Jahrzehntelang ging es auf Firmengeländen in Sachen Begrünung ziemlich steril zu. Kurzgeschorene Grashälmchen, gezirkelte Blumenrabatten mit hübschen Exoten, hie und da noch ein paar vorwitzige Gänseblümchen. Für die Natur eine Katastrophe. Zum Glück denken immer mehr Unternehmen um.
Es ist ein nasskalter Morgen Ende März und noch blüht hier so gut wie nichts. Nach dem Winter herrscht auf dem Gelände der Badenova-Zentrale in Freiburg, wie anderswo auch, das übliche regenmatschige Einheitsgrünbraun vor. „Das wird sich bald aber schlagartig ändern“, versichert Angela Hinel und weist beim Rundgang auf die immergrünen Rosmarinsträucher, auf vertikale Gärten entlang der Wege, auf Insektenhotels an den Obstbäumen und auf größere Areale inmitten der Rasenfläche, die als Blühinseln angelegt sind. „Dort wachsen bald bis auf Kniehöhe wieder Kornblumen, Malven und dutzende andere Wildblumenarten und -gräser. Dann wird es von Insekten nur so wimmeln“, berichtet Hinel. Sie ist bei der Badenova Teil des Nachhaltigkeitsteams, das den Energiedienstleister von oben bis unten in Sachen Nachhaltigkeit unter die Lupe nimmt und optimiert.
Mehr für Biodiversität zu tun – den ökologischen Handabdruck zu verbessern, wie Hi-nel es nennt – ist seit einiger Zeit Bestandteil der firmeneigenen Nachhaltigkeitsstrategie. Um Nahrungsangebot und Lebensräume für Insekten und andere Tiere zu schaffen, wandelt man deshalb zum Beispiel herkömmliche Grünflächen aktiv in Blühwiesen um. Und die Badenova hat dafür so einiges an Standorten in petto, von den unzähligen Stromhäuschen über die Umspannwerke bis zu den Kundencentern von Offenburg bis Lörrach. „Wir haben zuvor eine Potenzialanalyse gemacht, wo wir entsprechende Flächen haben, wo es machbar ist und wo es Besonderheiten zu beachten gibt – etwa in Wasserschutzgebieten oder bei Versickerungsflächen“, erklärt Angela Hinel. Seit einiger Zeit gestaltet man so gemeinsam mit Biologen, Gärtnern, Kommunen und vor allem mit den Mitarbeitern vor Ort – „unsere wertvollsten Ideengeber und Mitmacher“ – eine Fläche nach der anderen um, zunächst die einfachen, später die komplizierten. 20 Anlagen jedes Jahr sollen es werden.
Dass solches Engagement nicht nur geeignet ist, Mitarbeiter, Besucher, Bewerber und andere Stakeholder zu erfreuen, sondern ökologisch auch dringend geboten ist, zeigen Studien, die das dramatische Insektensterben in Deutschland untersuchen. So ist von den 585 heimischen Wildbienenarten fast die Hälfte in ihrem Bestand bedroht und steht auf der Roten Liste bedrohter Tierarten. Schmetterlingen und anderen Insektenarten, die für das Funktionieren des Ökosystems unerlässlich sind, geht es keinesfalls besser.
Vorher... und nachher
Vorher…
Rund um ein Stromhäuschen der Badenova in Oberried: Seit der Umwandlung in eine Blühwiese finden Insekten dort deutlich mehr Nahrung und Rückzugsorte.
… Nachher
„Wenn es um Grünland geht, ist alles besser als englischer Rasen“, stellt Sabrina Essel, Projektleiterin bei der Flächenagentur Baden-Württemberg GmbH, fest. Zusammen mit dem Naturschutzbund (Nabu) Baden-Württemberg berät die Flächenagentur seit 2021 im Projekt „UnternehmensNatur“ Firmen zur naturnahen Gestaltung ihrer Außenflächen (siehe unten). Fast 74.000 Hektar Industrie- und Gewerbefläche gab es 2019 allein in Baden-Württemberg. Rund 14 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsfläche. Mächtig Potenzial für Bienen & Co.
Der Haken: Mit einfach aufhören zu mähen, ist es nicht ganz getan, erklärt Projektleiterin Anke Heidemüller vom Nabu. Damit aus einem kurzgeschorenen, artenarmen Firmenrasen eine Blühwiese werden kann, braucht es einen Anschubser via Saatgut. Ganz elementar sei dabei, so die beiden Expertinnen, gebietsheimisches Wildpflanzensaatgut zu verwenden, weil die regionale Tierwelt auf die Pflanzen genau dieses Landstrichs spezialisiert ist. Da können Lavendel und Heidekraut noch so schön blühen und riechen, wenn die heimischen Falter nichts mit ihnen anzufangen wissen. Gemäht wird abhängig von Boden und Entwicklungsstand nur noch ein- bis dreimal pro Saison, sagt Sabrina Essel. „Das spart den Unternehmen viel Arbeit. Allerdings muss das Schnittgut immer abgeräumt werden, damit eine nährstoffarme Wiese entstehen kann.“ Nur so nimmt man einzelnen dominanten Arten wie dem Wiesenlöwenzahn die Energie und schafft Platz für eine Vielzahl an Pflanzen, die auf magere Böden spezialisiert sind.
