Bis Ende April sind offiziell rund 390.000 Menschen vor dem Krieg um die Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Einige dieser Menschen werden hierzulande nach Arbeit suchen. Nicolas Bartels vom Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge, einer Initiative des DIHK erklärt, welche Dinge Unternehmer bei der Einstellung beachten müssen.
Herr Bartels, viele Ukrainer haben Wohnung und Lebensperspektive verloren, haben Schreckliches gesehen, sind traumatisiert und wie der Krieg weitergeht ist ungewiss. Ist es als Unternehmer in dieser Situation überhaupt angebracht, unter ukrainischen Geflüchteten nach Mitarbeitern zu suchen?
Nicolas Bartels: Da kommt es sicher auf die Art an, wie man das angeht. Arbeit kann Struktur geben, ablenken und für finanzielle Stabilität sorgen. Aber man muss sich bewusst sein, dass die Menschen Unterstützung brauchen, sowohl bei der Arbeitsmarktintegration als auch bei der Ankunft in einem Alltag, der gänzlich neu ist. Wenn sich Unternehmen darauf einlassen, kann das zu einem Arbeitsverhältnis führen, von dem beide Seiten profitieren.
Dürfen ukrainische Geflüchtete überhaupt arbeiten?
Ja. Das wird durch den Paragraf 24 des Aufenthaltsgesetzes geregelt. Durch den Beschluss der EU-Staaten gilt er seit dem 4. März auch in Deutschland. Dadurch erhalten die Geflüchteten für zunächst zwei Jahre einen Schutzstatus. Damit verknüpft ist eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis. Bei Fortbestehen der Gründe kann danach in Absprache mit allen Mitgliedsstaaten der Schutz noch einmal um ein Jahr verlängert werden, die Gesamtdauer beträgt also maximal drei Jahre. In der Praxis wird der Aufenthaltstitel zunächst bis zum 4. März 2024 erteilt.
Was sollte ein Unternehmen als erstes tun, wenn es ukrainische Geflüchtete einstellen möchte?
Den Erhalt der Fiktionsbescheinigung zu organisieren, ist der erste wichtige Schritt. Dabei kann man als künftiger Arbeitgeber unterstützen.Wer aus der Ukraine nach Deutschland geflohen ist und noch auf seinen Aufenthaltstitel wartet, darf dennoch eine Beschäftigung aufnehmen oder einen Integrationskurs besuchen. Dafür muss die lokale Ausländerbehörde eine sogenannte Fiktionsbescheinigung ausstellen. Das passiert, sobald man den Aufenthaltstitel beantragt hat. Mit der Fiktionsbescheinigung können auch soziale Leistungen nach dem SGB II (Jobcenter) oder SGB XII (Sozialamt) beantragt werden.
Nicolas Bartels ist Projektreferent des „Netzwerks Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ (NUiF), einer Initiative des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und der bundesweit größte Zusammenschluss von Unternehmen, die sich für die Beschäftigung von Geflüchteten engagieren. Die Mitgliedsbetriebe erhalten kostenfrei Infomaterial und Beratung rund um die Beschäftigung von Geflüchteten. Zudem finden sich auf der Webseite eine Liste mit Ansprechpartnern und Kontaktstellen für die Jobvermittlung, sowie aktuelle Informationen zur Ukraine. Die Mitgliedschaft ist kostenfrei. Die Checkliste des NUiF stellt Arbeitgebern praktische Informationen zur Verfügung, wie die Anstellung von Geflüchteten aus der Ukraine erfolgreich gelingen kann.
www.unternehmen-integrieren-fluechtlinge.de
Was gilt mit Blick auf Auszubildende?
