Man nehme: Zwei junge Köche aus der Sternegastronomie, eine Sommelière, drei Dutzend experimentierfreudige Gäste und immer wieder eine coole Location. Ein Rezept für die Gastronomie der Zukunft?
Wer die Steintreppe der schmucken Gründerzeitvilla im Freiburger Stadtteil Wiehre hinaufsteigt und die Eingangshalle mit dem kunstvollen Mosaikfußboden betritt, kommt sich auf seiner Suche nach dem Restaurant etwas deplatziert vor. Im Erdgeschoss eine Psychotherapiepraxis, im dritten Stock ebenfalls ein Arzt. Kann das hier richtig sein? Die Verwirrung gehört zum Konzept. Dinieren, dort, wo man sicher kein zweites Mal speisen wird. Für drei Wochen im April ist dies nun eine ehemalige – und künftige – Arztpraxis im ersten Stock, mit hohen Decken und Raucherbalkönchen. Bis sie demnächst wieder ihrer Bestimmung übergeben wird, tischen hier die Hawaras – altösterreichisch für „Freunde“ – auf.
Die Hawaras sind die beiden Köche Yannik Spielmann und Nicolai Heuer sowie Sommelière Sonja Wagner. Sie bieten gehobene produktbezogene Pop-up-Gastronomie. Dafür hat das Trio zwei Zimmer der Praxis mit Tischen – gusseiserne Nähmaschinengestelle mit montierten Holzplatten – und alten Gasthausstühlen bestückt. 32 Gäste bekommen sie unter. Eine raumhohe dunkelblaue Holzrahmenkonstruktion gibt dem Ganzen einen gewissen Tavernencharakter, dazwischen Pflanzen und großformatige Kunst an den Wänden.
Auf der anderen Seite vom Flur wurde eigens eine Küche eingebaut, mit mehreren Kochstellen und professioneller Abzugsanlage. Spül- und Waschmaschine sind ebenfalls mitgebracht. Alles in allem ausreichend ausgestattet, um gehobene Küche servieren zu können, aber noch Praxis genug, um als Location etwas Besonderes zu sein.
Punkt 19 Uhr geht es los, bis etwa elf Uhr, jeweils mittwochs bis freitags. Zehn bis 15 Gänge, festes Menü, für 130 Euro plus Getränke. Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt, für Vegetarier, Pescetarier und bei Unverträglichkeiten gibt es Ausnahmen.
Im September 2020 zunächst als Testballon gestartet und seit Herbst 2021 regelmäßig am Start, sind die Hawara-Abende stets ausgebucht, ohne Werbung und Webseite. Infos gibt es per Newsletter und Instagram, angemeldet wird per E-Mail oder Telefon. Ein Konzept, das auf Dauer funktionieren kann? Sonja Wagner im Gespräch über ihre Erfahrungen mit dieser Form der Gastronomie und wo sie damit noch hinwollen.
Frau Wagner: Hawara macht vieles anders, von der schrägen, wechselnden Location bis zum festen Zehn-Gang-Menü. Um was davon geht es im Kern?
Sonja Wagner: Die Grundpfeiler unseres Selbstverständnisses sind da noch gar nicht aufgeführt. Das ist der saisonale und der regionale Ansatz. Und die Idee, Tiere ganz zu verwerten. Was nicht auf dem Teller landet, wird anderweitig verarbeitet. Wir versuchen die Kreisläufe zu schließen. Und reduziert zu kochen, mit wenig Komponenten, ohne Schnickschnack. Die wechselnden Locations sind eher aus der Not geboren.
Das müssen Sie erklären.
An sich suchen wir tatsächlich eine feste Location, um unser Konzept des „nose to tail“ besser leben zu können. Aber weil wir etwas möchten, das in der Vergangenheit nicht schon mal gastronomisch bespielt wurde, und aktuell nichts in Aussicht ist, haben wir für 2022 aus der Not eine Tugend gemacht. Und probieren uns derweil noch ein bisschen aus. Von großen Menüs über Bistrokleinigkeiten bis Streetfood. Nix is fix bei uns.
Wie aufwendig ist so ein gehobenes Pop-up-Konzept?
Die Pop-ups sind schon recht anstrengend. Es sind gar nicht die vielen Gänge an sich, sondern die ständig wechselnden Abläufe. Es ist jedes Mal, wie ein neues Restaurant zu eröffnen.
