Sand und Kies brauchen wir alle. Sei es für den Bau von Straßen, Brücken oder Schienenwegen, sei es für die Herstellung von Produkten wie Zahnpasta, Glas, Solarzellen, Lebensmittel, Filter, Schleif- oder Putzmittel. Alles zusammengerechnet braucht jeder von uns circa ein Kilogramm Sand, Kies, Natursteine, Gips oder Steinmehl pro Stunde, so hat der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg erhoben. Das weiß aber kaum jemand. Deshalb will die Kiesindustrie am Oberrhein vermehrt informieren: Anwohner, interessierte Bürger, Politiker, in den Verwaltungen Tätige.
Das Oberrheintal ist Lagerstätte der größten Kiesvorkommen in Europa und gleichzeitig das größte Grundwasserreservoir des Kontinents. Die Kiesvorkommen reichen von knapp unterhalb der Erdoberfläche bis in eine Tiefe von 120 Metern. Dieser Reichtum wird seit Langem erschlossen. In früheren Jahren hatte kaum eine Gemeinde im Oberrheintal keine (wenn auch häufig kleine) Kiesgrube, die wegen des hohen Grundwasserpegels schnell zum Baggersee wurde. Wer mit Google Maps über das Oberrheintal fliegt, kann dies gut sehen. Über 300 inzwischen meist renaturierte Baggerseen finden sich da.
Die Anzahl der Kiesabbaustätten indes hat während der vergangenen Jahrzehnte abgenommen. Wie Thomas Beißwenger, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Steine und Erden Baden-Württemberg, berichtet, gab es laut einer Untersuchung seines Verbandes in der Region Mittlerer Oberrhein (zwischen Bühl und Bruchsal) 1992 noch 62 Abbaustätten, im Jahr 2014 waren es 36 und im Jahr 2045 dürften es nur noch 21 sein. Für die Region Südlicher Oberrhein gibt es kein entsprechendes Zahlenmaterial, nach Aussagen Beißwengers ist die Entwicklung jedoch eine ähnliche, auch wenn vereinzelte Neuaufschlüsse vorgesehen sind. Im Gegenzug sind jedoch die Abbaumengen pro Kieswerk größer geworden. Sie reichen bis zu einer halben Million Tonnen pro Werk und Jahr. Das jedenfalls meint Thomas Peter, Mitinhaber und Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens in Rheinau-Freistett, das in dieser Gemeinde und auch in Niederrimsingen, südlich des Kaiserstuhls, Kieswerke und weiterverarbeitende Unternehmen betreibt.
Kies und Sand am Oberrhein
- Über 300 Baggerseen gibt es im Oberrheintal
- Ab 50 Kilometern sind die Transportkosten höher als die Materialkosten
- Der hohe Genehmigungsaufwand ist ein Grund, dass es weniger kleine Werke gibt
Häufig sind mit Kieswerken Betriebe etwa für Transportbeton oder Fertigbetonteile, Baustoffrecyclinganlagen sowie Asphaltwerke verknüpft. Mit der Konzentration auf immer weniger Abbaustätten vergrößern sich jedoch auch die Wege zu den Abnehmern und damit die Belastungen durch Lkw-Verkehre für die anwohnende Bevölkerung sowie die Transportkosten. Ab 50 Kilometern, so rechnet man derzeit, werden die Transportkosten höher als die Kosten für das Material. Am günstigsten und umweltfreundlichsten ist naturgemäß der Transport per Schiff, weshalb viele in Betrieb befindliche Baggerseen nicht weit vom Rhein entfernt sind. Dann sind auch weite Strecken, etwa in Gebiete und Städte, wo es nur wenig Sand und Kies gibt, zu vertretbaren Kosten möglich. Trotzdem sind die Preisunterschiede groß: In München ist Bausand mit 15 Euro pro Tonne zweieinhalbmal so teuer wie am Oberrhein (sechs Euro), in Mecklenburg-Vorpommern hingegen mit drei Euro um die Hälfte günstiger.
