Das Corporate Social Credit System in China soll bis Ende des Jahres eingeführt werden. Es betrifft auch deutsche Firmen, die geschäftlich in China aktiv sind. Wir geben einen Überblick darüber, was diese Unternehmen wissen müssen.
Im Jahr 2014 hat die chinesische Regierung beschlossen, ein Punktesystem einzuführen, um das Handeln aller chinesischen Staatsbürger und Unternehmen mit Geschäftsaktivitäten in China zu bewerten. Wer sich – im Sinne des Systems – gut und richtig verhält, erhält Pluspunkte. Wer gegen die Regeln verstößt, bekommt Punktabzug. Am Anfang ging es dabei primär um die chinesischen Bürgerinnen und Bürger. Künftig sollen auch Unternehmen einem umfassenden Bewertungssystem unterworfen sein, dem sogenannten Corporate Social Credit System (CSCS). Da das System bis Ende 2020 vollständig in Kraft sein wird, müssen sich alle Unternehmen, die auf dem chinesischen Markt tätig sind oder es in Zukunft sein wollen, mit dem System und seinen Anforderungen auseinandersetzen.
Das CSCS ist ein standardisiertes Überwachungs- und Bewertungssystem, das Informationen über Unternehmen sammelt, bewertet und das betreffende Unternehmen je nach Bewertungsergebnis bestraft oder belohnt. Jedes Unternehmen, das auf dem chinesischen Markt tätig wird, ist dem CSCS unterworfen – unabhängig von Größe sowie Eigentümerstruktur und unabhängig davon, ob es sich um ein rein chinesisches oder sogar um ein nur im Ausland registriertes Unternehmen handelt, das über eine Tochtergesellschaft in China verfügt oder an einem Joint Venture mit einem chinesischen Partner beteiligt ist. Durch diesen weiten Anwendungsbereich soll Transparenz geschaffen und so das Vertrauen in den chinesischen Markt gestärkt werden.
Basis des CSCS ist eine Datenbank, in der Informationen über das Unternehmen mit allen Tochtergesellschaften und Niederlassungen gesammelt und gespeichert werden. Als Quellen zur Informationsbeschaffung dienen von den Unternehmen zur Verfügung gestellte Informationen, Steuererklärungen, Umweltprüfungen, Geschäftsberichte und Zolldaten, aber auch online verbreitete (Werbe-)Aussagen, Informationen aus den sozialen Netzwerken über das Unternehmen oder das (negative) Verhalten von Führungspersönlichkeiten oder Geschäftspartnern. Die Behörden verschiedener Ebenen und Provinzen speisen die Datenbank, die derzeit noch im Aufbau ist. Sobald diese vollumfänglich operativ ist, werden Informationen landesweit automatisch ausgetauscht werden.
Die so gesammelten Informationen werden anhand zuvor festgelegter Standards bewertet. Erhält das Unternehmen eine positive Bewertung, kommt es auf die „Redlist“, bei negativer Bewertung auf eine „Close Watchlist“, bei gravierenden Verstößen auf die „Blacklist“. Zu negativen Bewertungen führen beispielsweise zu spät eingereichte oder fehlerhafte Steuererklärungen, Verstöße gegen Umweltvorschriften, unzulässige Kartellabreden, Strafverfahren wegen Korruption oder eine Häufung von Arbeitsunfällen in einem Betrieb. Auch die Kooperation mit Geschäftspartnern, die auf der Blacklist stehen, führt potenziell zu einer negativen Bewertung. Steht ein Unternehmen auf der Blacklist, drohen Steuernachteile, verstärkte Betriebsprüfungen, Import- und Exportbeschränkungen, Nachteile bei der Aufnahme von Krediten, der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen oder Reisebeschränkungen für den gesetzlichen Vertreter (Legal Representative) des Unternehmens. Ein Unternehmen, das positiv bewertet ist und auf der Redlist steht, wird hingegen belohnt – beispielsweise mit niedrigeren Steuern, der bevorzugten und rascheren Bearbeitung von Anträgen durch Behörden und Verwaltung, weniger staatlichen Überprüfungen und einem erleichterten Zugang zu Krediten.
