Die coronabedingte Schonfrist ist vorbei: Seit Mai müssen wieder alle überschuldeten und zahlungsunfähigen Unternehmen Insolvenz anmelden. Was das für Auswirkungen auf die regionalen Unternehmen hat oder haben könnte, schätzt der Fachanwalt für Insolvenzrecht und Insolvenzverwalter Dirk Pehl ein.
Sehen Sie eine Insolvenzwelle kommen?
Ich glaube nicht, dass gleich eine Welle kommt, ich glaube eher, die Insolvenzen werden sukzessive mit einer zeitlichen Verzögerung zunehmen. 2020 hatten wir deutlich weniger Insolvenzen als im Vorjahr, aber es gab weiterhin kränkelnde Unternehmen, vor allem in der Automobilbranche. Die sind ja nicht plötzlich gesund geworden. Das Kurzarbeitergeld hat viele bislang gerettet. Das Problem ist, dass die Aussetzung der Pflicht zur Anmeldung einer Insolvenz nur für bestimmte Unternehmen galt. Sie mussten pandemiebedingt in der Krise sein, ein positives Jahresergebnis 2019 und einen Umsatzeinbruch von mindestens 30 Prozent 2020 vorweisen. Außerdem mussten sie Hilfen beantragt haben und wissen, dass diese, wenn sie kommen, ausreichen, um den Insolvenzgrund zu beseitigen. Wenn man 50.000 Euro beantragt, aber 500.000 Euro Verbindlichkeiten hat, weiß man schon beim Beantragen: Die reichen nicht. Dann hätte man bereits vor Ende April einen Insolvenzantrag stellen müssen. Ich fürchte, dass es bei vielen ein böses Erwachen geben wird.
Was meinen Sie damit?
Wenn diese Unternehmen in ein Insolvenzverfahren gehen, wird ein Insolvenzverwalter bestellt. Der prüft, wann Zahlungsunfähigkeit vorlag und ob der Geschäftsführer danach weitergewirtschaftet hat und Gläubiger hinzugekommen sind. In diesem Fall ist der Unternehmer schadenersatzpflichtig und macht sich zusätzlich der Insolvenzverschleppung schuldig.
Viele gebeutelte Unternehmen melden nicht Insolenz an, sondern ihr Gewerbe ab. Wie schätzen Sie da die Entwicklung ein?
Das kann ich schwer beurteilen, da diese Unternehmen zunächst keinen Insolvenzantrag stellen und somit nicht von mir betreut werden. Aber wenn ich zahlungsunfähig oder überschuldet bin, hilft mir eine Abmeldung nicht aus dem Insolvenzgrund heraus. Wenn ich die Gläubiger nicht befriedigen kann, muss ich Insolvenz anmelden. Sonst kann ich das Unternehmen nicht liquidieren.
Wie schätzen Sie die Situation in den von Corona besonders gebeutelten Branchen wie Gastronomie und Hotellerie ein?
Ich denke, in der Gastronomie wird es relativ zügig wieder aufwärts gehen, wenn geöffnet wird. Die meisten Unternehmen konnten sich mit Kurzarbeit und Überbrückungshilfen einigermaßen über Wasser halten. Da sehe ich eher ein Problem, ob sie genügend Arbeitskräfte gewinnen können. Vor allem viele Minijobber haben sich anders orientiert. Das gilt auch für Hotels. In der Hotellerie sehe ich zwei Tendenzen: Ich denke, wer vor der Pandemie auf Touristen gesetzt hat, dessen Geschäft wird wieder anziehen – auch wenn asiatische und amerikanische Gäste im Hochschwarzwald sicher noch auf sich warten lassen. Bei Tagungshotels und denjenigen, die auf Messegäste angewiesen sind, wird es sich sicher erst in den nächsten zwei bis drei Jahren zeigen, ob das Geschäft wieder so kommen wird wie vorher. Da stellt sich die Frage, wie sie vor der Krise finanziell ausgestattet waren. Das Wesentliche ist, wem die Immobilie gehört, ob sie abbezahlt ist, ob es ein Franchisenehmer oder gar eine Kette ist. Davon hängt meist ab, ob die staatlichen Hilfen ausreichen oder nicht.
Dirk Pehl
Der promovierte Jurist, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Insolvenzverwalter Dirk Pehl (42) arbeitet seit 2007 bei der Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH mit Sitz in Achern. Seine Spezialgebiete sind Insolvenzverwaltung, Sachwaltung, Anfechtung und Insolvenzplanverfahren. Schultze & Braun ist nach eigenen Angaben ein führender Dienstleister für Insolvenzverwaltung und Beratung im Sanierungs- und Insolvenzrecht. An rund der Hälfte aller deutschen Insolvenzgerichte werden Beschäftigte des Unternehmens als Insolvenzverwalter oder Sachwalter bestellt. An 40 europäischen Standorten sind mehr als 600 Mitarbeiter beschäftigt.
Welche Alternativen gibt es zur Insolvenz, und was bringt das Starug, das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, das es seit Jahresbeginn gibt?
Ich kann zunächst immer einen außergerichtlichen Vergleich mit meinen Gläubigern anstreben. Hier bin ich allerdings auf 100 Prozent Zustimmung aller Gläubiger angewiesen. Das funktioniert also nicht, wenn ein Gläubiger nicht mitmacht. Innerhalb eines Insolvenzverfahrens kann ich einen eben solchen Vergleich vorlegen. Für die Zustimmung brauche ich dann lediglich eine einfache Kopf- und Summenmehrheit der Gläubiger beziehungsweise der Forderungen. Ich kann also einzelne Gläubiger überstimmen. Das Starug bildet einen Mittelweg zwischen diesen beiden Varianten. Es beinhaltet zum Beispiel eine Sanierungsmoderation und einen Restrukturierungsplan, nahezu alle Instrumente eines Insolvenzverfahrens, aber andere Zustimmungserfordernisse. Die Restrukturierung kann auf einzelne Gläubigergruppen begrenzt werden, etwa ausschließlich auf Kreditgeber. Auch hier können einzelne Gläubiger überstimmt werden. Und sie kann außergerichtlich durchgeführt werden. Dem Unternehmer haftet also nicht das Stigma einer Insolvenz an. Wenn man aber Verträge mit Mitarbeitern oder Lieferanten kündigen muss, hilft das Starug nicht weiter.
