Dass man mit Papier die Welt verändern kann, beweist Koehler aus Oberkirch seit mehr als 200 Jahren. Jetzt aber investieren die Furlers so viel Geld wie noch nie in Windparks und Wasserkraft, in Biomasse und Bildung
Papier ist nicht geduldig. Schon gar nicht hier in Kehl, wo eine 4,20 Meter breite Papierbahn mit über 80 Stundenkilometern aus einer Maschine hervorschießt, die mit 150 Metern Länge so groß ist wie ein kleiner Öltanker. Wahrscheinlich auch so teuer – aber deutlich umweltschonender. Denn was hier entsteht, ist die Verpackung der Zukunft. Intelligent beschichtetes Papier – für Schokoriegel oder Hundefutter, das man bislang in Plastik oder Weißblech hüllte. Ein paar tausend Tonnen weniger Kohlendioxid? „Eher noch drei Nullen mehr“, sagt Koehler-Vorstand Kai Furler. Er ist die achte Generation an der Spitze der Papiermacher-Dynastie aus dem Renchtal und schickt sich an, das Unternehmen radikal zu transformieren. Mehr als 500 Millionen Euro werden derzeit investiert, denn Koehler will nicht nur das intelligenteste Papier der Welt herstellen – sondern auch auf die intelligenteste Art und Weise.
Die letzte Kohle ist weg
Seit 2012 gibt es daher die Koehler Renewable Energy. Millionen flossen seither in Wasser- und Windkraftwerke in Schottland, in einen Windpark in Hessen (auf dessen Genehmigung man ewig warten musste), in zahlreiche große Biomasseheizkraftwerke, beispielsweise in Kehl und am Stammsitz in Oberkirch: Koehler macht also ernst mit der Energiewende – und das mit einem Energiebedarf von jährlich 370.000 Megawattstunden Strom und 790.000 Megawattstunden Wärme. „Wir haben uns klar committed“, sagt Furler dazu. „2030 wollen wir mit unseren eigenen Anlagen bilanziell mehr erneuerbare Energie erzeugen, als wir für unsere Papierproduktion benötigen – aber wir erreichen dieses Ziel wahrscheinlich schon 2028.“
Vor ein paar Wochen ist die letzte Schaufel Steinkohle in Oberkirch verfeuert worden, als nächstes steht die Eröffnung der hauseigenen Kita an, benannt nach Oma Gretel Furler, die in den 1970er-Jahren eine der ganz wenigen Frauen in Deutschland war, die in einem Aufsichtsrat eines Unternehmens vertreten war – und das 17 Jahre lang und sehr erfolgreich. Koehler steht auch dank ihr seit Jahrzehnten für Innovationen. Man hat das Selbstdurchschreibepapier (reacto) in Oberkirch zwar nicht erfunden, aber seine Herstellung perfektioniert. Gleiches galt Jahre später für Thermopapier (in Kehl), womit Koehler zu einem Global Player wurde: mit 2.500 Mitarbeitern und 1,1 Milliarden Euro Umsatz 2023.
Das Thermopapier ist nach wie vor ein Bestseller. Parkautomaten, Supermarktkassen – einfach überall. Im E-Commerce braucht man das Thermopapier beim Labeln, aber Koehler wäre nicht Koehler, wenn man es dabei beließe.
300 Millionen für Kehl
Also hat man erst den Weltmarktführer für Bierfilze aus einer Insolvenz heraus übernommen (Katz im Murgtal) und setzt jetzt auf versiegelbares, fett- und aromadichtes Verpackungspapier. 300 Millionen Euro hat man dafür 2019 in die Erweiterung der Kehler Papierfabrik investiert. „Das ist die Zukunft“, sagt Kai Furler dazu. „Aber aller Anfang ist schwer und ich glaube nicht, dass sich ein börsennotiertes Unternehmen diesen Schritt zugetraut hätte.“ Denn so gut es ist, Plastikverpackungen wo immer möglich durch Papier zu ersetzen: Große Markenartikler wollen bei der Verpackung von Gummibärchen, Schokoriegeln oder Mini-Salamis nichts riskieren. Also wird genau beobachtet, welche Erfahrungen Start-ups mit den Nex-Flex-Papieren von Koehler sammeln …
„Schwierigste Phase meiner Karriere“
Für Kai Furler ist der Kampf gegen Plastik auch etwas Persönliches. Der Mann ist Jäger und Heger, spielt Golf, wandert gern und findet seinen Ausgleich in der Natur. Wer ihn in sein Revier begleitet, muss manchmal abrupt stehenbleiben – denn der Vorstand bückt sich, wenn am Wegrand ein weggeworfener To-go-Becher liegt. „So ein Stück Plastik stört mich gar nicht so sehr“, sagt er. „Denn das kann man aufheben. Aber was an Plastik in den Ozeanen schwimmt, ist ein echtes Problem!“
Die Welt ein bisschen besser machen – diesen Anspruch nimmt man bei Koehler sehr ernst. „Ich habe einen Generationenauftrag“, sagt Furler dazu, der 2007 Vater und Onkel im Vorstand beerbte. Elf Enkel umfasst die neunte Generation, aus dieser Perspektive sieht es schon mal gut aus für die 250-Jahr-Feier im Jahr 2057. „Ich will nicht die letzte Seite im Koehler-Buch sein, auf keinen Fall“, sagt der Chef dazu und wird ernst. „Wir bewegen viel und das macht großen Spaß – aber politisch und von den Rahmenbedingungen her ist es aktuell die mit Abstand schwierigste Phase meiner Karriere.“ Deutschland habe sich zu einem echten Standortnachteil entwickelt – während Asien weltweit eh schon nachfrageschwache Märkte überflutet.
