Schiffe brauchen Wasser unterm Kiel – allerdings in der richtigen Menge. Führt ein Fluss zu wenig Wasser, könnten Schiffe auf Grund laufen. Führt er zu viel, dann beeinträchtigt die starke Strömung den Verkehr. Das macht die Binnenschifffahrt generell anfällig. Da Hoch- und Niedrigwasser immer häufiger auftreten – und voraussichtlich auftreten werden – besteht Handlungsbedarf bei Logistikern, Hafenbetreibern und Auftraggebern.

Region. Ob es die Flößer aus dem Schwarzwald waren, die Römer mit ihren Galeeren oder heutzutage die Logistiker mit ihren Kunden aus der Chemie, dem Energiesektor oder der Stahlindustrie – der Rhein war schon immer eine Wasserstraße, auf der Material und Menschen transportiert wurden. Es sind in erster Linie Massengüter, die über den gut 1.230 Kilometer langen Fluss – davon sind 880 Kilometer schiffbar – transportiert werden: Sand und Kies, Pflastersteine, Agrarprodukte, chemische und petrochemische Produkte, Metalle, Treibstoff und Kohle.
Schrott gehört auch dazu. Geliefert wird der den Badischen Stahlwerken (BSW), die daraus in Kehl Betonstahl für die Bauindustrie herstellen. Produziert wird rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche. 9.000 Tonnen Metallschrott werden im Schnitt täglich benötigt. Acht Schiffe hat das Unternehmen unter Vertrag, die ausschließlich für die Stahlwerke fahren. „Ein Koppelverband kann im Idealfall bis zu 5.000 Tonnen Material laden“, erläutert Markus Menges, Geschäftsführer der BSW.
Im Vergleich: Ein Güterzug schafft 1.000 Tonnen pro Fuhre. Zudem ist er schwieriger zu entladen und der Prozess dauert erheblich länger. Deutlich mehr als die Hälfte des benötigten Materials kommt daher über den Rhein, danach folgt der Transport via Schiene. Lkw-Verkehre machen den kleinsten Teil aus. Für Markus Menges steht außer Frage: „Wir sind auf das Schiff angewiesen.“

Unverhofft kommt oft – und öfter
Doch es sind nicht nur Unternehmen, die große Massengüter zu bewegen haben, die auf den Rhein setzen. Auch Container werden per Schiff aus Weil am Rhein oder Kehl zu den großen deutschen Binnenhäfen nach Mannheim oder Duisburg gebracht oder zu den sogenannten „ZARA“-Häfen Zeebrugge, Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen, um von dort die Reise über den Atlantik anzutreten. „Hoch- und Niedrigwasser gehört zu unserem Geschäft“, erklärt Cok Vinke, Geschäftsführer von Contargo Waterway Logistics BV. Das Unternehmen ist zuständig für alle Binnenschifftransporte der Contargo-Gruppe, die unter anderem in Mannheim und Weil am Rhein Hafenanlagen betreibt. Seit 31 Jahren ist der Niederländer in der Branche aktiv, und er hat – wie viele andere – feststellen müssen, „dass sich die Dinge verändert haben, wenn es um den Rhein geht“. Noch vor 20 oder 25 Jahren war es voraussehbar, dass zum Ende des Sommers Niedrigwasser eintreten werde, zum Ende des Winters ein Hochwasser. „Damit haben wir gerechnet und es eingeplant“, sagt Vinke. Mittlerweile sei das nicht mehr so einfach: „Es ist alles deutlich weniger vorhersehbar.“
Das Pendel schlägt weiter aus
Und das ist längst nicht alles, weiß Benno Rothstein. Er ist Professor für geowissenschaftliches Ressourcenmanagement an der Hochschule Konstanz (HTWG). Nicht nur dürften solche Ereignisse – also Hoch- und Niedrigwasser – aufgrund des Klimawandels häufiger auftreten, sondern auch in extremerer Form. Wissenschaftlich ausgedrückt klingt das so: „Die atmosphärischen und hydrosphärischen Vorgänge streben neuen Grenzwerten zu.“
Dass die Logistikbranche daher vor zusätzlichen Herausforderungen steht, haben er und seine damalige Kollegin Anja Scholten bereits 2016 in der Studie „Folgen des Klimawandels für massengutaffine Unternehmen in Baden-Württemberg – Verwundbarkeiten und modellhafte Anpassungsmaßnahmen“ festgehalten. Herausgeber ist die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW).
