
Lahr. Dass Kinder ihren Eltern in den Familienbetrieb folgen, ist dieser Tage längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Auch Ellen und Ulrich Wagner zog es nicht sofort in das 1977 von Adelheid und Roland Wagner gegründete und heute als Wagner System GmbH firmierende Unternehmen. Er, Diplom-Wirtschaftsingenieur, lernte nach dem Studium im Vertrieb internationaler Konsumgüterkonzerne, wie man Marken aufbaut. Sie studierte Angewandte Kulturwissenschaften mit Fokus auf Sprache, Kommunikation und Design, um anschließend in PR-Abteilungen jenseits des Schwarzwalds Verantwortung zu übernehmen. Den Entschluss, nach Lahr zurückzukehren, trafen die Geschwister 2001. Beiden war klar: Wenn wir diesen Schritt wagen, dann nur gemeinsam. Allerdings: Für wie lange sie die neuen Aufgaben übernehmen wollte, ließ Ellen Wagner erstmal offen: „Zu meinem Chef habe ich damals gesagt, ich probiere das aus – und wenn es nicht passt, komme ich zurück.“ Beim Gedanken daran, dass die „Testphase“ schon 22 Jahre anhält, muss sie selbst schmunzeln.
Das Unternehmen mit drei Standorten in Lahr produziert neben Möbelkomponenten wie Stuhlbeinen und Gleitern auch Türstopper, Pflanzenroller, Wandhaken und Transporthilfen. Kunden sind Industrie, Handel und Anwender, die die Waren im Onlineshop bestellen oder über den B2B-Vertrieb beziehen. Die Aufgaben im Tagesgeschäft teilen sich die Geschwister fifty-fifty. Ulrich Wagner ist für Produktentwicklung, Logistik, Kundenservice, Vertrieb und Einkauf zuständig, Schwester Ellen Wagner kümmert sich um Marketing und Kommunikation, Personal und Buchhaltung, Technik und IT sowie um Teile der Produktion.
„In der Politik wären wir Außenminister und Innenministerin“, scherzt der 49-Jährige. Ihre Verantwortungsbereiche haben sich beide – die als Ergänzung der Eltern und Impulsgeber für weiteres Wachstum ins Unternehmen gekommen sind – mit der Zeit erarbeitet. 2014 übernahmen die Geschwister Führungsverantwortung als alleinige Geschäftsführer und bildeten damit eine neue Doppelspitze – noch bevor die Mutter 2015 und der Vater 2019 in Rente gingen.
„Zwei Generationen unter einem Firmendach, das hat gut funktioniert“, erinnert sich Ulrich Wagner, den besonders der Rückzug von Roland Wagner vor eine entscheidende Herausforderung stellte. „Mein Vater ist ein echter Erfinder und Tüftler, alle Produktideen kamen bis dato allein von ihm. Wie aber bekomme ich das Wissen aus seinem Kopf heraus und mache es für uns nutzbar?“ Um solche Situationen künftig zu vermeiden, werden Expertise und Kompetenzen nun im Unternehmen breiter verteilt.
Der große Richtungswechsel beim Übergang von der ersten auf die zweite Unternehmergeneration vor einigen Jahren blieb aus. Dass die Jungen nun das Ruder in der Hand haben, bleibt dennoch nicht unbemerkt. Gerade mit Blick auf die Unternehmenskultur weht ein neuer Wind, Teamarbeit spielt eine größere Rolle als früher. Hierfür haben Ellen und Ulrich Wagner ein Führungsteam aufgebaut und nach dem Prinzip des Short Intervall Managements (SIM) drei Entscheidungsebenen im Unternehmen eingezogen. Können Abteilungen ein Problem selbst nicht lösen, wird dies eine Ebene höher kommuniziert. „Das entlastet uns als Geschäftsführung, weil wir heute nicht mehr alles selbst wissen oder können müssen. Unser Motto lautet, Mitarbeiter fordern, fördern und dann auch selbst loslassen. Nur so bekommen wir die nötige Geschwindigkeit, um wachsen zu können“, sagt Ellen Wagner.
Mit Erfolg: Heute sei Wagner System viermal so groß im Außenhandel wie früher. „Dazu trägt auch bei, dass wir mit unserer Sortimentspolitik regelmäßig auf die Marktanforderungen reagieren, individuelle Lösungen für Möbelbauer anbieten und neben den Angeboten für Industrie und Handel auch unser Endkundengeschäft ausgebaut haben“, fasst Ulrich Wagner zusammen, dem Wagner System aufgrund seiner „extremen Anpassungsfähigkeit“ auch nach 45 Jahren am Markt noch wie ein Start-up vorkommt.
Die Geschwister können sich regelmäßig über hochkarätige Auszeichnungen freuen, wie den „German Design Award“, den „German Innovation Award“ oder das Siegel „Die großen Marken in Deutschland“. Ein schöner Erfolg, über den die beiden eher zurückhaltend berichten.
Bei all der Veränderung halten die Geschwister an den Werten des Familienunternehmens fest: Wagner System ist in Lahr fest verwurzelt und starker Partner in Sachen Berufsorientierung, ist Teil der Ausbildungsinitiative „Jobxpedition“, veranstaltet Workshops mit Studierenden und bietet Kreativworkshops für die Kleinsten. Die hauseigene Bienenweide und das „Insekten-Grand-Hotel“ stehen für das ökologische Bewusstsein des Mittelständlers.
Eine harmonische Unternehmensnachfolge, Geschwister, die den Familienbetrieb gemeinsam in die Zukunft führen: Wie gelingt das? „Wir haben beide das gleiche Ziel vor Augen und wissen, dass wir uns verlässliche Partner sind“, sagt Ulrich Wagner. Hilfreich sei auch, dass beide abends in ihre eigenen Leben zurückkehren. „Zudem ergänzen wir uns sehr gut. Ulrich geht gerne voran, ich warte eher ab. Bislang haben wir uns immer gut in der Mitte getroffen“, sagt die 52-Jährige.
Künftig wollen Ellen und Ulrich Wagner alle bisherigen Standorte auf dem „Wagner-Campus“ am Ortseingang von Lahr vereinen – und die historische Wiege des Unternehmens in der Tullastraße zugunsten der Vorteile synergieorientierten Arbeitens aufgeben. Der Zeitplan sieht drei Jahre für dieses Projekt vor. „Damit wir auch noch etwas davon haben, bevor wir in Rente gehen“, scherzen beide.
Kristin Schwarz