Der vorübergehende Schutzstatus ermöglicht jungen Menschen, eine Ausbildung zu absolvieren. Sollte der Schutz vor deren Ende ablaufen, ist ein Wechsel in einen Aufenthaltstitel zum Zwecke der Ausbildung jederzeit möglich. Momentan lässt sich noch nicht vorhersagen, wie lange die Menschen in Deutschland bleiben werden. Für viele der Neuangekommenen spielen momentan noch ganz elementare Themen eine wichtige Rolle, wie das Ankommen in einer neuen Stadt, die Unterbringung, die Sprache. Wenn eine Ausbildung begonnen wird, sollte vor allem der Spracherwerb gefördert werden. Für eine erfolgreiche Abschlussprüfung wird in der Regel ein Deutschniveau von B2 empfohlen. Hier sollte die Zeit bis Ausbildungsbeginn genutzt werden, um zum Beispiel mit einem Integrationskurs erste Grundkenntnisse zu erwerben.
Wie können Arbeitgeber Geflüchtete generell unterstützen?
Neben der Arbeit sollte unbedingt der Alltag mitgedacht werden. Von der Kontoeröffnung über Behördengänge und Schulanmeldung bis zur Suche nach einer Wohnung oder nach Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt es viele Dinge, bei der Unterstützung sehr sinnvoll ist. Gerade wenn die neuen Kolleginnen und Kollegen noch nicht so gut Deutsch sprechen, hilft eine Begleitung zu Terminen, um sprachliche Missverständnisse zu vermeiden.
Ist auch psychologische Beratung notwendig?
Es kann tatsächlich sehr hilfreich sein, dieses Thema von Anfang an mitzudenken und sich mit externen Unterstützungsangeboten vertraut zu machen. Merkt man als Arbeitgeber, dass die Person im Arbeitsumfeld und mit der neuen Situation überlastet ist, sollte man das Gespräch suchen und Hilfe anbieten. Falls psychologische Beratung gewünscht ist, kann man auf den Seiten der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAFF) Ansprechpartner vor Ort finden. Auch Vorgesetzte und Kollegen sollte man gegebenenfalls für das Thema sensibilisieren und ihnen Unterstützung anbieten.
Interview: Daniela Becker
Bild: freshidea – Adobe Stock
Infos und Hilfen Für Arbeitgeber
Die Industrie- und Handelskammern im Land und die Handwerkskammern bieten Geflüchteten aus der Ukraine ab sofort als neuen Service einen Erstberatungs-Check an, der Qualifikationen und Berufserfahrungen sichtbar macht. Mit seiner Hilfe kann bestimmt werden, in welchen IHK-Berufen Abschlüsse und einschlägige Berufserfahrungen bei den Geflüchteten vorhanden sind.
Ansprechpartner bei den IHKs in der Region für die Integrationsberatung sind:
- IHK Hochrhein-Bodensee, Sven Ness, Integration junger Geflüchteter (für den Landkreis Lörrach), 07622 3907-225 Mail: sven.ness@konstanz.ihk.de, Jan Vollmar (für die Landkreise Konstanz und Waldshut) 07531 2860-181 Mail: jan.vollmar@konstanz.ihk.de
- Welcome Center Schwarzwald-Baar-Heuberg, Ramona Shedrach 07721 922-239, Mail: shedrach@vs.ihk.de oder welcome@vs.ihk.de
- IHK Südlicher Oberrhein, Ibrahim Sarialtin, Fachberater für Zugewanderte, 0761 3858-175 Mail: ibrahim.sarialtin@freiburg.ihk.de
Weitere Angebote:
- Unter #WirtschaftHilft bündeln die Spitzenverbände der Wirtschaft Hilfsangebote rund um den Krieg, inklusive Infos zur Arbeitsmarktintegration www.wirtschafthilft.info
- Das Bundeszentralamt für Steuern informiert auf Deutsch und Ukrainisch zur Vergabe der steuerlichen Identifikationsnummer (IdNr) für Geflüchtete aus der Ukraine. www.bzst.de
- Der Projektverbund Baden Arbeit und Ausbildung für Flüchtlinge bietet als Teil des Netzwerks zur Integration von Flüchtlingen in Arbeit (IvAF) Baden-Württemberg für Betriebe Ansprechpartner in ausländerrechtlichen Fragen und zu den spezifischen Einstellungsvoraussetzungen. ivaf-netzwerk-bw.de
- Stellenbörsen speziell für Geflüchtete sind www.jobs4refugees.org und https://workeer.de