Mutig sein, Entscheidungen treffen, Orientierung geben, dabei ruhig bleiben und den Humor nicht verlieren – in wirtschaftlich anstrengenden Zeiten ist gute Führung der springende Punkt. Nicola Winter weiß, wie das geht. Als ehemalige Eurofighter-Pilotin der Bundeswehr, Astronautin in Reserve und Dozentin für Krisen- und Notfallmanagement hat sie all das gelernt. Auf dem Sommerempfang der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg erklärte sie, wie man zu mehr Krisenfestigkeit kommt.
Frau Winter, Sie trainieren Unternehmer und Führungskräfte im guten Umgang mit Krisen und Risiken. Was raten Sie, wenn plötzlich Krise ist?
Nicola Winter: Wenn die Krise auf der Türschwelle steht, heißt es tatsächlich schlicht: Atmen. Denken. Tun. Meint: Halten Sie inne, behalten Sie die Kontrolle – analysieren Sie die Situation – ergreifen Sie geeignete – und ich betone geeignete – Maßnahmen.
Klingt naheliegend.
Grundsätzlich schon. Aber Hand aufs Herz: Statt durchzuatmen neigen viele ganz schnell zu wildem Aktionismus. Die Analyse kommt dann eh zu kurz und am Ende schickt man die getroffene Entscheidung doch wieder in eine weitere Besprechungsschleife und sucht nach Rückversicherung anstatt loszulegen.
Wie macht man es besser?
95 Prozent des Krisenmanagements muss vor der Krise stattfinden. In der Fliegerei hat sich der Spruch „proper planning and preparation prevents piss poor performance“ durchgesetzt. Es gilt, alle Eventualitäten im Vorfeld 100-mal durchzudenken, um im Ernstfall nicht kalt erwischt zu werden. Vorbereitung ist alles. Am Himmel haben Sie bei Mach 2 auch keine Zeit für eine weitere Besprechungsschleife.
Nehmen sich Unternehmen denn die Zeit, ihre Krisenperformance zu trainieren?
Das kann ich nicht gut beantworten, weil ich ja von den Unternehmen eingeladen werde, die sich die Zeit nehmen wollen. Die anderen treffe ich gar nicht.
Aber – und da beginnt das Dilemma – mit 45 Minuten Vortrag ist es leider nicht getan. Beim Resilienztraining ist es wie mit der Mitgliedschaft im Fitnessclub. Der Vertrag allein reicht nicht, um Sie fit zu machen. Man muss schon hingehen und auch etwas tun. Das Ganze ist ein Prozess. Es braucht Zeit und Geduld.
Wie lange braucht eine gute Abhärtung?
Das ist sehr unterschiedlich und hängt auch davon ab, in welcher Verfassung ein Unternehmen ist. Steht es gerade gut da oder ist es aufgrund der letzten Krisen ohnehin sehr dünnhäutig. Das ist wie bei uns Menschen. Die Resilienz ist nicht immer gleich. Mit der Bereitschaft, Krise anzuerkennen und darüber zu reden, ist aber schon mal eine Menge geschafft.
Nicola Winter
… startete ihre Karriere 2004 als eine der wenigen Kampfjetpilotinnen der Bundeswehr. Fast 14 Jahre lang flog die 38-Jährige Eurofighter und Tornados und schulte den Fliegernachwuchs. 2017 kürten sie die Wirtschaftswoche und die Boston Consuting Group zur „Vordenkerin des Jahres“. Heute ist die studierte Luft- und Raumfahrtingenieurin und ausgebildete Rettungssanitäterin Astronautin in Reserve bei der europäischen Raumfahrtorganisation (ESA) und lehrt als Hochschuldozentin und selbstständige Trainerin Notfall- und Krisenmanagement.
Warum?
Das Schlimmste, was mir in einem Unternehmen passieren kann, ist, wenn die Mitarbeiter eine Krisensituation wahrnehmen und die Geschäftsleitung noch tut, als wäre alles normal. Bei so einer Diskrepanz in der Wahrnehmung ist der Vertrauensverlust maximal.
Wenn dagegen alle einig sind, ‚Ja, das ist jetzt eine herausfordernde Situation und wir gehen das alle gemeinsam an‘, ist schon viel gewonnen. Ehrlich zu kommunizieren ist das A und O.
Ich glaube, das macht oft auch den Unterschied, warum manche Chefs geliebt werden und andere nicht. Ehrlich und nahbar sein. ‚So ist die Lage und das ist unser Plan.‘
Und wenn es keinen Plan gibt?
Wenn die Geschäftsleitung sagt: ‚Ja, die Lage ist mies, wir haben aber auch keinen Plan‘ ist das auf Dauer natürlich fast genauso schlecht, als die Krise zu negieren. Da muss dann schon was kommen.
Was wäre ein guter Plan?
Das lässt sich nicht allgemeingültig sagen. Ein eher schlechter Plan – gleich in mehrfacher Hinsicht – wäre aber, der Mannschaft die Botschaft mitzugeben: ‚Wir müssen uns jetzt einfach mal für ‘ne Zeit am Riemen reißen und durchpowern. Dann wird das schon wieder.‘ Zum einen suggerieren Sie damit schnell, dass die Menschen bisher zu wenig getan haben. Und jetzt sollen sie ranklotzen – um Ihr Unternehmen zu retten. Was haben die denn davon? Zum anderen verordnen Sie so qua Befehl, dass für die nächsten Monate das Unternehmen wichtiger ist als die restlichen Aspekte im Privatleben der Mitarbeiter. Das ist unrealistisch und übergriffig.
