Die Buchhandlung Roth kennt in Offenburg wohl jedes Kind. Mitten im Herzen der Stadt war sie schon immer da. Ganz früher kaufte man dort neben seinen Büchern auch Noten und Tortenspitzen, im vergangenen Jahrhundert gab es zwischenzeitlich mal viel christliche Kunst und weltliche Kupferstiche und heute führt das Haus auf 400 Quadratmetern alles, was moderne Verlage zwischen zwei Buchdeckel pressen. Was immer gleich geblieben ist: das Engagement der Familie für die Kultur in ihrer Stadt.
Offenburg. 1897 – im Geburtsjahr von Ludwig Erhard, Sepp Herberger, aber auch Thornton Wilder und William Faulkner, um in der Literatur zu bleiben – gründete Gustav Roth seine „Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung Gustav Roth“. Vier Generationen später führt Urenkelin Barbara Roth die Buchhandlung im blauen Haus an der Hauptstraße 45 und ist seit nun auch schon 26 Jahren zutiefst dankbar für dieses „tolle Erbe und die wunderschöne Aufgabe“. Ein Gespräch über Kultur und die Zukunft des Buches und der Buchhandlungen:
Frau Roth: Ihre Familie verkauft nicht nur seit 125 Jahren Bücher. Sie engagieren sich auch stark kulturell. Warum die Mühe?
Barbara Roth: Mein Großvater schon hat in den 1940/1950ern viel Kultur in die Stadt geholt, etwa den Moskauer Kosakenchor in die Stadthalle. Bei meinen Eltern waren es Hildegard Knef und Konrad Adenauer. Das habe ich beibehalten, weil es mir unheimlich Spaß macht.
Und mit den klassischen Lesungen von früher locken sie niemanden mehr. Höchstens, wenn Literaturgrößen wie Charlotte Link kommen. Die Menschen heute wollen was erleben, essen, trinken, Fragen stellen. Mit solchen Formaten experimentieren wir gerne herum. Oder wir machen partnerschaftliche Sachen mit anderen Händlern oder der Stadt wie jetzt mit #offenburgliestneues zum Geburtstag. Mir ist wichtig, die ganze Stadt mitzunehmen.
Warum wollen Sie die Stadt mitnehmen?
Ich will nicht nur die erreichen, die schon lesen oder schon einen Bezug zu Büchern haben. Ich will auch die begeistern, die Lesen noch gar nicht so auf dem Schirm haben. Deshalb haben wir zum Beispiel zu unserem 111. Geburtstag 111 Lümmel-Lesesessel im Zentrum verteilt. Oder ein andermal 1.000 Bücher in der Stadt versteckt. Die Latte liegt mittlerweile schon recht hoch – aber wir sind da im Team inzwischen sehr ideenreich. Das ist natürlich alles irre viel Arbeit, aber wenn es der Stadt gut geht, geht es auch uns gut.
Hat sich das Buchhändlerdasein verändert?
Mit dem Bonuswissen des Buchhändlers von früher, dass er die Kataloge und Verlagsprogramme kannte, kann man heute nicht mehr glänzen. Heute kann jeder googeln.
Aber vieles ist auch geblieben. Das Buch als Ware ist und bleibt etwas Besonderes. Als Buchhändler sind wir immer am Puls der Zeit. Bei uns gehen alle Themen über den Tisch, die die Menschen gerade interessieren. Das macht den Beruf so spannend.
Und es ist eine große Aufgabe, aus der Fülle der Neuerscheinungen das auszusuchen, was man für gut hält. Zugleich hat man als unabhängiger Buchhändler die Freiheit zu sagen, was man als persönlichen Bestseller einkaufen möchte. Das können Sie als Buchfilialist weniger gut. Und ich kann als Chefin selbst entscheiden, wie ich mein Geld ausgebe. Ob ich es der „Tafel“ spende oder in die Leseförderung an den Grundschulen investiere. Deshalb wehre ich auch alle Anfragen nach Verkauf oder Filialisierung konsequent ab.
Wie gehen Sie mit den aktuellen Herausforderungen wie steigenden Energiekosten oder Papierengpässen um?
Ich übe mich in Gelassenheit und Zuversicht. Natürlich erleben wir aufregende, unsichere Zeiten, die ängstigen. Aber immer, wenn es mich wieder ein bisschen beutelt, denke ich an die 125 Jahre. Meine Vorfahren haben zwei Weltkriege, Inflation, die Nachkriegszeit und die Finanzkrise erlebt – und alles irgendwie geschafft. Dann bekommen wir das auch hin.
Und wie sieht die Zukunft des Buches aus?
Ich bin überzeugt, dass es das Buch – digital und auf Papier – immer geben wird. Es wird sich ändern, klar, aber es wird bleiben. Vielleicht gibt es irgendwann Lasertinte, wo die Schrift als Hologramm beim Lesen entsteht. Das wäre mal spannend. Ich bin sicher, dass uns die Bücherwelt und die Buchhandlungswelt noch ganz lange erhalten bleibt. Und je schwieriger die Zeiten, desto mehr braucht es Literatur, Musik, Tanz, Kultur, um uns zusammenzuhalten. – Dafür tun wir hier alles.
uh
Bild: Barbara Roth und ihre Mitarbeiter bei dem, was sie am liebsten tun: Bücher unter die Leute bringen. Diese Zeichnung entstand zum 123. Geburtstag der Buchhandlung Roth – ebenso wie auch das Titelbild dieser WiS-Ausgabe (12/2022).