Die Autoren erinnern in ihrer Studie unter anderem an die Niedrigwasserperioden von 2003 und 2011. Damals sei der Transport per Binnenschiff stark eingeschränkt worden und habe dabei durch die Bahn nicht aufgefangen werden können. Ein Grund dafür sei, dass die Bahn „zum Teil nur sehr begrenzte Ersatzkapazitäten zur Verfügung stellen kann – insbesondere an den bekannten Nadelöhren, wie etwa entlang der Rheinschiene, dem Verkehrsknotenpunkt in Köln oder der Strecke zwischen Karlsruhe und Basel“. Scholten und Rothstein gehen schon damals in ihrer Untersuchung davon aus, „dass diese Transporteinschränkungen vor allem in der fernen Zukunft aller Voraussicht nach zunehmen werden und damit die Vulnerabilität der Unternehmen – auch in Baden-Württemberg – steigt“. Es steht zu vermuten, dass diese Zukunft eher schneller als langsamer naht.

Ähnliche Gedanken macht sich auch Norbert Uphues, Referent für Verkehr, Konjunktur, Statistik bei der IHK Südlicher Oberrhein: „Gerade bei Niedrigwasserperioden ist es nicht so leicht, Transporte auf die Bahn zu verlegen.“ Da der viergleisige Ausbau der Rheintalbahn auf sich warten lässt, sieht er die Gefahr, dass der Güterverkehr, da wo es möglich sei, vermehrt auf die Straße verlagert wird.
Das würde auch die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg treffen, ist Laura Csulits, Referentin für Raumentwicklung, Mobilität und Infrastruktur bei der dortigen IHK, überzeugt. Sie befürchtet Engpässe und eine Überlastung der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur: „Deshalb brauchen wir mehr Tempo beim Infrastrukturausbau. Eine gut organisierte und vielseitige Verkehrsinfrastruktur, die auf verschiedene Transportmittel setzt, käme letztendlich allen Beteiligten zugute.“
Alternativen sind oft kostspielig und aufwendig
„Das Thema bereitet uns schon Sorge“, sagt Christian Peter von den Baustoffwerken Hermann Peter in Rheinau. Das Unternehmen verschifft von Rheinau und Breisach-Niederrimsingen aus Kies und Sand für Bauprojekte vorrangig in die Rhein-Main-Region und in Teilen bis in die Niederlande. „Alternativen zum Schiff? Schwierig!“ Um Niedrig- und Hochwasserperioden wirtschaftlich zu begegnen und die Produktion aufrechtzuerhalten, wurden zusätzliche Lagerflächen geschaffen. „Die Kiesberge werden höher bei Niedrigwasser, da unsere Produktion stetig läuft. Aber irgendwann geht uns der Platz vielleicht doch aus“, sagt Peter. Ein Transport per Schiene wäre denkbar, aber wirtschaftlich schwierig, zumal nicht alle Kunden über einen Bahnanschluss verfügen würden und die Baustoffwerke ebenfalls nicht. Daher wird das Unternehmen auch weiterhin aufs Binnenschiff setzen. „Außerdem,“ ergänzt Christian Peter, „kostet es jedes Mal Geld, wenn Material umgeladen werden muss“.
Ein Umstand, den auch Markus Menges im Kopf hat. Die BSW hat im Hafen Kehl – auch mit Unterstützung der Hafenverwaltung – ebenfalls Lagermöglichkeiten erweitert. Rund 245.000 Tonnen schwer ist der Puffer an Schrott. Das entspräche der Produktion von etwa 25 Tagen oder gut drei Wochen. Das reicht nicht immer, hat der 62-Jährige erfahren müssen.
2022 musste die Produktion gedrosselt werden, weil die Niedrigwasserperiode im Frühjahr mit knapp sechs Wochen zu lang war. Gleiches war 2018 der Fall. Um dem weiter vorzubeugen, sucht die BSW weitere Lagerfläche, obwohl das mit Aufwand für den Betriebsablauf verbunden ist: „Am einfachsten für uns ist es, wenn der Schrott vom Schiff direkt in den Schrottkorb geladen wird. Denn der fährt direkt in die Stahlwerkshalle, muss also nicht umgeladen werden. Wird das Schiff an einer anderen Stelle entladen, müssen wir mehr Ressourcen einsetzen, um das Material nutzen zu können“, erläutert der Geschäftsführer. Oder, wie es Christian Peter formuliert hat: „Jedes Umladen kostet Geld!“
Gleiches gilt für Transporte, die aufgrund von Niedrigwasser auf mehrere Schiffe verteilt werden. Die Wassertiefe bestimmt, welche Schiffe mit welcher Tonnage fahren dürfen. Ausschlaggebend für den Oberrhein ist der Rhein-Pegel bei Kaub nahe der Loreley. Dessen Wert ist auch Grundlage für den sogenannten Kleinwasserzuschlag: Dieser wird – nach Vereinbarung – von den Dienstleistern an die Frachtkunden weiterberechnet. Der Transport eines 40-Fuß-Containers kann so bei unglücklichem Wasserstand zwischen 40 und 135 Euro teurer werden.