Welche Warnzeichen gibt es, dass eine Insolvenz drohen könnte?
Aus Sicht des Unternehmers: wenn der Kontostand immer weiter sinkt und die Zahlungsverpflichtungen immer weiter steigen. Aus Sicht des Gläubigers: wenn zum Beispiel Rechnungen nicht gezahlt werden oder nach Stundung gefragt wird.
Was empfehlen Sie Unternehmen, die wegen der Pandemie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken?
Das Wesentliche ist, dass man nicht auf Sicht fährt, sondern eine Liquiditätsplanung mit einem Soll-Ist-Abgleich aufsetzt.
Kann eine Insolvenz für ein Unternehmen auch eine Chance sein?
Ja, auf jeden Fall. Manchmal muss man den schweren Schritt gehen und den Betrieb einstellen. Aber bei einer Vielzahl von Fällen kann man den Geschäftsbetrieb weiterführen. Im Rahmen der Pandemie wird sich zeigen, ob dies weiterhin so gilt. Wenn jemand frühzeitig einen Insolvenzantrag stellt, gibt es immer eine Chance, das Unternehmen zu retten.
Interview: mae
So machen Sie Ihr Unternehmen krisenfest
Überprüfen Sie permanent Ihr Geschäftsmodell, Ihre Strategie, Ihr Produktangebot und Ihre Kunden- sowie Lieferantenstruktur. Haben Sie genug neue Geschäftsideen? Arbeiten Sie stetig an der Weiterentwicklung Ihrer Produkte? Haben Sie sowohl genügend Bestands- als auch Neukunden? Welche neuen Marktsegmente wollen Sie sich in den nächsten Jahren erschließen? Wie steht es um Ihre Lieferantenstruktur: Beziehen Sie wichtige Vorprodukte/Rohstoffe nur aus einer oder mehreren Quellen? Welche Laufzeit haben Ihre Lieferverträge?
Schützen Sie sich vor Lieferengpässen oder Zahlungsausfällen. Checken Sie regelmäßig die Bonität Ihrer Vertragspartner entlang Ihrer Wertschöpfungskette. Datenbanken wie Schufa oder Creditreform geben Ihnen für relativ kleines Geld rasch und zuverlässig Auskunft darüber, wie es um die finanzielle Lage Ihrer Geschäftspartner steht.
Implementieren Sie ein Frühwarnsystem für Ihren Betrieb. Sorgen Sie für klare Zuständigkeiten: Wer ist wofür verantwortlich, wer berichtet wie oft an wen? Um immer den Stand der Dinge zu kennen, brauchen Sie regelmäßig aktuelle Informationen über die Geschäftsentwicklungen aus den Bereichen Innenrevision, Controlling und Zertifizierung. Lassen Sie sich in regelmäßigen (nicht zu langen) Abständen alle relevanten Zahlen, Daten und Fakten vorlegen und besprechen Sie die Informationen mit Ihren Kollegen aus der Geschäftsführung und Ihrem Steuerberater oder Rechtsanwalt. Fallen Ihnen Unregelmäßigkeiten auf oder fürchten Sie Fehlentwicklungen, informieren Sie frühzeitig Ihre Aufsichtsgremien. Schließen Sie für sich gegebenenfalls eine D&O-Versicherung ab, die Haftungsrisiken abdeckt.
Achten Sie auf Warnsignale: Zahlt ein bis dato zuverlässiger Kunde seine Rechnungen auf den letzten Drücker – oder sogar erst nach Mahnung? Zahlt er nur teilweise, erteilt aber gleichzeitig direkt neue Aufträge? Ändert sich die schon lange bestehende Bankverbindung Ihres Kunden? Gibt es unerwartete Wechsel in der Geschäftsführung, und reagieren die neuen Chefs nicht auf Ihre Kontaktaufnahme? Lesen Sie in der Presse von Werksschließungen oder Verlagerungen des Firmensitzes? Stellen Sie Ihre Lieferungen eventuell auf Vorkasse um. Auch bei Ihren Lieferanten sollten Sie auf Ungewöhnliches achten: Ändert Ihr Zulieferer ohne Ankündigung seine Zahlungsziele, streicht er seine Skonti-Angebote, liefert er verspätet oder nur Teilmengen – und auch das nur in minderer Qualität? Gefährden Sie nicht Ihre Lieferketten durch Klumpenrisiken: Machen Sie sich rechtzeitig auf die Suche nach alternativen Zulieferbetrieben.
cp
Wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie hatte die Bundesregierung die Insolvenzantragspflicht in bestimmten Fällen zwischen März 2020 und April 2021 ausgesetzt (Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz). Davon haben Unternehmen, die einen Anspruch auf die staatlichen Überbrückungshilfen hatten, profitiert. Seit Mai gilt wieder die alte Regel. Vereinfacht gesagt: Wer überschuldet und zahlungsunfähig ist, muss Insolvenz anmelden. Eine Alternative stellt das Stabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz dar. Mehr dazu unter www.cottbus.ihk.de/unternehmensstabilisierungs-und-restrukturierungsgesetz-starug.html