So braucht das Anlegen und Pflegen einer Blühwiese schon etwas Expertise, auch wenn sie längst kein Hexenwerk ist, weiß Wolfram Wiggert vom Haslachhof in Löffingen. Seit 2019 bietet der Landwirt Unternehmen Blühpatenschaften auf seinen Feldern an, in drei unterschiedlich großen Paketen, von 200 bis 500 Quadratmetern Blühfläche inklusive Kommunikationsmaterial. 14 Unternehmen sind seither mit an Bord, von kleinen Einzelhändlern bis zu mittelständischen Industriebetrieben. Für den Ökostromanbieter Energiedienst kümmert man sich zudem um eine naturnahe Wiese rund um ihr neues Umspannwerk in Löffingen. „Nicht jeder Unternehmer hat Zeit und Muße, sich in das Thema so einzuarbeiten, wie wir es getan haben“, sagt Wiggert. Denn für ihn sind die Blühwiesen ein Baustein im Biodiversitätskonzept seines kompletten Hofes. Er bewirtschaftet zudem artenreiche Heuwiesen als Futter für seine Hinterwälder-Rinder, treibt die Humusgewinnung voran – Humus bindet CO2 – und probiert bei der Aussaat vieles aus, von Hafer mit Leindotter bis Sommergerste mit Kichererbsen oder Quinoa.
Die Blühflächen sind extra so positioniert, dass Wanderer und Radfahrer sich daran freuen können. Wetterfeste Tafeln informieren nicht nur über die Blühpaten, sondern auch über den ökologischen Zweck des Ganzen. „Und erklären, warum das Feld je nach Jahreszeit nicht immer aufgeräumt ist“, ergänzt Wolfram Wiggert und weist exemplarisch auf ein blassgraues Stängelgestrüpp an der Scheunenwand gegenüber des Hofladens. Eine abgeblühte Zuflucht für Kleintiere während des Winters. Natur will es nicht immer ordentlich.
Text: uh
Bilder: Bild: NaturEnergie-Kalender. Juri Junkov/Badenova
Bild (oben): Familie Wiggert vom Haslachhof in Löffingen in einer ihrer Blühwiesen, für die sie Patenschaften anbieten. Damit sind die Vier das Juli-Motiv im diesjährigen „NaturEnergie“-Kalender vom Ökostromanbieter Energiedienst geworden.
So klappt‘s mit der Biodiversität
Zum Start: Klären, was man erreichen will. Dann können Gärtner oder Garten- und Landschaftsbauer zielgenau helfen. +++ Grundsätzlich: Versiegelung minimieren, so dass Regenwasser versickern kann. Hitze- und Überflutungsschutz. +++ Gebietsheimisches Wildpflanzensaatgut/Regiosaatgut verwenden, bundesweit werden 22 Ursprungsregionen unterschieden (siehe www.gesetze-im-internet.de/ermiv/anlage.html). +++ Eher auf mehrjährige Pflanzen setzen. Blumen, Gräser, Kräuter beliebig mischen. Bodenbeschaffenheit und Mikroklima berücksichtigen. +++ Bei Nistkästen, Insektenhotels et cetera checken, wo so etwas auf dem Gelände gefahrlos sinnvoll stehen kann. +++ Insektenfreundliche Beleuchtung sorgt dafür, dass die Tiere sich nicht totschwirren. +++ Beim Einsäen der Blühwiese mit kleinen Flächen starten, um Erfahrungen zu sammeln. +++ Möglichst nicht düngen. In der Regel sorgt die Natur selbst für die richtige Balance zwischen Nützlingen und Schädlingen. +++ Bewässern ist je nach Witterung höchstens am Anfang nötig. +++ Ein bis drei Mal pro Jahr mähen, Mahdgut unbedingt abräumen. Im Herbst/Winter abgestorbene Pflanzen stehen lassen als Rückzugsraum für Tiere. +++ Infotafeln oder Akzeptanzstreifen – schmale, ordentlich gemähte Streifen rund um eine Blühwiese – signalisieren Passanten, dass die zeitweise Unordnung gewollt ist. +++ Geduld mitbringen: Nicht jedes Jahr ist gleich und nicht jeder Plan geht auf. Natur braucht ihre Zeit.
Nützliche Adressen
- „UnternehmensNatur“, Projekt des Nabu und der Flächenagentur BW: Kostenfreie Erstberatung für Unternehmen für die
naturnahe Gestaltung der Außenflächen. Kostenbegünstigte Detailplanung. www.unternehmensnatur-bw.de - Anbieter von Regiosaatgut (Auswahl): www.ritter-saatgut.de, www.saaten-zeller.de, www.rieger-hofmann.de
- Blühpatenschaft übernehmen oder anbieten: Initiative „#bwbluehtauf“ des Landesbauernverbandes in BW und des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbandes.
www.bwbluehtauf.de - Zehn Tipps für blühende Gewerbeflächen. www.baden-wuerttemberg.nabu.de/natur-und-landschaft/aktionen-und-projekte/unternehmensnatur/31081.html
- IHK-Woche der Nachhaltigkeit ab 16. Mai: Breites Vortragsprogramm (kostenlos, überwiegend online) zu diversen Aspekten betrieblicher Nachhaltigkeit. www.wochedernachhaltigkeit-freiburg.de
- Bundesweiter Pflanzwettbewerb „Wir tun was für Bienen!“ der Stiftung für Mensch und Umwelt. Bewerben bis zum 31. Juli. www.wir-tun-was-fuer-bienen.de/registrierung.html