Wer eine schlechte Bewertung erhalten hat, sollte sich darum bemühen, dass diese schnellstmöglich wieder behoben und gelöscht wird. Für das Verfahren zur Löschung gibt es noch keine einheitlichen Grundsätze. Es empfiehlt sich deshalb, zunächst die zuständigen Behörden um ihre Einschätzung zu bitten. Bei leichten und mittleren Verfehlungen kann es ausreichen, dass sich die ranghöchste Person des Unternehmens in einem Schreiben an die Behörde wendet, um Entschuldigung bittet, die künftige Regelkonformität zusichert und Nachweise dafür liefert, dass von nun an die Voraussetzungen des CSCS erfüllt werden. Bei besonders schweren Verfehlungen sind solche Maßnahmen nicht ausreichend. Dann führt nur der Zeitablauf sowie das Einreichen ausreichender Nachweise zur vollständigen Behebung der Verfehlung und zur Löschung. Je nach Art der Verfehlung kann ein Eintrag bis zu fünf Jahre für die Öffentlichkeit einsehbar bleiben.
Wer zu Unrecht eine negative Bewertung erhalten hat, ohne dass es dafür einen sachlichen Grund gab, kann sich dagegen wehren Die Rechtsmittel reichen vom Einspruch bis hin zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
Die Bewertungsergebnisse des CSCS sind grundsätzlich nicht nur staatlichen Behörden – aus regionaler und nationaler Ebene – zugänglich, sondern bei dauerhaft negativen Ergebnissen auch für die allgemeine Öffentlichkeit online einsehbar. Sowohl Belohnungen als auch Sanktionen können von verschiedenen Behörden in unterschiedlichen Provinzen und auf nationaler Ebene gemeinsam ausgesprochen werden, um deren Schlagkraft zu verstärken. So kann zum Beispiel ein Verstoß im Zollbereich zu vermehrten Inspektionen durch die Steuerbehörden führen.
Im Detail ist bis heute vieles unklar: Noch gibt es kein einheitliches, allumfassendes CSCS-Gesetz, sondern eine wachsende Vielzahl an unterschiedlichen lokalen Regelungen und Verordnungen verschiedener Departemente der chinesischen Zentralregierung. Der Erlass des einheitlichen CSCS-Gesetzes hinkt der praktischen Implementierung des Systems hinterher und es wird erwartet, dass das neue CSCS-Gesetz im Jahr 2022 in Kraft treten wird. Mangels dieses Gesetzes auf nationaler Ebene fehlt die Konsistenz der verschiedenen Regelungen und Verordnungen. Es ist zu hoffen, dass das CSCS-Gesetz die Strukturen und Mechanismen des CSCS-Systems transparent und einheitlich beschreiben wird. Es ist möglich, dass mit dem Inkrafttreten des CSCS-Gesetzes weitere Sanktions- und Belohnungsmechanismen eingeführt werden.
Zusammenfassend wird das CSCS-System trotz noch fehlendem einheitlichen CSCS-Gesetz bis Ende 2020 vollständig operativ sein und in der Praxis angewandt werden. Dies ist in China nicht ungewöhnlich: Auch die Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen wurden in China über Jahrzehnte ohne ein formelles Gesetz angewandt; das „Foreign Investment Law“ trat am 1. Januar dieses Jahres in Kraft. Angesichts der zahlreichen bereits geltenden lokalen Regelungen und Verordnungen sollten sich alle Unternehmen, die in China tätig sind, spätestens vor Jahresende mit dem CSCS befassen. Das CSCS verlangt – nicht nur – die Befolgung des geltenden Rechts, sondern darüber hinaus die sorgfältige Auswahl von Führungspersonal und Geschäftspartnern und das Beobachten des eigenen Ratings auf öffentlich zugänglichen Webseiten wie insbesondere Credit China und das chinesische Handelsregister, um bei negativen Bewertungen schnellstmöglich Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Das CSCS sollte deutsche Unternehmen veranlassen, ihre Tätigkeit in China zu analysieren und Risikobereiche zu identifizieren. Jedes Unternehmen ist gut beraten, ein Überwachungs- und Steuerungssystem zu implementieren, um Risiken im eigenen Unternehmen, bei leitenden Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten zu erkennen und Ratings zu überwachen. Das kostet während der intensiven Einarbeitungszeit zwar Zeit und Geld, kann aber dazu beitragen, erfolgreich auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen und bei positiven Bewertungen von erheblichen Vorteilen zu profitieren.
Text: Barbara Mayer, Friedrich Graf von Westphalen & Partner/
Cheng Chen, Huiye Law, Shanghai/
Sabine Neuhaus, Kellerhals Carrard, Shanghai
Bild: AlexLMX