„Wir werden von immer neuen Vorschriften regelrecht erschlagen und keine dieser Gesetzesnovellen fördert die Produktivität. Im Gegenteil: Es geht nur um immer noch mehr administrativen Wahnsinn. Darunter leiden wir massiv“, sagt Furler. War es also ein Fehler, in Kehl zu investieren und nicht in Straßburg? Oder sonstwo auf der Welt, vielleicht in Nordamerika? „Es ist schon verrückt, dass Energie nur 500 Meter weiter gerade einmal die Hälfte kostet“, sagt Furler mit Blick auf die seinerzeitige Kehl-Straßburg-Debatte und erzählt von einer Weltreise. In Asien war er, in den USA, in Osteuropa – aber nirgends fanden sich qualifizierte Mitarbeiter für eine High-Tech-Papierproduktion.
Und dennoch: „Eine Runde Golf würde ich in Mar-a-Lago schon spielen“, sagt Furler mit Blick auf Trumps Amerika, die immer größer werdenden Schwierigkeiten, Personal für die Schichtarbeit zu finden und den Ärger, den Koehler (mal wieder) mit dem US-Zoll hat. 193 Millionen Dollar Zölle soll man zahlen, weil das deutsche Thermopapier zu günstig sei. „Durch nichts gerechtfertigt“, sagt Furler dazu. „Das ist reiner Protektionismus.“
Wie nachhaltig Ausbildung ist
Abseits vom Wirtschaftskrimi werden derweil Fakten geschaffen. In Willstätt hat Koehler für sogenannte Sublimationsmedien, also Papiere, um T-Shirts und Tassen zu bedrucken, eine supermoderne Fabrik hingestellt – und dann den Nachbarn gekauft: Die frühere Zentrale des Textildiscounters Orsay, wo es seither nicht mehr um Fast Fashion geht, sondern unter anderem um eine solide Ausbildung. Koehler hat hier für rund 73 Millionen Euro eine hochmoderne Bierdeckel-Produktion aufgebaut und seine Ausbildungswerkstatt zentralisiert. „Das ist auch ein Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie“, sagt Furler. „Denn wenn wir die Nachteile des Standorts Deutschland irgendwie ausgleichen können, dann nur über die Mitarbeiter: Wir haben ein unvergleichliches Ausbildungsniveau in Deutschland, aber um das zu halten, müssen wir uns engagieren.“
Wie plant man Unplanbares?
So ist auch die Entscheidung für den Bau der Gretel-Furler-Kita in Oberkirch zu verstehen. Die wird gebaut, um es Müttern und Vätern zu ermöglichen, Familien zu gründen und bei Koehler zu arbeiten. Eigentlich Aufgabe der öffentlichen Hand, aber so ganz der Geduldige ist Kai Furler eben doch nicht. „Wir arbeiten derzeit unter haarsträubenden Rahmenbedingungen. Aber ich bin nicht der Typ, der auf Neuwahlen wartet oder sich davon etwas verspricht“, sagt er mit nachdenklicher Miene. „Opa Hans war Politiker, sogar Präsident des Europäischen Parlaments. Ich aber muss die Weichen im und für das Unternehmen stellen. Früher haben wir das einmal im Jahr gemacht, dann quartalsweise – und inzwischen versuchen wir fast schon täglich, das Unplanbare doch irgendwie zu planen.“ Ulf Tietge