Seit 16. August gilt im Land eine neue Coronaverordnung, die es Clubs und Discos ermöglicht, wieder uneingeschränkt zu öffnen. Was machen die Betreiber mit der neuen Freiheit? Wie geht es ihnen, wie sind sie durch die harten Monate der Schließung gekommen?
Nähe, feiern, tanzen: Das erlaubten die Pandemie und die Coronaverordnungen in den vergangenen gut anderthalb Jahren so gut wie nicht. Die meisten Clubs und Discos verharrten seit Mitte März 2020 im Dornröschenschlaf. Annähernd 700 Betriebe in Baden-Württemberg waren davon betroffen. Einige öffneten immerhin als Bar, weil sie das diesen Sommer bis zu einer Inzidenz von 35 ohne Beschränkungen tun konnten. Deshalb schätzte Daniel Ohl, Geschäftsführer Kommunikation des baden-württtembergischen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), die Zahl der Tanzclubs im Land zuletzt als rückläufig ein, eher 500 denn 700. Jetzt können die Discos einen Neustart wagen: Die jüngste Coronaverordnung des Landes, die Mitte August in Kraft getreten ist, hat sich weitestgehend von der Inzidenz als Messgröße verabschiedet. Seither können auch Clubs und Discos uneingeschränkt öffnen, allerdings müssen die Gäste geimpft, genesen oder PCR-getestet sein. Die zunächst vorgesehene Maskenpflicht entfällt teilweise unter bestimmten Bedingungen (Stand 18. August).
Die Aufhebung der Beschränkungen kam für die Betreiber sehr überraschend. In vielen Fällen zu überraschend, um sofort wieder loslegen zu können. „Das geht nicht so schnell von heute auf morgen. Wir brauchen zwei bis drei Wochen für die Öffnung“, sagte Dirk Bamberger (Bild) Mitte August. Er betreibt das Top 10 in Singen, mit knapp 3.000 Quadratmetern und – in Vorcoronazeiten – bis zu 3.000 Gästen pro Abend eine der größten Discos in der Region. Außerdem zählen der Erdbeermund, auch in Singen, das Berry‘s in Konstanz, zwei weitere Top 10s im schwäbischen Balingen und Tübingen sowie ein Restaurant samt Biergarten und Festival in Dormettingen (Zollernalbkreis) zu Bambergers Unternehmensgruppe. Der Hauptgrund, warum sich die Wiedereröffnungen verzögern, ist das fehlende Personal, erklärt Bamberger. Allein für das Singener Top 10 brauche er mindestens 100 Aushilfen. Vor der Pandemie beschäftigte er insgesamt 65 Festangestellte und mehr als 400 Minijobber. Die festen Mitarbeiter erhielten Kurzarbeitergeld und/oder arbeiteten in den unternehmerischen Ersatzprojekten. Die Top 10s in Singen und Balingen, bei denen es Außenbereiche gibt, öffneten im Sommer 2020 und 2021 als Bars. Zudem betrieb Bamberger bis zu sieben Testzentren, im August waren es noch drei. Knapp 50 Festangestellte konnte er halten, obwohl diese eine entbehrungsreiche Zeit hinter sich haben. Denn Nachtzuschläge und Trinkgelder, ein wichtiger Bestandteil ihres Lohns, werden beim Kurzarbeitergeld nicht berücksichtigt. Doch die Minijobber haben sich anders orientiert. Viele arbeiten zwischen Schule und Studium bei ihm. Hier sei die Fluktuation ohnehin hoch, sagt Bamberger. Normal stelle er ständig neue Aushilfen ein. Seit 17 Monaten allerdings nicht. „Das fehlt enorm“, sagt Bamberger. Er hat viel Geld verloren: „Die Unterstützung hat bei Weitem nicht ausgereicht, um die laufenden Kosten wie Mieten und Versicherungen auszugleichen.“ Ein Problem ist, dass all seine Betriebsstätten in einem Verbundunternehmen organisiert sind. Mit einzelnen Clubs hätte er mehr Hilfen erhalten. Auch die Umsätze der Testzentren und aus dem Barbetrieb reichten nicht ansatzweise aus, so Bamberger. Gefährdet ist das Unternehmen, das sein Vater 1969 startete und das er seit 1992 in zweiter Generation führt, allerdings nicht. Es hatte in der Vergangenheit gut gewirtschaftet und ausreichend Reserven gebildet. Jetzt ist Bamberger gespannt, wie die Gäste die neuen Möglichkeiten annehmen und ob er seine Häuser wieder füllen kann