Die Abbaustätten am südlichen Oberrhein werden von gut 30 Unternehmen betrieben, die sich häufig schon seit Generationen in Familienbesitz befinden. Ein Kieswerk, so Thomas Peter, beschäftigt, je nach Größe, 20 bis 70 Mitarbeiter und setzt 60 bis 70 Prozent seiner Produkte in der Region ab. Über den Umsatz der Sand- und Kiesbranche gibt es keine zuverlässigen Zahlen, aber über die Abbaumenge an Sand und Kies. Sie lag im Jahr 2014 (neuere Zahlen sind derzeit nicht verfügbar) bei etwas mehr als 38 Millionen Tonnen im Land, 11 Millionen Tonnen davon kamen aus 40 Abbaustätten in der Region Südlicher Oberrhein. Diese Zahlen hat das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau erhoben. Trotz der florierenden Baukonjunktur, so meint Thomas Peter, dürfte die jährliche Abbaumenge in letzter Zeit nicht wesentlich gestiegen sein. Das liege daran, dass immer mehr der vor allem im Tiefbau verwendeten Rohstoffe recycelt werden. Inzwischen sind es zehn Prozent der benötigten Mengen. Kies- und Sandabbau ist ein ziemlich kapitalintensives Geschäft. Ein neues Kieswerk kostet zwischen 20 und 40 Millionen Euro, der Verschleiß der Maschinen ist relativ hoch und führt dazu, dass jeweils im Januar und Februar – wenn wegen Eis häufig nicht im Wasser gebaggert werden kann – die eingesetzten Maschinen und Anlagen gewartet werden. Für Gemeinden, auf deren Boden ein Kieswerk arbeitet, ist nicht nur die Gewerbesteuer interessant, sondern auch die dann fällige Kiespacht.
Im Fall, dass sogar mehrere Werke auf gemeindeeigenen Flächen arbeiten, kann die Kiespacht zur Goldgrube werden. Der Abbau im Oberrheintal ist, verglichen mit anderen Regionen, wo die Kiesschicht wesentlich dünner ist, relativ oberflächenschonend, weil er in die Tiefe geht und an immer weniger Orten stattfindet. Das Verhältnis von Kies und Sand ändert sich dabei von Süden nach Norden. Je weiter nördlich, umso mehr Sand, je weiter südlich, umso mehr Kies. Die sogenannte „optimale Sieblinie“, wo das Sand- und Kiesverhältnis ausgewogen ist, liegt bei Kehl. Sowohl Sand als auch Kies sind laut Kieswerkbesitzer Peter im Oberrheintal von hervorragender Qualität. Sie ergeben beispielsweise den Grundstoff für einen sehr guten Beton, der etwa in Landebahnen für Flughäfen Verwendung findet.
Der Branche geht es derzeit gut. Das stellt der Jahresbericht für 2017/18 des Industrieverbandes Steine und Erden fest. Man erlebe eine Hochphase aufgrund des Booms sowohl im Wohnungs- als auch im Tiefbau. Allerdings: Die Branche denkt und handelt langfristig. Die Planungsräume umfassen Jahrzehnte. Wesentliches Instrument dabei sind die Regionalpläne, die alle 15 Jahre fortgeschrieben werden, am südlichen Oberrhein dieses Mal (der neue Regionalplan wurde im vergangenen Jahr verbindlich) für die Kieswirtschaft sogar für zweimal 20 Jahre: einmal für den tatsächlichen Abbau und die zweiten 20 Jahre für die Sicherung. Auf die Regionalplanung folgen, wenn das Unternehmen den Antrag gestellt hat, die nachgelagerten Zulassungsverfahren. Bei der sogenannten Nassauskiesung ist eine wasserrechtliche Planfeststellung nötig. Stichworte sind dabei Umweltverträglichkeit (Flora und Fauna, Bodenschutz, Wasserschutz, Luft und Klima, Kultur und sonstige Sachgüter, Schallschutz) sowie Belange der Nachbarn und Grundstücksbesitzer, der Kommunen und beispielsweise der Naturschutzverbände. Eine ganze Reihe Fachbehörden sind logischerweise in den Prozess involviert. Genehmigungsbehörden sind das Regierungspräsidium und das betroffene Landratsamt beziehungsweise städtische Behörden im Fall kreisfreier Städte. Wie Thomas Peter ausführt, kommt es zu langen Untersuchungen, Kartierungen, Bohrungen, Modellrechnungen, externen Gutachten und Begehungen. Passieren kann auch, dass aufgrund unvorhergesehener Entdeckungen wie zum Beispiel Wildwechseln, der ganze Prozess von vorne begonnen werden muss und dann ein ganz anderes Gebiet betrifft.
