Hohe Kapitalgebundenheit bei geringer Rentabilität: Das ist ein großes Problem in der ökologischen Landwirtschaft. „Deshalb gibt es uns“, sagt Christian Hiß. Der gelernte Land- und Betriebswirt hat 2006 die Regionalwert AG gegründet, eine Bürgeraktiengesellschaft für den Regierungsbezirk Freiburg.
Eichstetten. Die Regionalwert AG sieht sich als Vermittlerin zwischen Konsumenten und Produzenten sowie zwischen Stadt und Land. Sie sammelt Geld bei Bürgern der Region und investiert es in bestehende oder sich gründende Biolandwirte und andere ökologisch arbeitende Betriebe wie Lebensmittelhersteller, Händler oder Restaurants. So will sie eine regionale Ernährungssouveränität und damit eine Agrarwende ermöglichen. Bislang haben 850 Geldgeber, vor allem private, Aktien in Höhe von rund vier Millionen Euro gezeichnet. Davon wurden drei Millionen Euro in die 25 Partnerbetriebe im Regierungsbezirk Freiburg investiert und zwar in Form von Beteiligungen, nicht Krediten. „Das ist der Hauptunterschied zwischen uns und einer Bank“, erklärt Hiß. Sein Konzept findet viel Beachtung, er wurde dafür schon häufig ausgezeichnet, zuletzt vergangenen Sommer mit dem Preis „Mut zum Handeln“ des Hamburger Magazins Zeit-Wissen. „Sie sind vorbildhaft für andere“, lobte die Jury. Tatsächlich gibt es – außer der Freiburger – mittlerweile Regionalwert AGs in Hamburg, dem Rheinland, Berlin-Brandenburg und Oberfranken. 2020 wurde eine gemeinsame Gesellschaft als Dach gegründet. Jede neue Regionalwert AG muss sich als Gesellschafter in die RW Impuls GmbH mit Sitz in Bonn einkaufen. Dafür sind schon weitere am Start, beispielsweise in Oberschwaben, im Münsterland und im österreichischen Krems. Auch in Spanien und Schweden stößt die Idee auf Interesse.
„Jetzt geht wieder was von Eichstetten aus“, sagt Hiß. Die Kaiserstuhl-Gemeinde gilt als Hochburg der ökologischen Landwirtschaft. Schon in den 1950er-Jahren arbeiteten hier ein halbes Dutzend Betriebe nach den Richtlinien des biologisch-dynamischen Landbaus. Christian Hiß Vater war einer davon. Auch den Biolandverband haben die Eichstetter Pioniere maßgeblich initiiert. Christian Hiß fühlte sich verpflichtet, den Hof weiterzuführen, haderte aber bald mit den eingangs beschriebenen Problemen des Bioanbaus. Deshalb bildete sich der Land- zum Betriebswirt weiter, gründete die Regionalwert AG und verpachtete den eigenen Betrieb – auch, um den eigenen drei Söhnen den Druck der Nachfolge zu nehmen.
Die Regionalwert AG will ihren Wirkungskreis vergrößern und „gesamtgesellschaftliche Akteure“ wie Kirchen, die öffentliche Hand oder Unternehmen ansprechen. Viele Kontakte gibt es bereits, insbesondere zur Stadt Freiburg. Mit der führte man 2019 Gespräche über die Verpflegung öffentlicher Einrichtungen – Schulen, Kitas, Kliniken, Kantinen oder Pflegeheime – mit regionalem Bioessen. Der Bedarf ist da, es geht um mindestens 5.000 Essen täglich. Ursprünglich sollte die Regio-Bioküche Mitte 2022 an den Start gehen. Allerdings hat die Coronapandemie die Planungen auf städtischer Seite gebremst. Bei der Regionalwert AG gingen sie indes weiter. Seit Juli gibt es ein Grundstück in Eichstetten, auf dem ein etwa 2.000 Quadratmeter großes Produktionsgebäude entstehen kann. Solange die Stadt Freiburg zögert, plant man in Eichstetten sehr flexibel. Die Kalkulation liegt bei drei bis fünf Millionen Euro. „Es sind noch viele Möglichkeiten offen“, sagt Dominik Seidler diplomatisch. Der Geschäftsführer der für die Umsetzung zuständigen Regionalwert Immobilien GmbH betont: „Es wird auf alle Fälle eine Regio-Bioküche geben.“ Momentan lässt sich nur nicht sagen, wann das erste Essen ausgeliefert wird. Das Ziel lautet nun 2023. Das Interesse sei sehr groß. „Corona ist Hemmnis und Beschleuniger zugleich“, sagt Seidler. Denn die Pandemie beflügle die Nachfrage nach regionalen Biolebensmitteln.
Die Bioküche soll über Bürgeraktien und andere Beteiligungsmöglichkeiten finanziert werden, zumindest teilweise. Die Rendite der Regionalwert AG ist nicht nur monetär, sondern auch sozial-ökologisch. In anderen Worten: Die Aktionäre bekommen bislang kein Geld ausbezahlt – das soll sich langfristig ändern –, sondern das gute Gefühl, für sich und die Region Verantwortung zu übernehmen. Das fußt einstweilen nur auf ideologischem Boden. Und genau das möchte Christian Hiß ändern. Kostenexternalisierung und Wertinternalisierung lauten die sperrigen Begriffe, um die sich ein Großteil der Arbeit der Regionalwert AG mittlerweile dreht. Hiß spricht auch von „richtig rechnen“. In den vergangenen zwei Jahren hat sich das Unternehmen entsprechend ausgerichtet. Für das operative Geschäft entstanden neue Gesellschaften wie die Regionalwert Immobilien GmbH, während sich die AG auf Forschung und Entwicklungen konzentrierte. Zwei Drittel der 14 Mitarbeiter sind in diesem Bereich tätig.
Ein Riesenthema: nachhaltige Buchhaltung im Rechnungswesen. Gemeinsam mit dem Walldorfer Softwarekonzern SAP und gefördert vom Bund hat Regionalwert hier Pionierarbeit geleistet. Verkürzt geht es darum, dass Vermögenswerte wie Sozial- und Naturkapital künftig in Bilanzen auftauchen sollen. Im Februar endet das zweijährige Projekt, die Ergebnisse werden veröffentlicht. Anbieter von Buchhaltungs- und Finanzprogrammen können sie verwenden, um diese auf den Nachhaltigkeitsaspekt auszuweiten. Regionalwert will hier selbst ins Beratungsgeschäft einsteigen, man hat eigene Instrumente im Angebot, vor allem für landwirtschaftliche Betriebe. „Das Thema wird auch auf IHK-Mitglieder mit Wucht zukommen“, prognostiziert Hiss. Denn es gebe entsprechende gesetzliche Initiativen auf europäischer Ebene (EU-Taxonomie). Insofern lässt sich wohl bald wieder Neues aus Eichstetten berichten.
kat