Steigende Sozialausgaben, sinkende Steuereinnahmen und defizitäre Krankenhäuser bringen Kreise und Kommunen zum Nachdenken. Kann man noch wo sparen, kann man Investitionen verschieben – oder müssen die Gewerbesteuern erhöht werden?

Man hat es kommen sehen: Schon 2024 diagnostizierten die kommunalen Landesverbände von Baden-Württemberg für die Haushaltslage von Städten, Gemeinden und Landkreisen eine „beispiellose Abwärtsspirale, die im Jahr 2025 nochmals deutlich an Dynamik zulegen wird“. Die Entwicklung zeige, wovor man immer gewarnt habe: „Durch das Verankern immer neuer Aufgaben gibt es ein gesamtstaatliches Leistungsversprechen, das sich faktisch nicht mehr finanzieren lässt.“
Genau das ist das Problem in der Ortenau, wo der bislang schuldenfreie Landkreis seinen Kommunen künftig tiefer denn je in die Tasche fassen muss: Um gleich fünf Prozentpunkte soll die Kreisumlage steigen, von 28,5 auf künftig 33,5 Prozent – und trotzdem muss der neue Landrat Thorsten Erny bis 2026 mit bis zu 100 Millionen Euro neuen Schulden rechnen.
Enttäuschung programmiert?
„Der Staat übernimmt sich“, fasst es Offenburgs Oberbürgermeister Marco Steffens kurz und knapp zusammen und bezieht sich damit ausdrücklich auf den Sozialbereich. Wir „unterstützen gern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, sagt Steffens – wenn aber der Bund ab 2026 einen einklagbaren Rechtsanspruch für die Ganztagsbetreuung von Grundschülern vorschreibt, obwohl den Kommunen die finanziellen Mittel und personellen Ressourcen fehlen, sei „Enttäuschung programmiert“. Allein für dieses Thema rechnet er mit Kosten in siebenstelliger Höhe, die auf die Stadt Offenburg zukommen.
Ähnlich teuer: die neue Berechnungsgrundlage für Wohngeldempfänger. Beschlossen im November 2023, umgesetzt im Januar 2024: „Wir hatten keine vier Wochen Zeit, unsere Systeme umzustellen“, sagt Steffens. Der erhöhte Anspruch führte zu einem Anstieg bei der Zahl der Anträge – mit entsprechenden Folgen für die Bearbeitungszeit auch für bisherige Leistungsbezieher. Im Ergebnis entstehe so der Eindruck, dass staatliche Institutionen als nicht mehr leistungsfähig betrachtet werden. „Ein Quell für Frust und in der Folge auch für Demokratieverdrossenheit.“
Das Gespräch mit Steffens streift viele Herausforderungen: steigende Ausgaben im Sozialbereich (Jugendhilfe, Eingliederungshilfen für Behinderte), Transformationsprozesse bei Energieversorgern, an denen die Stadt als Eigentümer beteiligt ist, Zuschüsse für den Ausgleich der dramatisch defizitären Betriebskosten beim Ortenau-Klinikum. Über die Kreisumlage schießt Offenburg hier im Jahr knapp 15 Prozent hinzu, obwohl, so Steffens, die Finanzierung der Krankenhäuser „eigentlich Sache der Länder ist“.
Damit sind wir wieder bei der Kreisumlage. Ein Punkt beim Hebesatz bedeute für die Kämmerei in Offenburg jährlich 1,2 Millionen Euro Mehrausgaben an den Kreis. Eine Steigerung um fünf Punkte bedeuten „im Doppelhaushalt rund zwölf Millionen“, rechnet Steffens vor und stellt klar: „Wir müssen uns darüber unterhalten, an welchen Stellen wir den Resetknopf drücken.“
Steigende Kreisumlage
„Wir brauchen eine drastische Aufgabenkritik“, lautet auch der Therapievorschlag von Schonachs Bürgermeister Jörg Frey, Vizepräsident des Gemeindetags Baden-Württemberg. „Wir hatten zehn gute Jahre und konnten viel investieren.“ Nun aber habe man „massive Probleme“, den Doppelhaushalt 2025/26 auszugleichen. Beispiel Gewerbesteuer: In guten Jahren habe die Kämmerei 3,4 Millionen Euro eingenommen. 2024 verbuchten seine Mitarbeiter nur noch 2,1 Millionen Euro. Auch für 2025 werde man mit dieser Größenordnung kalkulieren. Gleichzeitig sinken die Schlüsselzuweisungen des Landes wegen der zuvor guten Steuereinnahmen um eine halbe Million Euro und die Kreisumlage steigt voraussichtlich um 134.000 Euro.