IHK-Experten für verkehr/Logistik
IHK Hochrhein-Bodensee:
Dirk Schroff
Telefon: 07531 2860-165
Mail: dirk.schroff@konstanz.ihk.de
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg:
Laura Csulits
Telefon: 07721 922-205
Mail: laura.csulits@vs.ihk.de
IHK Südlicher Oberhein:
Norbert Uphues
Telefon: 0761 3858-117
Mail: norbert.uphues@freiburg.ihk.de
Trimodale Angelegenheit
Nur einen Steinwurf von den BSW entfernt steht der Schreibtisch von Volker Molz. Niedrigwasser bereitet dem Geschäftsführer der Hafenverwaltung Kehl wenig Sorge. „Wir haben immer Wasser“, sagt er mit einem Lächeln und dem Verweis auf die Staustufe bei Gambsheim, etwa 14 Kilometer flussabwärts. Die Hafenbecken weisen so selbst bei Niedrigwasser eine Wassertiefe von 3,50 Metern auf. Sie werden regelmäßig geprüft und bei Bedarf ausgebaggert. In Kehl lagern nicht nur die Stahlwerke ihren Schrott, auch Koehler Paper aus Oberkirch besitzt hier ein Pufferlager für Zellulose.
Genutzt wird die trimodale Infrastruktur – für Schiff, Schiene und Straße – zudem etwa vom Tunnelbohrmaschinenhersteller Herrenknecht aus Schwanau und der Sachtleben Minerals in Hausach sowie von Logistikern aus Südbaden. Für Volker Molz heißt das, wenn die Schifffahrt auf dem Rhein unterbrochen wird, kann der Hafen durch seine Infrastruktur viele Verkehre auf Güterzüge oder Lkw verlagern. Vier sogenannte Ganzzüge, also direkte Verbindungen, für Container verbinden den Kehler Hafen über die Euro Terminal Kehl GmbH mehrmals wöchentlich mit Destinationen in den Niederlanden und Belgien. Ähnliche Verbindungen gibt es auch ab Basel sowie Weil am Rhein.
Auf diese Schienenverbindung verweist auch Roland Steinebrunner, wenn es um Containertransporte zu den Seehäfen geht. Die stellten bei Fahrverboten für die Schifffahrt eine Alternative dar, sagt der Seefrachtleiter der Streck Transportgesellschaft mit Sitz in Lörrach. Und nicht nur in diesem Zusammenhang: „Das Binnenschiff ist günstig, dafür aber relativ langsam und unterliegt sehr stark externen Einflüssen. Sofern die Schiffbarkeit des Rheins weiter abnimmt, wird auch die Bedeutung der Binnenschifffahrt weiter abnehmen.“
Als einen weiteren Aspekt benennt er den Zusammenhang zwischen Warenwert und Termintreue: „Wenn sich die Industrie weiter in Richtung hochwertiger Güter verändert, wird die Binnenschifffahrt ebenfalls an Bedeutung verlieren.“ Denn dann spiele die zeitliche Zuverlässigkeit eine wichtigere Rolle als die anteiligen Transportkosten. Der Kostenvorteil des Binnenschiffs sei damit, so Steinebrunner, „relativ unbedeutend im Verhältnis zum Warenwert“.
Derzeit noch wenig genutzt, aber mittelfristig könnten auch Bahnverbindungen zu Häfen im Süden wie Genua oder Triest an Bedeutung gewinnen.
Verschiedene Lösungsansätze
Bei der Euro Terminal Kehl, einem Joint Venture von Haeger & Schmidt Logistics aus Duisburg und der Kehler Klumpp + Müller, im Hafen Kehl ist die Schiene daher längst Teil der Logistikkette, erläutert Geschäftsführer Yannick Farhand. „Aktuell bieten wir pro Woche vier Zugabfahrten nach Rotterdam und zwei Barge-Abfahrten nach Antwerpen und Rotterdam an“, berichtet er. Die Tendenz geht zu mehr Verbindungen. Damit trägt der Logistikdienstleister dem gestiegenen Wunsch nach Termintreue und Schnelligkeit Rechnung. „Lieferfristen werden enger“, hat Farhand festgestellt. Einerseits. „Andererseits erweitern unsere größten Kunden, unabhängig von der jeweiligen Branche, ihre Lagerflächen, um sich Puffer zu schaffen.“
Und dann gibt es die Entwicklung im Schiffsbau. „Neue Schiffe tragen diesem Sachverhalt bereits Rechnung und werden so konstruiert, dass sie weniger Tiefgang haben und bei niedrigeren Wasserständen fahren beziehungsweise mehr transportieren können,“ erklärt Roland Steinebrunner. Diese Lösung erscheint auch Rothstein und Scholten, den Autoren der LUBW-Studie, sinnvoll: Bei ihren Szenarien „erweist sich die Verringerung der verwendeten Schiffsgröße als effizienter als die Vergrößerung des Lagers der Unternehmen“. Eine pauschale Aussage mag Benno Rothstein nicht treffen: Jedes Unternehmen müsse für sich die beste Anpassungsmaßnahme finden.
Text: Patrick Merck