Die Zimmer Group, die vergangenes Jahr ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert hat, war lange Zeit im Wortsinn ein Hidden Champion, weil sie ihre Greifer und anderen technischen Produkte, die das Arbeiten in Fabriken erleichtern, unter anderem Namen fertigte. Mittlerweile ist auch der eigene bekannt und das Unternehmen einer der größten Arbeitgeber von Rheinau.
Zwei Generationen, zehn Köpfe: die Firmengründer Martin (ganz links) und Günther Zimmer (fünfter von rechts) mit den ältesten acht Kindern. Jonas Zimmer (fünfter von links) ist Geschäftsführer der Zimmer Kunststofftechnik.
Rheinau. Wenn sich die Schublade besonders sanft und leise schließt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Technik von Zimmer im Spiel ist. Denn das Unternehmen aus Rheinau fertigt unter anderem Dämpfungssysteme. Ursprünglich waren diese gar nicht für Möbel gedacht, sondern wurden ausschließlich in der Industrie verwendet. Das änderte sich, als ein großer Hersteller von Möbelbeschlägen Ende der 1990er-Jahre seine Führungsschienen für Küchenschubladen damit ausstatten wollte. Dafür musste Zimmer die Industriestoßdämpfer statt aus Metall aus Kunststoff, in wesentlich höheren Stückzahlen – und vor allem deutlich günstiger produzieren. Das Unternehmen meisterte diese Herausforderung und baute eine hochautomatisierte Fertigung auf. Mit seinen „Soft-Close“-Produkten beliefert Zimmer heute fast alle großen Beschlags- sowie Möbelhersteller und zählt hier zu den Weltmarktführern.
Die Episode steht beispielhaft für die Entwicklung der Zimmer-Gruppe in den zurückliegenden vier Jahrzehnten: Ein Kunde kommt mit einer technischen Frage, das Zimmer-Team findet eine Lösung und macht daraus meist auch ein erfolgreiches Produkt. „Die Freude an der Technik liegt bei uns in den Genen“, sagt Günther Zimmer. „Wir waren schon zu Beginn die Problemlöser in der Gegend.“ Der Vater, Gewerbeschullehrer und begabter Tüftler, ließ die sieben Kinder früh an den schulischen Werkbänken basteln. „Mit 14 hatte mein Vater mir schon die Metallverarbeitung in den Grunddisziplinen vermittelt“, berichtet Günther Zimmer. Nach Schule und Zivildienst begann er 1980 mit 22 Jahren in einem umgebauten Kuhstall, Aufträge für Industriekunden aus der Region zu übernehmen. Bruder Martin Zimmer stieg bald ein, Vater Herbert Zimmer unterstützte mit seinem technischen Talent. Schon bald machte die große Nachfrage eine Unternehmensgründung nötig. Dabei wollte Günther Zimmer eigentlich nur ausreichend Geld verdienen, um seinen ursprünglichen Traum verwirklichen zu können: eine Landkommune. Doch weil die Zimmers bald einen standardisierten Greifer und weitere mechanische Komponenten für die industrielle Automatisierung entwickelten, nahmen die Pläne eine andere Richtung.
Heute ist die aus drei Einzelfirmen bestehende Gruppe ein weltweit anerkannter Spezialist in der Linear-, Verfahrens-, Werkzeug- und Maschinen- sowie der eingangs beschriebenen Dämpfungstechnik. Zimmer gilt als wichtiger Akteur auf dem Weg Richtung Industrie 4.0. Lange war das Unternehmen im Wortsinn ein Hidden, also versteckter Champion, weil es unter anderen Namen fertigte. Der eigene wurde erst ab den Nullerjahren zur Marke, als man die Einzelunternehmen unter dem Dach der Zimmer Group vereinte. Die ist einer der beiden größten Arbeitgeber Rheinaus. Mehr als 1.000 der insgesamt 1.260 Zimmer-Beschäftigten arbeiten in der nördlichen Ortenau, die anderen verteilen sich auf den Standort Ettlingen sowie die 13 Vertriebsniederlassungen rund um den Globus. Die Referenzliste gleicht einem Who’s who der Industrie. Nahezu alle großen Auto- und Maschinenbauer weltweit nutzen Technik aus Rheinau. Vor einigen Jahren hat Zimmer das Kundenspektrum bewusst diversifiziert in Richtung Logistik, Medizintechnik, Luftfahrt-, Lebensmittel und eben Möbelindustrie. Der Umsatz der Gruppe lag 2020 bei knapp 165 Millionen Euro und somit nur etwas unter dem Rekordwert von 2019 (168,5 Millionen).
„Wachstum allein war nicht unbedingt der Plan“, sagt indes Günther Zimmer. Im Fokus hätten vielmehr die Qualität, die Prozesse und die Zufriedenheit von Mitarbeitern, Kunden sowie der Familie gestanden. Die Zimmer-Brüder gehen die Dinge intuitiv und menschlich an, legen nicht nur auf den Unternehmenserfolg Wert, sondern auch auf vermeintliche Nebensächlichkeiten. So versorgt beispielsweise ein ehemaliger Sternekoch die Gäste im betriebseigenen Restaurant mit frischem, regionalem Essen. Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind bei Zimmer kein Trend, sondern von Anfang an gelebter Unternehmensalltag. Seit 2020 produziert die Gruppe CO2-neutral.
Vielleicht gerade weil sie sich zunächst nicht als klassische Unternehmer sahen, machten Günther und Martin Zimmer vieles richtig und machen es immer noch. Die Pandemie beispielsweise hat das Unternehmen recht gut gemeistert, weil es ein Jahr zuvor verschiedene Was-wäre-wenn-Modelle durchgespielt hatte. „Wegen der Umbrüche in der Automobilindustrie hatten wir uns frühzeitig auf Resilienz getrimmt“, erklärt Günther Zimmer. „Deshalb waren wir auf Covid hinsichtlich Schwankungen im Umsatz und Auftragseingang besser vorbereitet.“ Den Nachfolgeprozess haben die zwei Gründer, heute 63 und 59 Jahre alt, schon vor Jahren unaufgeregt und mit professioneller Unterstützung begonnen. Günther und Martin Zimmer haben zusammen zehn Kinder. Fünf davon arbeiten mittlerweile im Familienunternehmen. Jonas Zimmer (32) hat vor zwei Jahren die Geschäftsführung der Zimmer GmbH Kunststofftechnik übernommen. „Ich ziehe mich nun peu à peu aus dem Tagesgeschäft zurück – bestenfalls ohne dass es jemand bemerkt“, sagt Günther Zimmer. Er möchte bald mehr Zeit für seine Familie und sein Herzensprojekt haben. Statt der Landkommune in der Ortenau betreibt Günther Zimmer heute ein Bioweingut samt Olivenölproduktion auf Mallorca.
kat