Insgesamt, so führt der Unternehmer aus, kann ein solches Genehmigungsverfahren an die zehn Jahre dauern und ein bis zwei Millionen Euro kosten. Dieser hohe Aufwand ist einer der Gründe dafür, dass es immer weniger kleine Kieswerke gibt: Der Aufwand für ein kleines Werk ist genauso groß wie der für ein großes. Peter ist davon überzeugt: Einige große Werke sind besser als viele kleine. Dabei gilt es allerdings, eine gewisse Dezentralität der Abbaustätten zu gewährleisten, sonst werden die Transportkosten und die Belastungen durch Emissionen (wie schon ausgeführt) zu hoch.
Vor 20 Jahren war ein großes Problem der Kieswerke der Konflikt mit dem Naturschutz. Das hat sich grundlegend geändert. Baggerseen, die renaturiert werden, gelten als wichtige Bausteine bei der Förderung der Artenvielfalt, der Biotopvernetzung sowie lösungsorientierten Anwendungen des Artenschutzes. Inzwischen arbeiten der Industrieverband Steine und Erden und die Kieswerke eng mit dem Nabu zusammen. Und man trägt dazu bei, dass die grün-schwarze Landesregierung eine Rohstoffstrategie entwickelt, in die alle an der Rohstoffgewinnung Beteiligten und Betroffenen eingebunden werden.
Eben beim Einbinden aller Beteiligten setzt „Kiwi Oberrhein“ an. Die Abkürzung steht für Kieswirtschaft im Dialog und ist eine Initiative von rund 20 Unternehmen der Kieswirtschaft, die im vergangenen Jahr entstand. Ihr Vorsitzender und Gründer Thomas Peter hat erkannt, dass die Kieswirtschaft ihre Bedeutung und das, was sie tut, in der Öffentlichkeit und speziell bei ihren Nachbarn zu wenig bekannt sind. Bei fast jedem möglichen Ausbau von Kieswerken stehen schnell Bürgerinitiativen aus Nachbargemeinden bereit, deren Mitglieder mehr Verkehr, mehr Lärm, mehr Staub und/oder Geruchsbelästigung, mehr Bodenverbrauch, Abholzung von Waldstücken oder Ähnliches befürchten. Als Peter die Initiative ins Leben rief, merkte er, dass seine Branchenkollegen sehr häufig vom selben Problem betroffen sind. Da hilft nur Aufklärung, dachte er sich. Erster Schritt war im August ein Tag der offenen Tür im Kieswerk in Niederrimsingen, zu dem circa 8.000 Besucher kamen. Sie konnten sich über alle Schritte der Kiesgewinnung, ihre Bedeutung sowie naturschützerische Belange und Bemühungen informieren, oder auch im Buggy das 100 Hektar große Gelände erkunden und einige sogar mit dem Hubschrauber überfliegen. Die Beschäftigten des Werkes – häufig Anwohner der umliegenden Gemeinden – zeigten ihren Mitbürgern ihre Arbeitsplätze, für das leibliche Wohl und die musikalische Begleitung war ebenfalls gesorgt, die lokale Presse berichtete breit. Vielleicht sind solche Aktionen der richtige Weg, um die Beteiligten mit einzubinden und Befürchtungen entgegenzutreten. Für die Politik, Verwaltungen und Vertreter der Wirtschaft möchte KiWi Oberrhein einen Wirtschaftstag ins Leben rufen und dazu zugkräftige Diskutanten einladen.
Ulrich Plankenhorn
Bilder: Kieswerk und Baggersee der Hermann Peter KG, Niederrimsingen, Foto: Joachim Marholdt; Fotos Kies, Splitt und Sand von RMKS