Das Bundesverwaltungsgericht hat in den vergangenen Jahren wichtige Entscheidungen rund um die Industrie- und Handelskammern getroffen. Eine davon hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, die Strukturen des Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V. (DIHK) neu zu ordnen. Was im neuen IHK-Gesetz steht und was die IHKs und ihre Mitgliedsunternehmen davon haben.
Um die Bedeutung und die Tragweite des neuen IHK-Gesetzes zu verstehen, hilft der Blick zurück auf einen Rechtsstreit, der seinen Anfang im Jahr 2007 nahm, 2016 erstmalig das Bundesverwaltungsgericht beschäftigte und dort am 14. Oktober 2020 in ein abschließendes Urteil mündete (Az. 8 C 23.19).
In diesem Rechtsstreit ging es um die Frage, in welchem Umfang sich der DIHK als Dachverband – dessen Kompetenzen nur so weit reichen können, wie die seiner 79 regionalen Mitgliedskammern – zu wirtschaftsrelevanten Fragen äußern darf. Das Bundesverwaltungsgericht beantwortete die Frage ausgesprochen restriktiv und bewertete eine Vielzahl von Äußerungen des DIHK, etwa zu Themen wie der Bedeutung einer Bundestagswahl, dem Brexit oder dem Klimaschutz als unzulässige, allgemeinpolitische Stellungnahmen ohne hinreichenden Wirtschaftsbezug. Auf die Klage eines Münsteraner Mitgliedsunternehmens wurde dessen IHK Nord Westfalen deshalb zum Austritt aus dem DIHK verurteilt – wegen „fortgesetzter Kompetenzüberschreitungen und „fehlender Einsicht“ des Dachverbandes.
Die möglichen Folgen dieses Urteils waren offensichtlich: Da weitere Gerichtsverfahren zu demselben Thema anhängig waren und damit Zwangsaustritte anderer IHKs aus dem DIHK im Raum standen, bestand die Gefahr, dass der DIHK seine Aufgaben als Dachverband nicht mehr würde erfüllen können, insbesondere als einheitlicher Ansprechpartner und zugleich Sprachrohr für die gesamte gewerbliche Wirtschaft auf Bundesebene zu agieren.
Um eben das zu verhindern, reagierte der Gesetzgeber entschieden und in kürzester Zeit mit einer substanziellen Änderung des IHK-Gesetzes: Am 10. Juni 2021 beschloss der Bundestag über den Gesetzesentwurf, der Bundesrat befasste sich abschließend am 25. Juni 2021.
Thomas Conrady
Geschäftsführender Gesellschafter der CONRADYGRUPPE und Präsident der IHK Hochrhein-Bodensee
„Die gesellschaftliche Verantwortung, die unserer Wirtschaft für die Gestaltung der Zukunft zukommt, ist enorm. Wer sonst sollte die technologischen, aber auch die ökonomischen Antworten auf die Herausforderungen geben, vor die uns der Klimawandel stellt? Dass unsere Selbstverwaltung hier sprachfähig sein muss, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.“
„Der DIHK“ wird zu „die DIHK“
Kern des geänderten IHK-Gesetzes ist ein Rechtsformwechsel des DIHK von einem eingetragenen Verein in eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit einer gesetzlichen Mitgliedschaft aller 79 Industrie- und Handelskammern: Der DIHK e.V. wird zur Deutschen Industrie- und Handelskammer, zur „IHK der IHKs“. Im Verhältnis zwischen den regionalen Kammern und ihrem Dachverband ändert sich nichts Wesentliches. Der Aufgabenkreis auf regionaler Ebene wird durch die neue Bundeskammer nicht beschränkt, und auch der Aufgabenkreis der Bundeskammer ist gesetzlich klar definiert, wobei neue Aufgaben nur durch den Bund zugewiesen werden können. Der Rechtsformwechsel erfolgt am 1. Januar 2023, bis dahin nimmt der DIHK e.V. noch übergangsweise die Aufgaben als Dachverband wahr.
Die zukünftige Organisation des DIHK entspricht dabei in weiten Teilen jener einer Industrie- und Handelskammer. Das oberste Organ der Bundeskammer ist die Vollversammlung, die von allen Mitglieds-IHKs gebildet wird und über die wesentlichen Angelegenheiten beschließt. Die Vertretung erfolgt durch den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführer der DIHK. Details werden noch in der durch die Vollversammlung zu beschließenden Satzung geregelt. Zudem kann ein Schiedsgericht auf Bundesebene errichtet werden. Die zukünftige Körperschaft wird ihren Sitz, wie bisher auch, in Berlin haben und der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unterstellt.
