Frauen sind in deutschen Chefetagen nach wie vor unterrepräsentiert – trotz Top-Qualifikationen. Formal scheinen ihnen alle Türen offen zu stehen. Sind Frauen also einfach zu zurückhaltend? Was stereotype Rollenbilder damit zu tun haben und wie neue Führungsmodelle helfen …

Mehrere Männer in Anzügen, dazwischen eine Frau: So sehen viele Gruppenbilder aus den Chefetagen deutscher Unternehmen aus. Man muss also nicht unbedingt das Statistische Bundesamt hinzuziehen, um festzustellen, dass Frauen an der Spitze deutscher Unternehmen unterrepräsentiert sind. Tut man es doch, sagen die Zahlen: In deutschen Führungsetagen arbeiteten 2024 rund 29 Prozent Frauen. Damit liegt Deutschland im EU-weiten Ranking auf Platz 22, weit hinter Spitzenreiter Schweden, wo 44 Prozent aller Führungspositionen von Frauen eingenommen wurden.

Woran liegt das? An der Kompetenz sicherlich nicht. In Sachen schulischer und beruflicher Bildung schneiden junge Frauen oft besser ab als junge Männer und machen außerdem im Berufsleben fast die Hälfte der Erwerbstätigen aus (Quelle: Destatis). „Frauen haben oft eine bessere Auffassungsgabe und schreiben meist die besseren Noten. Das sind meine konkreten Erfahrungen aus dem unternehmerischen Alltag“, bestätigt Birgit Hakenjos, Präsidentin der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. „Verfügen sie dann noch über technisches Talent, sind ihre Chancen eigentlich unbegrenzt.“ Tatsächlich bleibt Frauen und Mädchen manche Aufstiegschance aber noch immer verwehrt.
Dabei ist formal vieles möglich. Wollen Frauen also Führungspositionen nicht oder zeigen sie schlicht zu wenig Ellenbogen? Weder noch, sagen Fachleute. Das Problem ist struktureller Natur. Und vielfältig. Chancen werden in der Realität nicht gleich ausgeschöpft, sagt Nina Hartmann, Vorsitzende der hiesigen Sektion des Verbands der Unternehmerinnen in Deutschland (VdU) und Prokuristin bei Südvers in Au. „Das deutsche Grundmodell orientiert sich historisch am Hauptverdiener-Mann mit ‚dazuverdienender‘ Ehefrau. Diese Grundidee prägt bis heute unsere Infrastruktur, etwa bei Kinderbetreuung oder Pflege älterer Angehöriger. Frauen sind dadurch überproportional mit Care-Arbeit und Mental Load belastet.“ Ähnlich sieht es auch Anja Keller, Teil des Teams von Futur F aus Freiburg, Trägerin des Women*-for-Impact-Programms für feministische Führungskultur: Durch unbewusste Biases, also Vorurteile, stereotype Rollenerwartungen, fehlende Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Karriere sowie männerdominierte Netzwerke würden Frauen an eine gläserne Decke stoßen, die „weniger mit Können, sondern mit Machtstrukturen und tradierten Organisationskulturen zu tun hat“.

Karriere – aber nicht um jeden Preis
In einer Studie ist die Bertelsmann-Stiftung der Frage nachgegangen, welchen Einfluss gerade die Rollen von Frauen im Beruflichen wie im Privaten – Kollegin, Mentorin oder Führungskraft; Mutter, Tochter, Lebensgefährtin –, ebenso wie die Rollenzuweisungen von außen auf Frauen und ihre berufliche Entwicklung haben.
Dabei zeigte sich: Frauen wollen Karriere machen – aber sie wollen noch vieles mehr. „Frauen haben in der Tendenz andere Lebensprioritäten als Männer“, erklärt Armin Trost, Dekan der Business School der Hochschule Furtwangen. Seine Schwerpunkte: Human Resources Management und angewandte Psychologie.
