Freiburg. Dass unternehmerischer Erfolg auch im Bettenfachgeschäft weder über Nacht kommt noch im Schlaf passiert, wird im Gespräch mit Henrike Beck schnell deutlich.
Die 53-jährige Geschäftsführerin steht seit 2005 in vierter Generation an der Spitze des 1902 von ihrem Urgroßvater Gottfried Stiegeler gegründeten Freiburger Traditionshauses Stiegeler Schlafkomfort. Zwei Weltkriege, in denen die Frauen der Familie die Geschäfte weiterführten, Wirtschaftskrisen, Fachkräftemangel, der Markteintritt von Billigmatratzen, Coronapandemie, verzögerte Lieferketten und jüngst der Russland-Ukraine-Krieg: Wie hat es das Familienunternehmen geschafft, sich trotz dieser zahlreichen Herausforderungen seit 120 Jahren am Markt zu behaupten – noch dazu mit Matratzen und Betten, die meist erst nach mehreren Jahren erneuert werden müssen?
Immer wieder Neues wagen
„Der Schlüssel liegt darin, sich permanent den Marktveränderungen anzupassen. Um unsere Kunden trotz pandemiebedingter Kontaktverbote bedienen zu können, haben wir diese im Coronalockdown kurzerhand telefonisch oder per Video beraten und ihnen die bestellten Waren nach Hause geschickt“, sagt Henrike Beck. Damals fiel auch der Entschluss für einen Onlineshop. „Betten und Matratzen vertreiben wir darüber nicht, die muss man vor Ort testen. Mit unserem Onlineangebot an Kissen, Decken und Bettwäsche schaffen wir ein digitales Schaufenster und setzen Anreize, um in das Ladengeschäft zu kommen“, erklärt die Unternehmerin, die auch intern regelmäßig neue Wege geht und ihre Abläufe optimiert. Zum Beispiel durch die Einführung neuer Warenwirtschafts- oder Lean-Management-Systeme. Letztere sollen Mitarbeitern helfen, sich schnell in interne Prozesse einzuarbeiten.
Insgesamt beschäftigt Henrike Beck 20 Personen, darunter geschulte und erfahrene Fachberater, Büroangestellte und Handwerker. Einige sind bereits bis zu 40 Jahren dabei. Um die Mitarbeitenden und das langjährig erworbene Fachwissen zu halten, setzt Beck auf transparente Prozesse, eine offene Gesprächskultur, eigenverantwortliches Arbeiten und lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle. Trotzdem: Der Fachkräftemangel auf der einen und die starke Konkurrenz durch regionale Industrieunternehmen auf der anderen Seite sind ein Thema.
Potenziale erkennen und ergreifen
Wichtig für den unternehmerischen Erfolg sei auch, mutige und vorausschauende Entscheidungen zu treffen. So wie ihre Eltern, die das Potenzial der ehemals unbeliebten Gerberau früh erkannt und dort zukunftsweisend investiert haben – entgegen des damaligen Trends, raus auf die grüne Wiese zu ziehen. Bis heute ist Stiegeler in der Gerberau 34/36 zu Hause. Seit mehr als einem Jahr, und damit nicht erst im Zusammenhang mit der aktuellen Energiekrise, plant Beck, Photovoltaikanlagen auf dem Dach zu installieren und die Fassade im Innenhof zu begrünen. Doch die Bürokratie erschwert die Umsetzung der Ideen.
Langfristige Erfolge statt schnelle Umsätze
Wettbewerbern aus dem Online- und Discounthandel sieht Henrike Beck gelassen entgegen: „Wenn es eine hochwertige Matratze zum Schnäppchenpreis geben würde, hätte ich sie sicher im Sortiment. Billige Matratzen müssen auch sehr günstig produziert werden, um Gewinne abzuwerfen. Das widerspricht meinem Qualitätsanspruch und Umweltbewusstsein. Statt auf den günstigsten Preis setze ich primär auf langlebige Produkte deutscher Hersteller.“
Überhaupt sei schneller Umsatz und permanentes Wachstum mit ihrer Unternehmensphilosophie nicht vereinbar. Ihre Kunden würden es begrüßen, dass sie und ihre Mitarbeiter ohne Druck ins Verkaufsgespräch gehen. Woran sie das festmacht? „Unsere Kunden schätzen eine lösungsorientierte Bedarfsermittlung. Dazu benötigt man ausreichend Zeit, Expertise und Menschenkenntnis. So kommen auch ehemalige Freiburger während ihrer Stippvisite in der alten Heimat gezielt bei uns Einkaufen, oder lassen sich sogar unsere Waren ins Ausland – zum Beispiel nach New York – nachschicken. Dann machen wir wohl einiges richtig.“
Text: ks
Bilder: Porträt: privat, oben: Thomas Kunz