Als Entwickler des modernen Bürostuhls ist die Sedus Stoll AG in der Branche bekannt. Das Unternehmen hat sich in seiner Geschichte vom Stuhlhersteller zum Komplettanbieter für moderne Bürowelten entwickelt. Dieses Jahr feiert Sedus Stoll 150. Jubiläum und zieht zugleich eine gemischte Bilanz des Jahres 2020.
Dogern. Vom Drehstuhl in der Anfangszeit bis zu Lösungen fürs Homeoffice in der Coronapandemie – Innovationen prägen die 150-jährige Geschichte von Sedus Stoll. Zu Beginn, im Jahr 1871, stand diese Idee des Firmengründers Albert Stoll I: Kaffeehaus- und Schaukelstühle aus Holz, das unter Wasserdampf gebogen wurde, zu fertigen. Um seine Pläne umzusetzen, zog Stoll von Bad Cannstatt bei Stuttgart nach Waldshut. Denn in der wenig industrialisierten Gegend am Hochrhein gab es zum einen ausreichend Buchenholz sowie zum anderen genügend und für die Flechtarbeit qualifizierte Arbeitskräfte. Der gute Anschluss ans Eisenbahnnetz sprach ebenfalls für den Standort. Bekannt wurde das Unternehmen indes weder mit Kaffehaus-, noch mit Schaukel-, sondern mit Bürostühlen. Auf deren Entwicklung konzentrierte sich Albert Stoll ab den 1890er-Jahren. Ein höhenverstell- und drehbarer hölzerner sogenannter Bugholz-Vierfuß entstand. Sein Sohn Albert Stoll II entwickelte den Bürostuhl weiter. Seine Überzeugung war, dass ein guter Bürostuhl nicht nur der Gesundheit des Arbeiters dient, sondern auch hilft, dessen Leistungen zu steigern.
1926 präsentierte Stoll seinen „Federdreh“ (Bild) zum ersten Mal der Öffentlichkeit – „der erste Arbeitsstuhl mit drehbarer Säulenfederung und beweglicher Rückenlehne“, wie es in der Pressemitteilung des Unternehmens zum 150. Jubiläum heißt. Noch heute gelte er „als Urvater des modernen Bürostuhls“.
Kurz nach der Markteinführung gab es ihn auch mit Schwenkrollen, und schnell wurde er zum Hauptumsatzträger des Unternehmens.Auch die Söhne Albert Stolls II stiegen ins Familienunternehmen ein, bis schließlich einer von ihnen, Christof Stoll, den Betrieb am Stammsitz in Waldshut 1958 unter seinem Namen alleine weiterführte. Er war es auch, der die Marke Sedus eintragen ließ und etablierte. „Als visionärer Firmenlenker kultiviert er den Erfindergeist der Familie und treibt das Unternehmen wirtschaftlich voran“, heißt es von Sedus Stoll.
Das Unternehmen wuchs stetig weiter, und der Platz in Waldshut reichte nicht mehr aus. Daher verlegte Christof Stoll ab 1969 die Produktion schrittweise in die Nachbargemeinde Dogern, wo nach und nach der heutige Firmensitz entstand. Zudem gründete er 1971 in Dogern die Versuchs- und Entwicklungsabteilung, deren Mitarbeiter die Drehstuhltechnik weiterentwickelten und immer wieder neue Produkte auf den Markt brachten. Das Besondere an der neuen Similartechnik aus dem Jahr 1973 war, dass die Neigung der Rückenlehne an die Sitzfläche gekoppelt ist. „Beim Zurücklehnen öffnet sich der Winkel synchron zur Bewegung von Oberkörper und Oberschenkel, so dass die Gelenke bewegt, der Körper gestreckt und auch die Durchblutung erleichtert werden“, heißt es vom Unternehmen. So werde der Rücken auch bei wechselnden Sitzpositionen gestützt. Die Unternehmerfamilie legte nicht nur Wert auf die Gesundheit der Arbeiter, die ihre Stühle nutzten, sondern auch auf die der eigenen Mitarbeiter. Christof Stolls Frau Emma versorgte die Beschäftigten in der Kantine ab den 1950er-Jahren mit Vollwertkost.
