Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Mitte Mai auch die deutsche Arbeitsrechtswelt mit einem Paukenschlag wach gerüttelt. Sämtliche Mitgliedsstaaten der EU wurden verpflichtet, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit künftig gemessen werden könne. Zum Hintergrund und zu den Auswirkungen dieser Entscheidung.

Was war geschehen? Eine spanische Gewerkschaft hatte in Spanien gegen die Deutsche Bank auf Feststellung der Verpflichtung geklagt, ein System zur Erfassung der von den Mitarbeitern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten. Nur so, meinte die Gewerkschaft, könnten die geleisteten Überstunden auch überprüft werden. Eine entsprechende Verpflichtung ergebe sich aus der Charta der EU und der Arbeitszeitrichtlinie, argumentierte die Gewerkschaft und berief sich darauf, dass 53,7 Prozent der in Spanien geleisteten Überstunden nicht erfasst würden.
Das zuständige spanische Gericht legte den Rechtsstreit zur Klärung der Europarechtskonformität dem EuGH vor. Dieser entschied wiederum sinngemäß, dass es die Richtlinie im Sinne der EU-Charta nicht zulasse, wenn Mitgliedsstaaten auf eine Regelung, die den Arbeitgeber wiederum verpflichte, ein Messsystem zur Erfassung der Regelarbeitszeit zu installieren, verzichteten. Ohne ein solches System könnten weder die Regelarbeitszeit noch die Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden, sodass es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich sei, ihre Rechte durchzusetzen. Im Ergebnis obliege es den Mitgliedsstaaten, die konkreten Modalitäten der Umsetzung eines solchen Systems zu bestimmen, wobei sowohl die Form als auch die Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs, wie die Unternehmensgröße, von den nationalen Gesetzgebern berücksichtigt werden dürften.
Diese Entscheidung wird große Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht, aber auch auf die europäische Praxis im Umgang mit der Arbeitszeit und den Überstunden haben. Denn eine Vielzahl von Arbeitszeiten wurde und wird in Deutschland nicht dokumentiert. Sämtliche Mitgliedsstaaten werden die Entscheidung in nationales Recht umzusetzen haben. Die Gesetzgeber erhalten zwar Spielräume hinsichtlich der Besonderheiten von Branchen, Tätigkeiten, Eigenheiten oder der Größe bestimmter Unternehmen. Dennoch enthält der europäische Richterspruch einen Gesetzgebungsauftrag. Eine Frist hat der EuGH den betroffenen Gesetzgebern und damit auch dem deutschen Gesetzgeber nicht gesetzt.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, in dessen Ressort das Thema fällt, hat bereits angekündigt, bis Ende des Jahres 2019 Antworten auf die Entscheidung geben und gegebenenfalls bis dahin auch bereits einen Gesetzesentwurf vorlegen zu wollen.
Insbesondere vor dem Hintergrund einer sich zunehmend wandelnden Arbeitswelt – beispielsweise aufgrund der wachsenden Zahl von Homeoffice-Regelungen oder der Nutzung von mobilen Kommunikationsmitteln jenseits des Arbeitsplatzes und der Arbeitszeit – darf man gespannt sein, wie der deutsche Gesetzgeber die Entscheidung im Einzelnen umzusetzen gedenkt. Die Zeiterfassung jenseits der üblichen Systeme dürfte auch den deutschen Gesetzgeber vor große Herausforderungen stellen. Auch bisherige Modelle, wie die sogenannte Vertrauensarbeitszeit dürften künftig nicht mehr den Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH genügen.
Olaf Müller
Endriß und Kollegen, Freiburg