Kappelrodeck. In der Gold-Destille prangt ein goldenes Blatt auf der Verkaufstheke, über die Tag für Tag zahlreiche Edelbrände an Kunden aus nah und fern verkauft werden. Das Logo symbolisiert das Fundament der Schwarzwald-Brennerei, die Ende letzten Jahres ihr 100. Jubiläum feiern konnte: Die Bäume und Sträucher, an denen die Früchte für Kirschwasser, Himbeergeist, William Christ Birne und viele weitere Edelbrände reifen.
1921 kaufte Emil Scheibel den alten Schwarzwaldhof in Kappelrodeck, der bis heute Sitz der Emil Scheibel Schwarzwald-Brennerei GmbH ist, und schuf die Basis für einen Betrieb, der unter seinem Erben Louis und später dessen Sohn Michael Scheibel den Namen zu einem Markenbegriff für Schwarzwälder Edelbrände machte.
Louis Scheibel schlug in den 50ger Jahren eine neue Vermarktungsstrategie ein. Mit der Teilnahme an Fachmessen und dem Fokus auf die Flaschenvermarktung platziert er den Schnaps in den Kaufhäusern. Die Vierkantflasche mit dem Schwarzwaldmädel wird ein Hingucker, der bald weit über die Region bekannt ist. Einen regelrechten Hype löst in den 1950er Jahren die „Schwarzwaldlaterne“ aus, eine vierkantige Flasche gefüllt mit Himbeergeist, die im Glasboden über ein Schweizer Musikwerk verfügt.
In die Markenbildung, das Flaschendesign und die Benennung der Produkte investieren Inhaber Michael Scheibel und Geschäftsführer Raphael Sackmann auch heute noch viel Kreativität. „Es ist wichtig, ein wenig anders zu sein und ausgetretene Wege zu verlassen“, sagt Scheibel.
Der Schwarzwaldhof beherbergt zwei Brennereien. Die Brennanlage ‚Alte Zeit‘ wurde 1990 in Betrieb genommen. Hier wird seither – laut Scheibel einmalig bei einer deutschen gewerblichen Brennerei – ganz traditionell über dem offenen Holzfeuer destilliert. Ob Wildhimbeeren aus den Karpaten, Zibärtle von Ortenauer Streuobstwiesen oder Mirabellen aus Nancy, seltene, rare Früchte bilden die Basis für die „maskulinen“ Destillate der ‚Alten Zeit‘.
Mit Inbetriebnahme der ‚Alten Zeit‘ entschließt sich das Haus, nur noch den Fachhandel zu bedienen; eine Entscheidung mit der zunächst auch Umsatzausfälle einhergehen. „Rückblickend war das für uns aber ein ganz wichtiger Meilenstein“, sagt Michael Scheibel. Die Brände werden zunehmend von der gehobenen Gastronomie empfohlen. „Das ist eine Auszeichnung und auch ein ganz wichtiger Werbeträger.“
Gefiltert über Gold
Die zweite Brennerei, die ‚Neue Zeit‘, – gebaut 2009 – ist das moderne Gegenstück zur Feueridylle. Hier kommt statt knisterndem Feuer Präzisionstechnik zum Einsatz. Das Herz der Anlage bilden die 22-Karat-Goldplatten, eine Art Katalysator, über den Schwefel, Säure und Fruchtfette, die bei der Destillation entstehen, abgefangen werden. Auch dies sei deutschlandweit einmalig, sagt Scheibel. Durch die Goldfilterung sollen die Edelbrände filigraner und milder schmecken als andere Obstbrände.
Das dritte Highlight ist die Whiskybrennerei, für die Michael Scheibel die benachbarte Mühle seiner Familie zu neuem Leben erweckte. Er scheute keine Kosten und Mühen, um das Gebäude, das jahrelang nur noch zur Stromerzeugung aus Wasser genutzt wurde, zu sanieren und dort eine eigene Destille zu installieren. Ende 2014 legte der Chef-Destillateur los. Damit die Destillate als Whisky verkauft werden dürfen, müssen sie mindestens drei Jahre lagern. Den Kaufbeleg für den ersten Whisky, der über die Theke ging, haben die Sackmann und Scheibel aufbewahrt. Das war im Juli 2018 um 13.13 Uhr. Eine Schnapszahl, so wie auch das Geburtsdatum des Großvaters Emil Scheibel, der am 11.11.1899 geboren wurde. „Das kann kein Zufall sein“, schmunzelt Michael Scheibel. Der Großvater habe da wohl seine Finger im Spiel gehabt.
Besucher können die Brennereien und die Mühle besichtigen, sich die Verfahren erklären lassen und die Produkte probieren. Gleiches gilt für Hotelfachschulen, Restaurantpersonal und Azubis. „Die mittlere und gehobene Gastronomie spielt für uns eine wichtige Rolle als Showroom und Multiplikator. Deswegen beraten und erklären wir gerne und ausführlich“, sagt Geschäftsführer Raphael Sackmann.
Von Berlin bis nach Japan
Über mangelnde Präsenz kann sich der 35 Mitarbeiter starke Betrieb nicht beklagen: Scheibel-Schnäpse gibt es im KaDeWe in Berlin, in der gehobenen Küche auf Deutschlands Promi-Insel Sylt und werden im Bundeskanzler- und Präsidialamt zu Terminen mit ausländischen Gästen angeboten. Selbst über die Wolken hat Scheibel es geschafft: „Dass wir mal bei der Lufthansa mitfliegen, war immer ein Traum“, sagt Scheibel. Einer, der sich inzwischen realisiert hat. Himbeergeist und Williams Christ Birne werden sowohl in der Kabine als auch in der Businesslounge der Fluggesellschaft gereicht. Die Kappelrodecker Brände haben es zudem weit über die Landesgrenzen geschafft: Das Kirschwasser aus dem Schwarzwald erfreut sich zum Beispiel auch in Australien und Japan großer Beliebtheit.
Während der Pandemie blieb der Absatz konstant gut. Sorge bereitet eher die Rohstoffversorgung. Die Lieferzeiten für die Spezialflaschen und Etiketten haben sich teilweise dramatisch verlängert. 2021 wurde trotz allgemeiner Krisenstimmung eine neue Lagerhalle mit drei Etagen und insgesamt 1.150 Quadratmetern errichtet, wodurch sich die Betriebsfläche um ein Drittel vergrößert. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach soll folgen. Der Energiekrise blicken Sackmann und Scheibel verhalten stoisch entgegen. Man habe die Auslastung des Brennbetriebs noch einmal deutlich optimiert und außerdem ausreichend Destillate vorrätig, so dass man in den nächsten Monaten nicht zwingend neu brennen müsste.
Ein erheblich freudigeres Thema ist die anstehende jährliche Öffnung der hauseigenen „Schatzkammer“. Hier lagern Brände aus alten, teilweise fast vergessenen Obstsorten. Zudem dürfen sich die Scheibel-Fans in diesem Jahr noch auf ein limitiertes „Goldstück“ freuen. Was genau dies ist? Das Geheimnis wird am 11.11 gelüftet. Eine Schnapszahl, natürlich.
db
Bild 1: Von links: Inhaber Michael Scheibel, seine Schwester Martina und Geschäftsführer Raphael Sackmann vor dem Unternehmenssitz in Kappelrodeck.
Bild 2: Mit der Brennanlage „Alte Zeit“ wird ganz traditionell über offenem Holzfeuer destilliert befeuert. Im Vordergrund steht ein Schwarzwälder Klassiker: Das Kirschwasser.