Ende der 1990er-Jahre machte Sedus den Schritt vom Stuhl- zum Büromacher und brachte erstmals einen Schreibtisch auf den Markt. Auch hier stand die Ergonomie im Vordergrund: Höhe und Neigung konnten elektromotorisch verstellt werden. Zum Komplettanbieter ist Sedus Stoll dank Zukäufen geworden: 1999 durch die Mehrheitsbeteiligung am Bürositzmöbelhersteller Klöber aus Owingen (Bodenseekreis) und 2002 durch den Zusammenschluss mit dem Gesika Büromöbelwerk, heute Sedus Systems, im nordrhein-westfälischen Geseke. Seitdem liegt der Fokus von Sedus auf ganzheitlich gestalteten Büroeinrichtungen, die ergonomische Arbeitsplätze in Raumkonzepte integrieren, die wiederum team- und kommunikationsfördernd wirken sollen.
Als vergangenes Frühjahr während des ersten Lockdowns weltweit ein Großteil der in Büros Beschäftigten ins Homeoffice geschickt wurde, war all dies auf einmal nicht mehr gefragt. Das zeigte sich im Auftragseingang, der im März und April 2020 „deutlich einbrach“, wie Vorstand Daniel Kittner berichtete. Weitere Verluste hätten mit der Entwicklung von speziellen Möbeln für das Homeoffice und Aerosolschutzwänden zur Aufrüstung bestehender Büroeinrichtungen abgefangen werden können. Letztlich ging der Umsatz 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 12,4 Prozent auf 184 Millionen Euro zurück. Kittner verwies dabei auf den „respektablen Gewinn von 2,54 Millionen Euro“, mit dem das Geschäftsjahr 2020 abgeschlossen werden konnte. Die Mitarbeiterzahl in der Gruppe blieb mit 936 auf ähnlichem Niveau (2019: 957), 543 von ihnen arbeiteten in Dogern (2019: 548). Investiert wurde auch während der Pandemie, wenn auch 3,1 Millionen Euro weniger als 2019: 2020 flossen 10,8 Millionen Euro vor allem in immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen, gefolgt von Anlagen und Werkzeugen sowie Marketing. Seit März dieses Jahres entsteht für rund 20 Millionen Euro am Standort in Geseke der 9.000 Quadratmeter große Neubau „Futura 2“ mit Produktions- und Lagerhallen. Die neue vollautomatische Fertigungsanlage soll im Herbst 2022 betriebsbereit sein – und die Produktion weiterer Innovationen garantieren.
mae
Meilensteine
1871 Albert Stoll I gründet das Unternehmen
1890 Fokus auf Entwicklung von Bürostühlen
1897 Bertha Stoll übernimmt nach dem Tod ihres Mannes die Unternehmensleitung
1910 Albert Stoll II tritt in das Unternehmen ein. Von 1919 bis 1937 führt er es als Inhaber.
1926 Konstruktion des ersten gefederten Drehstuhles in Europa (weltweites Patent)
1937 Christof Stoll übernimmt den Betrieb
1958 Der Betrieb wird aufgeteilt und von Christof Stoll unter dem Namen Sedus Stoll weitergeführt. Martin Stoll gründet ein Unternehmen in Tiengen. Ihr Bruder Albert Stoll III hatte bereits 1935 das 1872 gegründete Werk in der Schweiz übernommen.
1969 Gründung der ersten Tochter in Frankreich; bis 1987 folgen sieben weitere in Europa
1971 Gründung der Forschungs- und Entwicklungsabteilung
1985 Christof und Emma Stoll (kinderlos) gründen die gemeinnützige Stoll Vita Stiftung, der sie ihr Vermögen übertragen, darunter auch die Mehrheit am Familienunternehmen
1995 Sedus Stoll wird eine Aktiengesellschaft, Öko-Audit nach EU-Norm als erster Möbelhersteller in Deutschland
1996 Erstes elektromotorisch höhen- und neigungsverstellbares Schreibtischsystem
1999 Mehrheitsbeteiligung am Büromöbelhersteller Klöber GmbH in Owingen
2002 Zusammenschluss mit der Gesika Büromöbelwerk GmbH, heute Sedus Systems GmbH
2011 Fertigstellung des Innovations- und
Entwicklungszentrums in Dogern
2018 Verlegung des Firmensitzes nach Dogern
2019 Gründung der Tochter in Dubai, Einweihung des Sedus Smart Office in Dogern
2021 Start des Erweiterungsbaus im Werk Geseke