Birgit Hakenjos
Geschäftsführerin der HAKOS Präzisionswerkzeuge und Präsidentin der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg
„Gerade im Arbeits- und Sozialrecht ist es wichtig, dass wir uns als IHKs gegenüber der Politik und Öffentlichkeit positionieren, wie wir Nutzen und Risiken einschätzen und wie wir uns eine faire Verteilung der Aufgaben und Lasten vorstellen. Das geänderte IHK-Gesetz gibt uns die Chance dazu.“
Alle relevanten Themen sind erlaubt
Auslöser des ursprünglichen Rechtsstreites war die Frage gewesen, zu welchen Themen der DIHK (und die IHKs) überhaupt Stellung nehmen dürfen. Diese Problematik hat der Gesetzgeber im geänderten IHK-Gesetz aufgegriffen und die Aufgaben und somit auch die Äußerungskompetenzen der IHKs konkreter definiert: Es wird klargestellt, dass die Industrie- und Handelskammern zwar nicht über ein allgemeinpolitisches Mandat verfügen, sich jedoch zu allen Themen äußern können, die für die gewerbliche Wirtschaft ihrer Region relevant sind, einschließlich der „Gesamtverantwortung“ der gewerblichen Wirtschaft, „die auch Ziele einer nachhaltigen Entwicklung enthalten kann“.
Zu den Aufgaben der DIHK gehört die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der den IHKs zugehörigen Gewerbetreibenden in der Bundesrepublik Deutschland auf regionaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene.
Als Beispiele nennt die Gesetzesbegründung jetzt auch Themen wie Grenzschließungen, da sie Auswirkungen auf Lieferketten und die Mobilität von Fachkräften haben können, Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility, aber auch die Ganztagsbetreuung in Kitas und Schulen als Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Fachkräftesicherung.
Auch wenn die IHKs bei arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Themen im grundrechtlich geschützten Aufgabenbereich von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden keine Stellung beziehen dürfen, können sich die Kammern nun außerhalb dieses Bereiches sehr wohl zu solchen Themen äußern, wenn sie für die gewerbliche Wirtschaft ihrer Region relevant sind. Beispiele sind da – vor dem Hintergrund der aktuellen Covid19-Pandemie – etwa die Nutzung des Homeoffice oder verpflichtende Coronatests am Arbeitsplatz.
Eberhard Liebherr
Geschäftsführer von KETTERER + LIEBHERR und Präsident der IHK Südlicher Oberrhein
„Nur eine starke und engagierte Interessenvertretung auf allen Ebenen ist ihr Geld wert und rechtfertigt die gesetzliche Mitgliedschaft aller Gewerbetreibenden in der IHK. Das geänderte IHK-Gesetz gibt uns dafür einen zeitgemäßen Rahmen. Das Leitbild von den ‚ehrbaren Kaufleuten‘ ist aktueller denn je.“
Raum für abweichende Positionen
Durch den Rechtsformwandel des DIHK werden einzelne Klagen auf Austritt einer Industrie- und Handelskammer aus der DIHK unmöglich sein. Ein Verlust an Rechtsschutz für die Mitgliedsunternehmen wird dadurch kompensiert, dass bei einer Überschreitung der Äußerungskompetenzen nun ein gesetzlicher Unterlassungsanspruch gegen die DIHK besteht, der – nach einem vorgeschalteten Beschwerdeverfahren – vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht werden kann. Zudem schreibt das Gesetz eine Verpflichtung für die IHKs fest, einen effektiven Minderheitenschutz zu gewährleisten: Abweichende Positionen müssen in der Kommunikation berücksichtigt und öffentlich zugänglich gemacht werden.
Unterm Strich führt das neue IHK-Gesetz so zu einer Vielzahl von Verbesserungen: Die Kompetenzen von IHKs und DIHK sind genauer definiert worden, die Sprachfähigkeit der Organisation und die Rechtssicherheit profitieren gleichermaßen. Sollte es zu Kompetenzüberschreitungen kommen, gibt es nun einen Unterlassungsanspruch von IHKs und Mitgliedsunternehmen gegen den/die DIHK, der gerichtlich geltend gemacht werden kann. Vor allem aber wird gewährleistet, dass der DIHK seine Aufgaben als Dachverband einheitlich und effektiv wahrnehmen kann.
Text: Michael Schmitt
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