Achern. Die einen geben das erste eigene Geld für ein dickes Auto aus, die anderen investieren in Visionen und Herzblut – und verdienen so mit Ende 20 die erste Million. Marco Beicht ist so einer. Der Ortenauer hat vor elf Jahren den IT-Dienstleister „powercloud GmbH“ gegründet und in Windeseile groß gemacht. Was ist das für ein Typ? – Er habe so ein Risiko-Gen, sagt er von sich selbst.
Die cloudbasierte Software-as-a-Service-Lösung für Energieversorger ist nichts, wovon Beicht nachts geträumt hat, morgens aufgestanden ist und die Idee im Kopf hatte. Es ist etwas, auf das Leute kommen, die Probleme sehen und die die Lösung nicht „zerdenken“, erinnert sich Beicht. Am Anfang stand ein Produkt-Management-Tool, das sich unheimlich schlecht verkaufen ließ, weil die ersten Kunden meinten, dass sie das Ding nicht abwickeln, nicht abrechnen könnten. Der erste logische Schritt für Marco Beicht war zu entscheiden: „Sind wir in die falsche Richtung gelaufen?“
Er hatte die richtigen Leute an der Seite, das Team kehrte um und hängte sich rein – heute macht Powercloud die Pace im Markt mit intelligenten digitalen Abrechnungen, 90 Prozent seines Kerngeschäfts. Branchenriesen wie Eon und EnBW geben sich die Klinke in die Hand. Es geht weiterhin steil aufwärts.
Doch Beicht lebt nicht im Rausch. Er ist bodenständig. In Achern geboren und aufgewachsen. Eine überschaubare Stadt mit knapp 27.000 Einwohnern, man kennt und hilft sich. Für den Teamplayer war so viel Community die Initialzündung: Er vermarktet die Heimat, die er als Standort für sein Unternehmen gewählt hat, gleich mit. Schwarzwald und Rhein direkt vor der Tür, Skifahren, Downhill-Trails, Wakeboarding … „Das hat Lebensqualität, auch kulinarisch ist die Region gut aufgestellt“, schwärmt der Enddreißiger. Er ist beruflich viel unterwegs und immer froh, wenn er wieder zu Hause ist. Abwandern etwa Richtung Silicon Valley, wo die Crème de la Crème der IT-Branche sitzt, war für ihn nie das große Thema.
Er hilft lieber hier Start-ups in den Sattel, ist bei „Jugend gründet“ aktiv. „Die nächste Generation muss herangezogen werden“, sagt einer, der selbst erst 39 Jahre alt ist. Er stellt den jungen Gründern Kapital zur Verfügung, macht den Marktzugang möglich und erklärt, welche Fehler man besser nicht macht, in der Hoffnung, dass es zumindest teilweise fruchtet – er selbst habe früher zwar Ratschläge angehört, aber trotzdem viel falsch gemacht. Wichtig sei dann, zu sagen, „okay, passiert, nicht schlimm, wir ziehen den Karren aus dem Dreck und sind danach einen Schritt weiter“. Es ist auch die Fehlerkultur, try and error, die Start-ups innovativer macht als Konzerne, so seine Meinung.
Innovativ ist auch die neue Firmenzentrale, die Beicht in Achern bauen ließ. In seinem Metier sind die Themen kompliziert – „die kann ich remote einfach unheimlich schlecht lösen oder nur sehr ineffizient“, erklärt er. Und damit er alle Mitarbeiter an einen Standort bekommt, bietet er ihnen ein hochwertiges, kommunikatives Arbeitsumfeld, wo „man auch jeden Tag hinwill.“ In den IT-Campus auf den Illenauwiesen am Gründungsort Achern ist Powercloud am 1. November eingezogen, die zwischenzeitliche Firmenzentrale in Offenburg wurde geschlossen.
Im multifunktionalen IT-Campus gibt es ein Fitnessstudio, Gewerbe und 140 Wohnungen, vom Single-Apartment mit 45 Quadratmetern bis zu 170 Quadratmeter Platz für Familien – alles im klimafreundlichen Effizienz-hausstandard 40. Solarpanels auf dem Dach, E-Ladestationen im Keller, Smart Meter, ein CO2-neutraler Betrieb. „Wir sind so ein bisschen Reallabor für die Wohnungswirtschaft“, sagt Beicht. Was funktioniert? Wie wird Energie gespart? Oder wie beeinflusst das Verhalten der Mieter – ob gewerblich oder privat – den Verbrauch. Einige Mitarbeiter sind schon eingezogen auf dem ersten Baufeld mit 74 Wohnungen. Das zweite Baufeld wird Mitte 2024 fertig. Auch ein modernes Hotel hat der Powercloudgründer auf dem Campus gebaut und verpachtet, damit Gäste und Partner fußläufig untergebracht sind.
Marco Beicht war „von Tag eins an“ Unternehmer. Ein paar Wochen nach dem Abitur hat er die erste Firma gegründet. Schon in Schülertagen waren Computer sein Ding, der Vater unterstützt ihn mit aktueller Hardware, auch wenn er nicht gleich verstanden hat, warum das Kind Software bauen will. „Im Nachhinein ist er happy mit meiner Entscheidung“, schätzt Beicht. Der lebt für die Firma. Sie ist Berufung für ihn.
Im Frühjahr 2023 hat der Überflieger seinen Job als Powercloud-CEO an Richard Wiegmann übergeben und sich in den Beirat seines Unternehmens zurückgezogen. Als Vorstandschef habe ihn das operative Tagesgeschäft zu sehr gebunden: „Man entscheidet da auf Basis von Problemen, die man gerade auf dem Tisch hat, was für die langfristige Entwicklung des Unternehmens nicht ideal ist.“ Jetzt kann er wieder machen und in die Zukunft denken. „Man wird noch viel hören von mir“, verspricht Beicht. Und was ist das nächste große Ding? – Das sollen alle mal abwarten.
Mirjam Fischer