Ganztagsbetreuung nicht leistbar
„Wir müssen uns die Frage stellen: Welche Aufgaben können wir uns leisten?“, fordert Frey. Neben der anstehenden Ganztagsbetreuung, deren Lasten die Kommunen auch aus seiner Sicht nicht tragen können, spricht Frey ein Beispiel für das Thema Bürokratieabbau an.
Zwar wurde die Wertgrenze für Aufträge von 5.000 auf 100.000 Euro heraufgesetzt. Kommunen können so in größerem Umfang Aufträge ohne Ausschreibungen vergeben und damit Aufwand und Zeit sparen. Doch die an sich gute Idee kollidiere mit EU-Richtlinien zur Vergabe von Fördergeldern. Fazit aus Sicht von Frey: „Wir müssen mutig sein, auch mal mit dem groben Besen durchzugehen, damit unterm Strich die Lösungen für uns alle einfacher werden.“
Ähnlich wie in Schonach und Offenburg stellt sich die Situation im gesamten Kammerbezirk dar. Aufgrund galoppierender Ausgaben haben 25 der 35 Landkreise in Baden-Württemberg 2024 ihre Hebesätze angehoben. Im Vergleich zum Vorjahr „dürfte sich das voraussichtliche Aufkommen um 14,4 Prozent auf insgesamt 5,15 Milliarden Euro (plus 646 Millionen Euro) erhöhen“, teilt das Statistische Landesamt mit. „Der bisher größte festgestellte Anstieg.“
Dieses Geld wird den Stadtkämmerern fehlen. Dabei haben sich die Gewerbesteuer-einnahmen in Baden-Württemberg lange gut entwickelt, von 5,2 Milliarden Euro 2013 auf 10,4 Milliarden Euro im Jahr 2023. Doch auch wenn dem Statistischen Landesamt die Zahlen für 2024 erst im März vorliegen, ist ein Gegentrend wahrscheinlich. Und damit zieht über sinkende Steuereinnahmen die schwache Konjunktur am anderen Zipfel der Finanzdecke. Erhöhen nun die Entscheidungsträger vor Ort die Gewerbesteuer, ist dies eine weitere bittere Pille für die Unternehmen, zusätzlich zu hohen Energiepreisen, Fachkräftemangel, bürokratischen Hemmnissen.

Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr
„Der Wohlstand unserer Region gründet auf der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmerschaft. Sie erwirtschaftet in hohem Maße die Finanzmittel und Steuern, welche die Kommunen für eine funktionierende Infrastruktur benötigen“, verdeutlicht Birgit Hakenjos, Präsidentin der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. „Dort, wo das Miteinander zwischen Betrieben und Kommune gut ist, gelingen Investitionen in Breitband, Bildung, Wohnen oder Innenstädte besser. Dieser Schulterschluss ist nötig, um auch künftig ein attraktiver Standort für Fachkräfte und Unternehmen zu sein.“
Obwohl dieser Schulterschluss in Gosheim bei Tuttlingen in den vergangenen Jahren gut funktioniert hat, ist die Prognose von Bürgermeister André Kielack verhalten. Die Gewerbesteuer sei 2024 stabil geblieben, für 2025 erwarte er allerdings „deutliche Rückgänge“. Die Kreisumlage werde „deutlich ansteigen, insbesondere aufgrund der Krankenhausunterfinanzierung und der massiv steigenden Sozialausgaben“. Speziell bei der Krankenhausfinanzierung stehle sich das Land aus der Verantwortung: „Für 2024 erwarten die Krankenhäuser in Baden-Württemberg ein Defizit von 900 Millionen Euro.“ Wer gleicht das aus? Die Landkreise, die in vielen Fällen Träger der Kliniken sind. Für Kielack ein Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip, dessen Kurzformel lautet: Wer bestellt, bezahlt.