Trost sagt: Männer seien tendenziell eher bereit, für Status, Macht und Geld alles andere unterzuordnen. Frauen sei dagegen Zwischenmenschliches, Soziales, Familie, Freunde mindestens ebenso wichtig wie Karriere, das zeige die Forschung. Eine Tendenz, die sich durch alle Kulturen ziehe, also weniger gesellschaftlich zu begründen sei, sagt Trost. „Wir müssen akzeptieren – und das kommt mir in der Genderdiskussion oft zu kurz: Diese Rollenverteilung stecke tiefer in uns drin, als wir denken.“
Doch das ist es nicht allein. Die Bertelsmann-Studie zeigt auch auf, wie sehr Führungsfrauen mit widersprüchlichen Erwartungen zu kämpfen haben. Sie geraten häufig in ein Dilemma: „Wenn Frauen zurückhaltend auftreten, gelten sie schnell als ‚zu unsichtbar‘. Wenn sie klar auftreten, wird ihnen dagegen oft unterstellt, sie seien ‚zu dominant‘. Diese Dynamik ist gut erforscht“, erklärt Tanja Krase von Futur F. „Frau sein und Führung ist in unseren Köpfen häufig immer noch als Widerspruch abgespeichert. Ein unbewusstes Vorurteil, das bei Männern und Frauen gleichermaßen existiert.“
Laut Professor Trost neigen viele Frauen daher zu Härte, weil sie das Gefühl hätten, sich beim Führungsstil an Männer anpassen zu müssen. Das aber belaste nicht nur die Beziehung zu den Kollegen, sondern auch die Frauen selbst, die nicht authentisch sein könnten und das Gefühl hätten, sich zerreißen zu müssen. Im Gegenzug verhalten sich laut Bertelsmann-Studie viele Frauen auch zögerlich bis zurückhaltend, gerade um nicht aggressiv oder angeberisch zu wirken. So bleiben allerdings ihre Kompetenzen im Verborgenen und sie selbst hinter ihren Karriere-Möglichkeiten zurück.
Hinzu kommt noch, dass viele Frauen Zweifel an den eigenen beruflichen Fähigkeiten hemmen. Auch wenn sie noch so kompetent sind: Frauen behalten die eigenen Grenzen stets im Blick und benennen sie – und das bremst auf dem Weg nach oben. Denn die Konkurrenz der Von-sich-Überzeugten schläft nicht.
Deutlicher Gender Pay Gap
Noch ein Wort zum Geld: In Deutschland verdienen Frauen immer noch weniger als Männer. Gemessen am durchschnittlichen Bruttostundenverdienst der Männer lag Destatis zufolge der Gender Pay Gap 2024 bei etwa 16 Prozent. Damit bleibt Deutschland eines der EU-Schlusslichter. Gründe laut Bertelsmann-Studie: Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, unter ihrem Qualifikationsniveau und bekommen für die gleiche Arbeit weniger Geld als Männer.
Bei der beruflichen Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern ist also noch viel Luft nach oben. Doch was tun? Welche Rolle spielen beispielsweise Netzwerke oder Leaderships speziell für Frauen? Die Meinungen darüber gehen auseinander. Eher weniger davon hält Brigitta Schrempp, Unternehmerin und Vizepräsidentin der IHK Südlicher Oberrhein. „Gemischte Netzwerke sind das Beste“, sagt sie. Durch den Kontakt zu beiderlei Geschlechtern entstehe Wertschätzung.

