Tuttlingen. Was Katrin Sternberg macht, das macht sie richtig, halbe Sachen sind nicht ihr Ding. Deshalb ist die promovierte Chemikerin und habilitierte Ingenieurin vor gut fünf Jahren gleich richtig hierher gezogen, nicht erst gependelt. Das war ein großer Schritt – nicht nur geografisch betrachtet vom Nordosten in den Südwesten Deutschlands, sondern auch beruflich gesehen. Denn die damals 44-Jährige hatte ihr ganzes vorheriges Studien- und Berufsleben an der Universität Rostock verbracht. 2014 übernahm sie einen neuen Forschungsbereich bei Aesculap, 2017 die Forschungsleitung, und vor gut einem Jahr rückte sie in den Vorstand des Tuttlinger Medizintechnikunternehmens auf – im Übrigen als erste Frau in der über 150-jährigen Firmengeschichte. Woher kam die Motivation zum Seiten- und Ortswechsel? „Ich wollte Medizinprodukte entwickeln, das kann man an der Uni nicht“, sagt Katrin Sternberg mit einer beeindruckenden Überzeugungskraft. Deshalb ist sie vor fünf Jahren mit ihrem Mann, einem Betriebswirt, der damals bei Würth arbeitete und mittlerweile Dozent ist, nach Donaueschingen gezogen. Der Zeitpunkt passte: Sohn Malte, heute 24, hatte gerade sein Abitur gemacht und sein BWL-Studium in Hamburg begonnen.
Katrin Sternberg ist in Warnemünde geboren, hat ein Jahr vor dem Mauerfall in Rostock ihr Abitur gemacht und anschließend Chemie studiert. Nach der Promotion wechselte sie zum Institut für Biomedizinische Technik, wo sie habilitierte – mit Kind. Denn gleich zu Beginn ihrer Doktorarbeit hatte sie Malte bekommen. Je älter er wurde, desto mehr arbeitete sie. „Mit nur einem Kind habe ich das gut regeln können.“ Als Professorin hatte sie mit vielen Unternehmen zu tun, auch mit Aesculap. Sie warb häufig Drittmittel ein und putzte regelmäßig in Berlin die Klinken der Ministerien für die nötigen Budgets. Mit fest definierten Etats umzugehen sei eine gute Grundausbildung für die Arbeit in der Wirtschaft, sagt Sternberg. Denn auch Unternehmen müssten sehen, dass sie das Richtige tun, die richtigen Trends erkennen wie aktuell gerade auf den großen Feldern Digitalisierung, Robotik oder 3D-Druck. Sternbergs wissenschaftlicher und interdisziplinärer Hintergrund spielte sicherlich eine nicht ganz unentscheidende Rolle für ihren Karrieresprung bei Aesculap. „Ich bin nicht hergekommen, um Vorstand zu werden“, betont sie allerdings. Man merkt, dass die Produkte ihr mehr am Herzen liegen als die Posten. Wie eine frische Ostseebrise weht einem die Begeisterung für ihre Arbeit um die Ohren.
Die große Identifikation mit dem, was sie tut, und ihre sympathische, natürliche Art haben der Rostockerin die Eingewöhnung in der neuen Arbeits- und Lebenswelt erleichtert. „Ich wurde hier sehr gut aufgenommen“, sagt Sternberg. Aber sie weiß, dass dies auch mit ihrer eigenen Einstellung zu tun hat. „Ich bin mit sehr viel Demut hierher gekommen, und ich habe bis heute sehr viel zu lernen.“ Dazu zählt beispielsweise die umfangreiche Regulatorik, die sie aktuell deutlich mehr Zeit kostet als die Entwicklung neuer Produkte. Im Hinblick auf die ab Mai 2020 geltende europäische Medizinprodukteverordnung muss Aesculap – wie alle anderen in der Branche – sein riesiges Bestandsportfolio auf den Prüfstand stellen. Sternberg regt sich darüber nicht auf. Sie sieht das Gesetz als Teil ihres Lernprozesses auf dem Weg von der Wissenschaft in die Industrie.
Woher kommt diese Entschlossenheit, Medizintechnikprodukte zu machen, gab es ein Schlüsselerlebnis? Ja, aber es hat nichts mit Helfersyndrom zu tun, sondern mit der Frage nach der Anwendung. Sternbergs Doktorarbeit über Reaktionsmechanismen von Molekülstrukturen war sehr grundlagen-, nicht anwendungsorientiert. Die Fragen von Freunden „Was habe ich davon?“ motivierten sie, nach einer Anwendung für dieses Wissen zu suchen. So kam sie zur Implantat- und damit zur Medizintechnik. Katrin Sternberg verfolgt ihren Weg konsequent. Sie ist ein sehr strukturierter Mensch, erwartet das aber nicht von anderen. „Wie sie ihre Arbeit organisieren und zum Ziel kommen, ist nicht entscheidend. Das Ergebnis zählt.“ Sie arbeitet gerne mit anderen zusammen, ist ein Teamplayer, auch in ihrer Führungsposition. Dünkel und Chefallüren sind ihr fremd, die erste Frau im Aesculap-Vorstand zu sein, ist kein Thema für sie.
Im August ist Katrin Sternberg 50 geworden. Ist die Zahl ein Problem? „Nein“, antwortet sie. „Die Basis lege ich ja vorher, nicht erst im Umschwung von 49 auf 50. Und ob ich mich fit fühle, habe ich selbst in der Hand.“ Für Mannschaftssportarten fehlt ihr mittlerweile die Zeit. Sie geht zusammen mit ihrem Mann regelmäßig ins Fitnessstudio. Und sie wandert leidenschaftlich gern. Das hat ihr geholfen, im Schwarzwald anzukommen. Das einzige, was sie von der alten Heimat noch vermisst, sind – außer Familie und Freunden – der Geruch der Ostsee und der Fisch.
kat