzeit in Bangalore nur zwei Teslas. Bei den Fahrzeugflotten rechnete Becker damit, dass der Diesel neuester Generation zurückkommt. Die Kosten der Mobilität würden immer wichtiger, zumindest bei den Massenmodellen.
Jürgen Döring, bei der Daimler AG „Director Automotive Regulatory Strategy“, ging vor allem auf die Herausforderungen ein, denen sich die Automobilindustrie aufgrund der politischen Vorgaben gegenüber sieht. Bis 2030 müsse der CO2-Flottenausstoß um 60 Prozent gesenkt werden, und man rechne mit weiteren Verschärfungen. Das bedeute, dass der Fahrzeugbestand, der auf den Straßen unterwegs ist, seinen Ausstoß auf weit unter 100 Millionen Tonnen Treibhausgase reduzieren müsse. Das gehe am besten über Neufahrzeuge. Die Strafen bei Nichteinhaltung seien drastisch. Bei einem Prozent Verfehlung entstünden bei Daimler bereits Zahlungen von 100 Millionen Euro. In Europa und in China müssten steigende E-Auto-Anteile abgesetzt werden. Auch die Lkw müssten teilelektrisch unterwegs sein. Allerdings käme der reine Batteriebetrieb für schwere Lkw nicht infrage, da dann nach derzeitigem Stand der Technik die Batterie zehn Tonnen wiegen würde. Hier werde der Brennstoffzellenantrieb weiterentwickelt. Daimler wolle bis in drei Jahren das ganze Portfolio (circa 130 Fahrzeuge) auch elektrifiziert oder teilelektrifiziert anbieten. Das bedeute unter anderem gemischte Produktionen in jedem Daimler-Werk, jede Fabrik müsse alles können. Zulieferern, die auf Verbrenner konzentriert seien und in dieser Technologie bleiben wollten, empfahl er, sich geografisch dorthin auszurichten, wo diese auch gebaut und gekauft würden.
Matthias Pohl, bei der Landesbank Baden-Württemberg „Teamleiter Fokusbranchen, Sector Head Automotive“ ging davon aus, dass der Markt aufgrund der politischen Forderungen von den Herstellern mit E-Autos geflutet wird, in der Hoffnung, diese auch an den Mann zu bringen. Die Frage müsse aber gestellt werden, ob der Kunde überhaupt E-Mobile wolle. Pohl rechnete damit, dass von circa 100 Millionen weltweit abgesetzten Fahrzeugen im Jahr 2025 noch 55 Prozent Verbrenner sowie 30 Prozent Hybridautos sind und 15 Prozent batterieelektrisch angetrieben sein werden. Für die Zulieferer bedeute dies, dass für alle, die mit der Produktion beziehungsweise Produktionsteilen von Tanksystemen, Verbrennungsmotoren, Getrieben und Abgasanlagen befasst sind, die Konkurrenz zunächst steigt. Nach einer Marktbereinigung sei die Marktposition von Unternehmen in kleineren Märkten dagegen gut. Diese „last man standing“-Strategie könne aber nur eine Zeitlang funktionieren. Wem eine Transformation hin zu E-Autos gelinge (zum Beispiel Alugießereien), der müsse darauf achten, sämtliche Vertriebssysteme, ebenso die Forschung und Entwicklung sowie die Akquisition umzubauen. Je größer ein Betrieb, umso besser sei er transformierbar. Deshalb hätten manche großen Zulieferer bereits in den vergangenen Jahren in großem Umfang zugekauft.
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Grafik: WVIB
Bild: Michael Kienzler