Nina Hartmann ist da anderer Ansicht. Die VdU-Vorsitzende sagt: Frauennetzwerke würden Frauen Rückhalt, Sichtbarkeit und Selbstbewusstsein in einer nach wie vor männlich dominierten Wirtschaftswelt geben. „Volkswirtschaftlich ist das von enormer Bedeutung: Starke Frauen bedeuten eine starke Wirtschaft. Gerade in Zeiten, in denen viele Unternehmen Nachfolgerinnen suchen, können Netzwerke helfen, Frauen in diese Rollen zu bringen.“ Auch Women* for Impact setzt sich für Gleichstellung von Frauen sowie von nicht-binären Personen in Führungspositionen ein. Das Feminist-Leadership-Programm wurde 2020 von Futur F ins Leben gerufen, einem Social Start-up, das seit 2019 für Zukunftsfähigkeit und Chancengerechtigkeit in der Arbeitswelt eintritt. Förderprogramme für Frauen seien ein notwendiger Hebel, um Bewusstsein zu stärken, strukturelle Benachteiligungen auszugleichen und nachhaltige Veränderungen anzustoßen. Insbesondere in der aktuellen politischen Situation, erklärt Anja Keller. „Ebenso wichtig: Sie ermöglichen den Aufbau starker Netzwerke und gegenseitiger Unterstützung – etwas, das Männern in Führungsrollen traditionell seit Jahrzehnten selbstverständlich zur Verfügung steht.“ Auch Mentorship im Unternehmen kann laut Bertelsmann-Studie Frauen dabei helfen, Aufstieg und berufliche Entwicklung in die gewünschten Bahnen zu lenken.
Und was ist mit der Frauenquote, hilft die?
30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen sind seit 2016 Pflicht. Aber eben nur in Aufsichtsräten. Ernst und Young zufolge gab es Anfang 2025 zwar so viele weibliche Vorstandsmitglieder wie noch nie in Deutschlands Top-Konzernen – ihr Anteil ist mit knapp 20 Prozent aber immer noch klein. Die Quote ist daher auch umstritten. Sie verändert, indem sie Fakten und dadurch neue Perspektiven schafft, sagen die einen – sie führt dazu, dass Frauen das Gefühl haben, nur aufgrund der Quote befördert zu werden, und belasten die Unternehmen, sagen andere.
Größere Auswahl – höhere Qualität
Doch es gibt noch andere Möglichkeiten, Frauen den Weg an die Spitze zu erleichtern. Denn von Frauen mit Karriereambitionen profitieren auch Unternehmen. „Ein größerer Pool an Leuten bedeutet höhere Qualität, weil größere Auswahl“, sagt Hochschul-Professor Trost. Die Kompetenzen der Frauen nicht zu nutzen sei „verschenktes Potenzial.“ Um etwas zu verändern, ist die Politik gefragt – und wir alle. „Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die Vereinbarkeit ermöglichen: etwa durch flächendeckende Kinderbetreuung, steuerliche Reformen und die Anerkennung von Care-Arbeit“, sagt Nina Hartmann. Die Gesellschaft wiederum solle Rollenbilder verändern und weiterentwickeln. „Es reicht nicht, dass Frauen ‚dürfen‘ – es muss selbstverständlich werden, dass Männer Verantwortung für Familie und Pflege übernehmen.“
Auch Arbeitgeber können ganz konkret etwas tun. Helfen würden flexible Führungsmodelle wie beispielsweise Führung in Teilzeit oder geteilte Führung sowie die konsequente Einbindung des gesamten Arbeits- und Führungskräftepotenzials, zählt Tanja Krase auf. Und es sollten sich Maßstäbe verändern, nach denen Führung bewertet wird, sagt sie.
Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Und es gibt „große Überschneidungen zwischen den Forderungen und Vorstellungen der Frauen und den zukunftsorientierten Arbeitsformen, die im Rahmen von New Work und agiler Arbeitswelt diskutiert werden“, so die Bertelsmann-Studie. Unternehmen hätten begriffen, dass Soft Skills, wie man sie landläufig Frauen stärker als Männern zuschreibe – Empathie, echtes Interesse für andere Menschen und Teamgeist –, wichtige Schmierstoffe im Getriebe einer Firma seien. IHK-Vize Brigitta Schrempp gibt dann noch einen Tipp mit auf den Weg: Frauen, seid selbstbewusst und glaubt an eure Stärken. Das öffnet Türen. Das übrigens hat sie selbst vorgemacht. S. Ehmann
Studie: Die Rollen der Frau
Unter anderem zehn Dinge, die jede Führungskraft und jedes Unternehmen sofort verändern kann und mehr gibt es bei der Bertelsmann-Studie „Die Rollen der Frau – Rollenvorstellungen und Karriereentscheidungen“