Auch im Elpi, das Generationen von Freiburger Studenten kennen, soll bald wieder getanzt werden. Matthias Rotzler (Bild) hat die Disco, die demnächst
40. Geburtstag feiert, erst 2018 übernommen und musste während der anderthalbjährigen Schließung noch den Kredit dafür bedienen. Schon länger betreibt der Freiburger das „BeatBarButzemann“, die Bar am Funkeneck und seit August 2020 das bei Studierenden beliebte Restaurant Brennessel; sein Bruder Christian Rotzler den Club The Great Räng Teng Teng. Alle Betriebe firmieren einzeln, was in der Pandemie ein Vorteil war. Die staatlichen Hilfen hätten gereicht, um die Kosten zu decken und die Betriebe am Leben zu halten, berichtet Matthias Rotzler. Auch weil seine Vermieter geduldig waren während der langen Zeit, in der kein Geld geflossen ist. Rotzler selbst musste allerdings von Rücklagen sowie von den Einkünften seiner Frau leben. Und seine Schwester Rahel Rotzler, mit der er vor der Pandemie das Elpi gemeinsam geführt hatte, ging zurück in ihren alten Beruf als Krankenschwester. Bei seinen Bars hat Matthias Rotzler „jeden Öffnungstag genutzt, der mir zur Verfügung stand“. Das Elpi indes blieb geschlossen. Als Kellerlokal hätte es nicht einfach so in den Barbetrieb wechseln können. Mit Renovierungen oder anderen Investitionen hielt er sich deshalb zurück. Er ahnte, dass die Discos die letzten sein würden, die wieder öffnen können, und sorgte sich gleichzeitig, in Vergessenheit zu geraten. „Die eine Generation wächst raus, und die neue lernt einen nicht kennen.“ Deshalb hatte Rotzler gerade begonnen, das Elpi doch als Bar zu öffnen und wurde von der Verordnung überrascht. Er will die neuen Möglichkeiten zwar nutzen und hofft, Anfang September öffnen zu können. Aber er ärgert sich auch, dass nun ausgerechnet die „lobbylose Jugend- und Subkultur“ die Kröte PCR-Tests schlucken muss, die für andere Kultureinrichtungen nicht gilt.
Auch Ralf Bürger bezeichnet die Voraussetzungen für die Wiedereröffnung als „suboptimal“. Er ist seit 44 Jahren selbstständig in der Clubbranche, zunächst in seiner Geburtsstadt Freiburg, später in Stuttgart und seit 1989 in Donaueschingen. Das dortige Tanzlokal Okay ist seit 2006 sein einziger Betrieb. Es besteht aus zwei Dancefloors und einem Restaurant, fasst bis zu 1.000 Gäste. „Tanzen mit Maske ist unmöglich“, sagte Bürger, ehe sich Clubs und Landesregierung auf den Kompromiss verständigt hatte. Das liest er auch in einer Chatgruppe, in der sich rund 300 Discobetreiber aus Deutschland und darüber hinaus austauschen. Mit Maskenpflicht, so die Erfahrung der Wirte, würden die Gäste vor allem an der Theke verweilen. Viele Fragen seien ungeklärt, meint Bürger. Die wichtigste: Hat die Verordnung Bestand? Er traut der Sache noch nicht nach der langen Zeit, in der er sich von Monat zu Monat, von Aussage zu Aussage gehangelt hat. „Wir konnten nicht planen“, sagt Bürger. „Ich hab‘ noch nie so wenig Urlaub gemacht, obwohl ich noch nie so wenig gearbeitet habe wie in den letzten anderthalb Jahren.“ Der Skepsis zum Trotz hat er sich entschieden, langsam wieder zu starten. „Das ist wie ‘ne Neueröffnung“, sagt er. Er ist gerade dabei, Kühlaggregate und -häuser sowie die ganze Licht- und Tontechnik wieder hochzufahren und dabei zu prüfen, ob alles noch funktioniert. Parallel kontaktiert er seine Mitarbeiter. 14 feste und 70 Aushilfen waren es früher, keine Vollzeitkräfte, denn das Okay hat nur an drei Abenden pro Woche geöffnet. Alle hatten ohnehin einen weiteren Job, viele sind nun ganz dorthin abgewandert. Auch Ralf Bürger selbst hat sich noch nicht entschieden, ob er der Clubbranche treu bleibt. Er will zwar auf jeden Fall nochmal aufmachen, dann aber schauen, wie sich das anfühlt. Nicht arbeiten zu können, sei immer ein Schreckgespenst gewesen, erzählt er. In den zurückliegenden Monaten aber hat er gemerkt: „So schlimm war es nicht.“
Text: kat
Bilder: fotofabrika – Adobe Stock/Matthias Rotzler/Dirk Bamberger