Freiburg. Als Veronika Maier ihre Ausbildung zur Großhandelskauffrau bei der Maertin & Co. GmbH beginnt, hat Ludwig Erhard gerade Konrad Adenauer als Bundeskanzler beerbt. Das war 1963. Sechs Jahrzehnte später sind Adenauer und Erhard längst Geschichte – und Veronika Maier hütet immer noch quicklebendig bei Maertins den Schreibtisch.
Auf die Frage, wie lange sie noch bleiben will, antwortet die 75-Jährige vage: „Ich will mich gar nicht so festlegen. Solange es noch funktioniert und Spaß macht…“. An drei Vormittagen pro Woche kommt die Un-Ruheständlerin rein und bearbeitet bei dem Freiburger Großhandelsunternehmen die Aufträge: „Wenn die mich noch ein bisschen behalten wollen, dann bleibe ich auch noch etwas. Ansonsten werden die mir schon sagen, wenn es Zeit wird aufzuhören.“
Als Veronika Maier vor 60 Jahren bei Maertin anfing, war das Unternehmen noch in der Merianstraße angesiedelt Dort durchlief sie zunächst verschiedene Abteilungen, bevor sie Mitte der 1970er Jahre schließlich im Vorzimmer des Chefs landete, wo sie die nächsten Jahrzehnte als Assistentin der Geschäftsführung arbeitete. „Ich habe die Kasse unter mir gehabt, habe Aufträge bearbeitet, Angebote erstellt und Kunden betreut“, erinnert sich Maier. Durch ihre lange Firmenzugehörigkeit waren ihr die Kunden gut bekannt und sind es immer noch: „Wenn die zum Teil heute anrufen und mich dran haben, sagen die ganz erstaunt: ‚Frau Maier, sind Sie immer noch da?‘“ lacht sie. „Aber das ist halt so, ich arbeite eben gern. Sonst wäre ich bestimmt nicht mehr da.“
Worin aber liegt nun das große Geheimnis, dass sie so gerne und lange in ein und derselben Firma schafft und dafür sogar auf ihr Rentnerdasein verzichtet? Veronika Maier kann das gar nicht so genau in Worte fassen. Ein Gefühl der Zugehörigkeit zum Unternehmen blitzt im Gespräch immer wieder durch. Die Identifikation mit dem Arbeitgeber und mit dem, was sie macht.
Waren es zu Beginn in der Merianstraße noch knapp 20 Beschäftigte, sind es heute in der Mooswaldallee, am 1967/68 bezogenen Standort, über 100.
Langweilig wurde es der Mittsiebzigerin nie, Veränderungen gab es in den 60 Jahren genug. Damals mit Schreibmaschine und Fernschreiber gestartet, sitzt Veronika Maier heute wie alle anderen am Computer. „Ich habe über die Jahre alles gelernt, was ich brauche, und kam bisher gut damit klar.“ Vier Chefs hat sie im Laufe ihrer Karriere erlebt. In die Ausbildung gestartet war sie noch unter Karl Maertin, es folgten Otto Richard Maertin und Axel Maertin, für den sie am längsten als Assistentin der Geschäftsführung gearbeitet hat. Heute führt Stephanie Maertin, die Urenkelin des Gründers, das Unternehmen. Familiär ging es immer zu, stellt Maier fest: „Jeder hatte ein offenes Ohr für uns. Man konnte stets zum Chef kommen und mit ihm reden. Und das ist bis heute so.“
Daneben wurde von Anfang an bei Maertin gerne gefeiert. Die jährlichen Sommerfeste und Weihnachtsfeiern waren besondere Highlights für Veronika Maier genauso wie für die Kollegen, erinnert sie sich. Und die Chefs waren immer mit dabei. Heute geht das Unternehmen mit den Mitarbeitern zusätzlich auch mal Bowlen oder auf einen Lasergame-Parcour. Selbst wenn die Seniorin bei so etwas nur noch selten dabei ist, spiegeln ihre Erzählungen, wie viel derlei gemeinsame Aktivitäten schon immer aufs Betriebsklima eingezahlt haben. Zum 60. Betriebsjubiläum im März ließ das Unternehmen für sie eine Überraschungsparty steigen, mit Bergen von Kuchen von den Kollegen und der Chefin, Luftballons und viel Hallo. IHK-Geschäftsführer Dieter Salomon brachte Glückwünsche und eine Urkunde vorbei. Eine Geste, über die sich die 75-Jährige außerordentlich gefreut hat.
Veronika Maier wohnt in Elzach, ihr Arbeitsweg ist nicht gerade der kürzeste. Doch auch hier hat das Unternehmen reagiert: „Ich hatte bis zu meinem Renteneintritt einen Geschäftswagen. Ich wollte das erst gar nicht, aber Axel Maertin hat gesagt, ‚jetzt nehmen Sie ihn doch‘. Und das habe ich dann auch gemacht“, blickt die Jubilarin zurück. „Das war schon toll. Da war man dann plötzlich unabhängig und ist schon mal länger geblieben oder morgens früher gekommen. Das habe ich auch gerne gemacht.“ Heute fährt die rüstige Rentnerin mit Bus und Bahn und läuft dabei gut und gerne drei Kilometer zum nächsten Bahnhof.
Und dann erzählt die dreifache Großmutter noch eine kleine Anekdote, die heute vielleicht nicht mehr zeitgemäß ist, die aber doch zeigt, was ein gutes Chef-Mitarbeiter-Verhältnis ausmacht: „Vor vielen Jahren gab es im Vorstandsbüro einen Ordner, in dem war eine Flasche Cognac deponiert“, plaudert Veronika Maier mit einem spitzbübischen Lächeln aus dem Nähkästchen. „Und als es einmal besonders hektisch war und wir sehr viel zu tun hatten, da kam der Axel Maertin zu mir und hat gesagt: ‚Komm, jetzt trinken wir einen Cognac.‘ Das haben wir dann gemacht und danach ist es wieder weitergegangen mit dem Arbeiten.“ Manchmal sind es eben gerade die kleinen und vielleicht auch überraschenden Gesten, die bewegen.
Andrea Keller