Kielack: „Es darf nicht nur eine Anschubfinanzierung in Form von Investitionszuschüssen geben, sondern eine dauerhafte Finanzierung der laufenden Aufwendungen.“ Weitere Beispiele: Das Bundesteilhabegesetz sieht Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen vor, führe gleichzeitig aber zu „Belastungen, die den Landkreisen nicht in voller Höhe erstattet werden“. Auch hier holt sich der Landkreis diese Gelder von den Kommunen, „und wir haben keine Gelder für Investitionen mehr“. Auch die Unterbringung von Flüchtlingen sei „unglaublich schwierig“ – angesichts fehlenden Wohnraums, fehlender Kindergartenplätze, knappen Personals und enormer Sprachschwierigkeiten.

Konstanz: 108 Millionen Euro Schulden
„Wir sitzen in einem Boot“, beschreibt Jörg Frey seine Sicht auf Kreise und Kommunen. Keiner der Rathauschefs – so der Tenor der angefragten Statements – schiebt den Landkreisen einen Schwarzen Peter zu. Umgekehrt betont der Landkreis Konstanz sein Bemühen um gemeinsam abgestimmte Entscheidungen. Der Hebesatz soll zwischen Engen und Konstanz wie in den beiden Vorjahren auch 2025 stabil bei 34 Prozent liegen. Für Ende 2025 wird eine Verschuldung von 108 Millionen Euro prognostiziert. Die wird absehbar in den Folgejahren steigen: Denn mit dem Bau des Berufsschulzentrums Konstanz und dem geplanten Klinikneubau des GLKN (Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz) in Singen stehen zwei Großinvestitionen an.
Wegen des großen Finanzbedarfs habe der Klinikneubau eine besondere Bedeutung für den Landkreis, erklärt Landrat Zeno Danner. „Gleichzeitig liegt die Zuständigkeit für die Finanzierung von Klinikneubauten grundsätzlich beim Land. Faktisch aber verbleiben viele Finanzierungsanteile bei den Trägern der Krankenhäuser, da der zu verteilende Fördertopf zu gering ausgestattet ist.“ Hinzu komme, dass die Erlöse der Krankenhäuser aus dem Krankenhausbetrieb aufgrund gesetzlicher Vorgaben nicht ausreichen, um eine schwarze Null zu erwirtschaften. Also springen auch hier Kommunen und Kreisverwaltung in die Bresche.
Höhere Steuern gefährden Investitionen
„Kommunen dürfen in Krisenzeiten nicht durch Steuererhöhungen zusätzliche Belastungen für Unternehmen schaffen“, bilanziert Barbara Schlaberg, Geschäftsführerin Recht und Steuern bei der IHK Hochrhein-Bodensee. „Gerade in einer Phase, in der viele Betriebe mit Umsatzrückgängen und steigenden Kosten kämpfen, müssen wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stärken, anstatt sie weiter zu schwächen. Steuererhöhungen gefährden Investitionen und Arbeitsplätze und behindern die wirtschaftliche Erholung.“
Zugleich nimmt Schlaberg Land und Bund in die Pflicht: „Wir wissen jedoch, dass viele Kommunen selbst finanziell am Limit stehen und dringend zusätzliche Einnahmen benötigen. Daher ist es entscheidend, dass Land und Bund stärker in die Verantwortung genommen werden, um die Kommunen finanziell zu entlasten.“
Zudem wird Durchhaltevermögen gefragt sein in den kommenden Jahren. Längst werden Einsparungen und neue Einnahmequellen diskutiert, Projekte storniert. Konstanz hat daher zum 1. Januar eine Verpackungssteuer eingeführt. In Singen wird 2025 das traditionelle Burgfest – der Kleinkunst-Ableger des Hohentwiel-Festivals – ausgesetzt, um Kosten zu sparen. Und im Ortenaukreis wurde das Angebot an Buslinien eingeschränkt, ebenfalls aus Kostengründen. Benedikt Brüne
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