Wie muss man sich das logistisch vorstellen, wenn Sie alle paar Wochen den Standort wechseln?
Wir brauchen etwa zwei Wochen, um vor Ort alles einzubauen und einzuräumen. Wir dürfen die Kantine des Kompetenzzentrums Tourismus als Produktionsküche nutzen, kochen dort vor und fahren alles rüber, was dann später vor Ort à la minute fertiggestellt wird. Und im Anschluss brauchen wir sieben bis zehn Tage, um alles wieder zurückzubauen.
Da bleibt nicht viel Leerlauf. Und es bedeutet viele Arbeiten und Aufgaben, die so gar nichts mit Kochen zu tun haben. Das ist auch spannend, lässt einem aber nicht viel Luft, um sich kreativ weiterzuentwickeln. Deshalb der Wunsch nach einer festen Lokalität.
Wäre Ihr Konzept ein Prototyp für die Zukunft der Gastronomie?
Ich sehe uns als Zusatzangebot. Die klassische Gastronomie hat ja ihre Daseinsberechtigung. Die Leute wollen auch mal spontan ein Schnitzel essen gehen oder nur drei Gänge essen. Wir wissen, dass wir mit unserem Konzept Menschen ausschließen – das behagt uns auch nicht und das würden wir gerne irgendwie ändern.
Jedenfalls bucht man bei uns einen Abend und nicht nur ein Essen. Wir schlachten das mit den Locations schon aus. Das Spiel macht uns und den Gästen Spaß. Wir wollen gemeinsam eine gute Zeit haben, auf Augenhöhe mit den Gästen, im gegenseitigen Austausch. Nicht als die klassischen Dienstleister. Deshalb haben wir auch den Samstag wieder abgeschafft.
Den Samstag abgeschafft?
Wir haben festgestellt, dass die Leute samstags mit einer anderen Erwartung zum Essen gehen. Da steht die Geselligkeit im Vordergrund, das Essen ist Nebensache. Das verträgt sich nur bedingt mit einem Zehn-Gänge-Abend. Samstage waren deshalb immer anstrengender und weniger lustig als die anderen Tage. Also haben wir entschieden, darauf zu verzichten. Wir wollen uns eine Lebensrealität schaffen, auf die wir Lust haben.
Wieviel Potenzial steckt noch in Ihrer Idee?
Freiburg ist eine kleine Stadt. Wir merken so langsam, dass wir mehr Bekanntheit und mehr Reichweite brauchen. Der Kreis an Gästen, die sich öfter so einen Abend leisten wollen und können, ist hier begrenzt.
Ihre beiden Partner kommen aus der Sternegas-tronomie. Braucht es diesen Hintergrund für so ein eher hochpreisiges Angebot?
Unser Ziel war nie, einen Stern zu erkochen, aber mit Blick aufs Marketing müssen wir feststellen, dass die Leute uns mit solch einer Auszeichnung besser einordnen könnten. Es braucht eine gewisse Reputation für die Dauerhaftigkeit eines solchen Angebots.
Mit oder ohne fixe Location, Sie wollen vieles ausprobieren. Wie stellen Sie sicher, dass Ihnen die Gäste folgen?
Marketing wird da tatsächlich langsam ein Thema. Wir wollen, dass unsere Grundsäulen – saisonal, regional, reduziert – klar sind und dass bekannt ist, dass wir gerne mal etwas ausprobieren. Da müssen wir die Leute noch hinbringen, dass sie das akzeptieren, dass sie sich darauf freuen und es deshalb schon mal auf sich nehmen, via Instagram unser aktuelles Angebot zu checken. Das wird jetzt unsere Aufgabe sein.
Interview: Ulrike Heitze
Bilder: Die drei Hawaras (v.l.): Nicolai Heuer, Sonja Wagner und Yannik Spielmann (Bild oben)
Gegrillte Lachsforelle aus Schiltach mit einer Sauce aus fermentiertem Spargel und Schwarzwälder XO-Sauce. (Bild Mitte)
Zucchini aus Buggingen, mit einer Reduktion aus Topaz Apfel und Ingwer aus St.Georgen und Ysopblüte. (Bild unten)
Hat auch Sie ein kreatives Gastronomiekonzept durch die Pandemie getragen oder sind Sie mit so etwas nach Corona wieder durchgestartet?
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