Singen. Otto Ruch (77), groß, sehr schlank, leicht gebeugte Haltung, noch immer jungenhafte Gesichtszüge, wirkt auf den ersten Blick wie ein hoher Beamter oder Arzt im Ruhestand. Tatsächlich wollte er nach dem Abitur Medizin studieren. Es kam dann aber, wie bei vielen Angehörigen der unmittelbaren Nachkriegsgeneration, anders. Der jüngste von drei Brüdern, die die Mutter alleine aufzog, da der Vater, von Beruf Flugzeugingenieur bei Junkers in Dessau, bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt war, wurde Diplom-Kaufmann. Dies als Vorbereitung auf den Einstieg in das Singener Familienunternehmen FX Ruch, um den ihn sein kinderloser Onkel Hermann Ruch, Bruder seines Vaters, gebeten hatte. Otto Ruchs Großvater Franz Xaver Ruch (daher die Anfangsbuchstaben FX der Firma) übernahm das Unternehmen 1898 von Friedrich Dürrhammer, der es 1886 gegründet hatte. Franz Xaver Ruch handelte mit Baumaterialien, Sämereien, Kunstdünger und Pulver. Hermann Ruch richtete bereits in den 1930er-Jahren in Friedrichshafen und Überlingen Filialen ein und gliederte eine Großhandelsabteilung für sanitäre Einrichtungen an. Das heutige Areal in der Singener Industriestraße wurde in den 1950er- und den 1970er-Jahren gekauft. Otto Ruch stieg 1972 nach seinem Studium und einem einjährigen Praktikum bei einem großen Baustoffhändler ins Unternehmen ein und wurde 1975 Geschäftsführer. Diese Funktion hat er bis heute, mittlerweile mit seinem Sohn Dominik (42), inne.
„Im Mittelstand muss man alles machen und nach Möglichkeit auch alles können, Wachstum findet nur außerhalb der Komfortzone statt, sagt Otto Ruch. Während der 45 Jahre seiner bisherigen Geschäftsführertätigkeit hat er das Unternehmen Zug um Zug ausgebaut und Chancen, die sich boten, konsequent und vorausschauend ergriffen. Als eines von nur ganz wenigen in Deutschland ist es sowohl eine Großhandlung (für Sanitär- und Heiztechnik), als auch ein Fachhandel (für Baustoffe und Fliesen). Filialen gibt es in Messkirch, Stühlingen, Radolfzell, Tengen-Beuren, Konstanz und Waldshut-Tiengen. Der Aktionsradius allerdings reicht weit darüber hinaus und umfasst den ganzen Süden Baden-Württembergs sowie die angrenzende Schweiz. Bei FX Ruch sind rund 160 Mitarbeiter beschäftigt. Zum Wirkungsfeld der Familie Ruch gehören zudem drei Obi-Märkte in Singen, Pfullendorf und Überlingen sowie Beteiligungen an zwei weiteren Obi-Märkten. Den ersten Obi-Markt eröffnete Otto Ruch 1976, gleich anschließend an den 1972 errichteten FX Ruch Neubau in der Singener Industriestraße. Ruch und sein Mitgeschäftsführer Alfons Weißhaar reisten damals nach Straßburg (Obi war ursprünglich ein französisches Unternehmen und der Name abgeleitet von „Hobby“), um sich den dortigen Obi-Markt anzuschauen und das Franchisemodell vor Augen geführt zu bekommen. Der erste Markt in Singen war lediglich 1.000 Quadratmeter groß, die heutigen Märkte kommen leicht auf die zehnfache Grundfläche. In den Obi-Märkten von Ruch arbeiten rund 250 Beschäftigte. Das dritte Standbein der Familie ist ein Industrieunternehmen mit rund 50 Mitarbeitern und zwar die BE Beton Elemente in Steißlingen, die aus einem Kieswerk entstanden ist, an dem sich die Familie in den 1950er-Jahren beteiligt hatte. Die Spezialität dieser Firma sind Decken und Doppelwände, die außerordentlich fein und glatt ausgeführt sind. Ein Beispiel sind die Außenwände einer Produktionshalle (Architektengruppe ANSAA/Tokio) der Firma Vitra in Weil am Rhein, die aus zwölf Meter hohen Fertigteilen aus einem Stück bestehen. Der Umsatz der gesamten Ruch-Gruppe liegt bei rund 100 Millionen Euro.
Ein guter Teil von Ruchs Erfolg beruht sicher auf einer Grundeinstellung, die in Familienunternehmen nicht selten ist. Das ist die Gewinnverwendung: „Die Hälfte gehört dem Staat, die andere Hälfte wird ins Unternehmen reinvestiert“, sagt Ruch. Sein umfassendes, erfolgreiches und regional verwurzeltes unternehmerisches Handeln hat kürzlich das Land Baden-Württemberg mit der Verleihung der Wirtschaftsmedaille gewürdigt. Ruchs Interessen sind im Übrigen nicht im unternehmerischen Handeln erschöpft. Er fährt Ski im Winter, er segelt und fährt Rad im Sommer, er wandert und er reist außerordentlich gern. Als besonders erlebnisreich erinnert er Reisen ins südliche China, nach Südafrika, ins Baltikum und nach Irland. Außerdem war und ist er in vielen Ehrenämtern in Vereinen und Verbänden tätig. So hatte er den Vorsitz des Baustoffhandelsverbands Baden-Württemberg inne, und er war viele Jahre Mitglied der Vollversammlung der IHK Hochrein-Bodensee.
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