Hätten Sie eine Lösung parat?
Mehr, mehr, mehr ist selten die Lösung. Man muss sehen, dass man das anders hinbekommt. Mein Ansatz ist immer: Work smarter – not harder. Diese Herausforderung anzuerkennen und anzunehmen, ist eine Art reinigender Prozess. Es öffnet mental die Tür, Dinge jetzt wirklich mal anders zu machen, neues zu denken. Prozesse, Geschäftsmodelle…
Und wenn Sie partout nicht umhin kommen zu sagen, wir müssen mehr und härter, dann machen Sie es ganz konkret: für wie lange, was heißt das und was haben die Mitarbeiter davon. Wenn es einen Zeithorizont gibt und eine Belohnung, kann das Zustimmung finden. Aber Sie brauchen diesen Austausch miteinander.
Sie betonen in Ihren Vorträgen die Wichtigkeit der Nachbereitung. Warum?
In der Kampfjetfliegerei ist das Debriefing das Wichtigste. Es nimmt weit mehr Zeit ein als das Briefing vor einem Flug. Wir müssen zwischen den Flügen lernen. Weil wir so wenige davon haben und sie vergleichsweise kurz sind. Bei Unternehmen ist das ähnlich. Sie lernen
idealerweise zwischen ihren Einsätzen.
Aber die Pausen zwischen Krisen werden immer kürzer…
Das sagen mir die Unternehmen auch immer: ‚Wir haben gar keine Zeit zwischen den Projekten oder den Krisen zu lernen. So eine Manöverkritik bindet all meine Mitarbeiter für einen halben Tag.‘ Worauf ich nur entgegnen kann: Die meisten Unternehmen können es sich gar nicht leisten, darauf zu verzichten!
Wie gut muss es einem wirtschaftlich gehen, wie relaxt muss die Lage sein, wenn ich es mir leiste, nicht von Projekt zu Projekt besser zu werden? Ich kann es mir erlauben, die gleichen Fehler immer wieder zu machen? Wie toll ist das denn? – Ein halber Tag strukturierte Nachbesprechung ist angesichts dessen, was man gewinnt, doch nicht wirklich viel, oder?
Einen Schmunzler beim Publikum gibt es in Ihren Vorträgen oft bei der Episode mit dem Tanklasterfahrer…
Ja, letztlich wird aber daraus dann meist ein Aha-Effekt. Es geht darum, dass man als Kampfjetpilot – der ja ein unglaublich teures Arbeitsgerät zur Verfügung hat – ganz schnell lernt, wie wichtig der Fahrer des Tanklasters ist. Wenn der nicht kommt, bleiben wir mit unseren teuren Kisten am Boden. Man vergisst schnell mal, wie wichtig das – vermeintlich – kleinste Rädchen ist.
Der gut bezahlte Ingenieur bekommt ohne den Mechaniker kein Auto gebaut, aber der Mechaniker würde ein fahrtüchtiges Gefährt auch ohne den Ingenieur hinbekommen. Man muss sich immer fragen: Wie schnell kommt unser Unternehmen in die Bredouille, wenn welcher Mitarbeiterkreis streikt? Wenn die Kantine oder die Hotline nicht besetzt sind, ist schneller Alarm, als wenn das Management mal fehlt. Unterm Strich wird nur mit allen zusammen etwas draus. In unserer Gesellschaft wird das gerne vergessen.
Pilotin, Reserveastronautin, Fluglehrerin, Rettungssanitäterin, Luft- und Raumfahrtingenieurin – Sie haben sich in Ihrer Laufbahn recht eindrucksvolle Stationen erarbeitet, die nicht leicht zu erreichen sind. Wo kommt der Drive her, sich das zuzutrauen?
Die absolute Leidenschaft fürs Fliegen bringe ich aus der Familie mit. Was den Drive angeht, war ein Satz meines Vaters sehr prägend. Als ich mit der Idee zur Pilotinnenausbildung um die Ecke kam, sagte er: ‚Jetzt gibst du einfach richtig Gas und schaust, wie weit du kommen kannst.‘ Diese Haltung erreicht viele Zuhörer in meinem Publikum: Ich muss mich wirklich anstrengen, wenn ich große Dinge erreichen will.
Und der andere Aspekt dabei ist: Ich schau mal, wie weit das reicht. Wenn man dann nicht aufhört mit dem Anstrengen, reicht das oft sehr viel weiter als zuvor gedacht.
Wichtig ist mir dabei aber auch, nicht ständig rechts und links zu schauen und sich zu vergleichen. Ich weiß doch gar nicht, mit welchen Voraussetzungen andere gestartet sind. Man kann viel jammern, dass jemand andere Karten hat, aber es bringt einen null weiter. Man muss aus seinen eigenen Karten und Voraussetzungen einfach das Beste machen – und das klappt in jedem Alter und an jedem Tag aufs Neue.
Das Gespräch führte Ulrike Heitze.
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