In unserer Rubrik „Aus dem Südwesten“ stellen wir Produkte vor, die viele kennen, von denen aber wenige wissen, dass sie in der Region hergestellt werden. Diesmal: Tunnelbohrmaschinen von Herrenknecht aus Schwanau.
Für den Verkehrsfluss
Noch keine 50 Jahre ist er alt und doch schon in die Jahre gekommen: Der 16,9 Kilometer lange Gotthard-Straßentunnel – ein Schlüsselbauwerk des transeuropäischen Nord-Süd-Verkehrs –, der die Schweizer Orte Göschenen im Kanton Uri und Ariolo im Tessin unterirdisch verbindet. Drei Jahre soll die Sanierung des Tunnels dauern. Damit der Verkehr weiter rollen kann, hat das Schweizer „Bundesamt für Strassen“ (ASTRA) eine zweite Tunnelröhre – von Göschenen aus 70 Meter östlich zum bestehenden Tunnel – beauftragt. Die Herrenknecht AG aus Schwanau ist mit ihren Tunnelbohrmaschinen (TBM) maßgeblich am Bau beteiligt. Um den Haupttunnel „vortreiben“ – also bohren – zu können, werden zunächst von beiden Seiten der Alpen vier bis fünf Kilometer lange Zugangsstollen hin zu den Störzonen* gebaut. Der erste Zugangsstollen von Göschenen Richtung Süden ist fast vollständig abgeschlossen. „Die gesamte Anlage der Tunnelbohrmaschine, die diesen Abschnitt bereits gegraben hat, wird derzeit demontiert und zurück nach Deutschland transportiert“, erzählt Andreas Leppert, Projektleiter für diese Anlage des Gotthardprojekts (Bild).
Hauptsache Stahl
Gebaut werden die Tunnelbohrmaschinen im Schwanauer Werk, die individuell für das jeweilige Projekt und für sämtliche Baugründe in Durchmessern von 0,10 bis 19 Meter entwickelt und angepasst werden. Eine komplette Anlage besteht überwiegend aus Stahl, allem voran der Bohrkopf, an dem die sogenannten Abbauwerkzeuge – am Gotthard sind dies Schneidrollen, die den Fels brechen – befestigt sind. Gesteuert wird das Ganze über eine elektrische Maschinensteuerung. „Über die Hydraulikanlage wird die Maschine nach vorne gedrückt, der elektrische Antrieb sorgt für die Rotation des Bohrkopfes“ führt der Projektleiter weiter aus. Die Versorgung der Anlage befindet sich hinter dem Bohrkopf. Nur ganz selten kann nach Projektabschluss eine komplette TBM wiederverwendet werden. „Das sind vielleicht fünf Prozent aller Maschinen, die man genau so wiedereinsetzen kann, wie sie mal waren“, sagt Andreas Leppert. „Aber die einzelnen Stahlteile sowie weitere Komponenten können immer wieder bearbeitet, angepasst und für neue Maschinen verwendet werden. Dadurch reduzieren sich die einzusetzenden Ressourcen und Rohstoffe, die Produktion wird nachhaltiger.“
Reihenfolge beachten
Ist die Tunnelbohrmaschine im Schwanauer Werk abgenommen, wird sie wieder zerlegt und mit Schwertransporten – mit zum Teil bis zu sechs Metern Breite – an den Einsatzort gebracht. Dabei spielt die Lieferreihenfolge eine große Rolle, da – gerade auch am Gotthard – oft wenig Platz für eine derart große Maschine ist. Vor Ort wird sie Stück für Stück wieder zusammengebaut. „Das war bei diesem Projekt eine komplizierte Untertage-Montage, die wir federführend gemeinsam mit dem Kunden entwickelt und durchgeführt haben“, erläutert der Manager. „Wir haben erstmal den vorderen Teil der Maschine aufgebaut und diesen hydraulisch in den bereits vorhandenen, kleinen Tunnel reingeschoben, um wieder Platz für die nachfolgenden Teile der Anlage zu haben. Diese wurden parallel an einem anderen Ort aufgebaut, vor das Portal gebracht und die Anlage sukzessive zusammengebaut.“ Circa 50 Mitarbeiter sind im Werk in den Bau eines solchen Anlagenprojektes involviert. Je nach zeitlichem Druck auch mehr. „Von der Bestellung bis zur Auslieferung der Tunnelbohrmaschine für den ersten Zugangsstollen ab Göschenen waren es gerade mal zehn Monate. Das war schon sehr sportlich“, so Leppert.
Am Gotthard geht‘s weiter
Mehr als 6.200 Projekte weltweit hat die Herrenknecht AG seit ihren Anfängen bereits umgesetzt, der Umsatz 2022 lag bei 1.232 Millionen Euro. Der Vorstandsvorsitzende Martin Herrenknecht hat das Unternehmen, zu dem heute rund 70 Tochter- und geschäftsnahe Beteiligungsgesellschaften im In- und Ausland gehören, 1977 als GmbH gegründet, die Umwandlung zur AG erfolgte 1998. Etwa 5.000 Mitarbeiter sind weltweit beschäftigt, davon knapp 200 Auszubildende. Trotz der steigenden Rohstoffpreise und der Herausforderungen in den Lieferketten: Auch für die nächsten beiden Bauabschnitte am Gotthard-Tunnel sind Tunnelbohrmaschinen des Ortenauer Unternehmens im Einsatz, der zweite Zugangsstollen ist bereits zu 80 Prozent fertiggestellt, danach folgt der erste Teil des Haupttunnels aus südlicher Richtung.
Andrea Keller
*Die sogenannten Störzonen können die Tunnelbohrmaschinen nicht bewältigen. Dort kommen Sprengungen zum Einsatz, ehe der Haupttunnel gebohrt werden kann.