Das Bundeskabinett hat eine Bagatellgrenze gutgeheißen, die vom Parlament mit dem sogenannten Jahressteuergesetz 2019 beschlossen werden soll: Einkaufstouristen sollen danach ab 2020 die Mehrwertsteuer für ihre Einkäufe erst dann erstattet bekommen, wenn der einzelne Einkaufswert über 50 Euro liegt. Das wird vor allem Schweizer betreffen, die in Deutschland einkaufen.
Zuvor war die Einführung der europarechtlich maximal zulässigen Wertgrenze von 175 Euro gefordert worden. „Wir sind erleichtert, dass der für unsere Region hochriskante Vorstoß des Rechnungsprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages abgewendet werden konnte. Eine Wertgrenze in Höhe von 50 Euro ist dagegen ein akzeptabler Kompromiss, der vielen der unterschiedlichen Interessen gerecht wird“, sagt Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee. Für 1,5 Milliarden Euro kaufen die Schweizer jedes Jahr in der Grenzregion ein. „Das ist keine Kleinigkeit, sondern trägt substanziell dazu bei, dass es unserer Region auch nach herben Verlusten, zum Beispiel in der Textil- und Papierproduktion, gut geht.“
Die Berliner Politik zu überzeugen, dass bei einer Wertgrenze von 175 Euro die negativen Konsequenzen für den deutschen Handel, insbesondere für kleine Einzelhändler und den ländlichen Raum entlang der Schweizer Grenze, aber auch für die vitalen Innenstädte der Mittel- und Oberzentren, drastisch gewesen wären, war ein Kraftakt. Das sei nur gelungen, so Claudius Marx, „weil alle, die für die Wirtschaft unserer Region Verantwortung tragen, bei diesem kontroversen und emotionalen Thema mit einer Stimme gesprochen haben – die Industrie- und Handelskammern der Region, die Handwerkskammern, der Handelsverband, die Landkreise, die Stadtoberhäupter, Bundes-, Landes – und Kommunalpolitiker.“
Doch auch mit einer Bagatellgrenze von 50 Euro drohen für die regionale Wirtschaft negative Effekte. „Wir gehen davon aus, dass um etwa 400 Millionen Euro pro Jahr gekämpft werden muss“, befürchtet Marx. In dieser Dimension bewegt sich das Volumen an Einkäufen unter 50 Euro, die nun künftig 7 oder 19 Prozent teurer werden. Ob es dem Handel gelingt, diese Einkäufe über die Bagatellgrenze von 50 Euro zu heben, wird sich zeigen. Geht man davon aus, dass die Kunden aus der Schweiz ihr Einkaufsverhalten jedenfalls im Bereich über 40 Euro an die neuen Bedingungen anpassen, kann zumindest ein Teil der Umsatzrückgänge damit kompensiert werden.
So funktioniert die App
Über die App kann man sich direkt auf dem Bürger- und Geschäftskundenportal (BuG) der Zollverwaltung registrieren. Bei einem Einkauf zeigt der Nutzer dann seine „elektronische Kundenkarte“ auf dem Smartphone vor, die von dem Barcode-Scanner des Händlers eingelesen wird. Diese Kundenkarte enthält eine Kundennummer zur Identifizierung des Nutzers. Nach dem Einkauf werden die für die Zollabwicklung relevanten Daten an die Zollverwaltung und auf das Smartphone übermittelt, und der Kunde aus der Schweiz kann sofort oder vor Grenzübertritt die Ausfuhr ankündigen. Vor dem ersten Einkauf muss der Kunde sich beim Zoll verifizieren lassen und dazu einmal persönlich am Schalter erscheinen. Eine erneute Verifizierung ist dann erst wieder nach zwei Jahren notwendig. Das Abstempeln von Ausfuhrscheinen am Zoll entfällt komplett, da der „Stempel“ elektronisch erzeugt wird.
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Die einzelnen Branchen werden von der Bagatellgrenze unterschiedlich betroffen sein – für einen Blumenladen oder ein kleines Schreibwarengeschäft stellt sich die Situation weitaus schwieriger dar als etwa im Textil- oder Sportsegment. Erfahrungen anderer Länder zeigen, wie negativ sich eine Wertgrenze auf die grenznahe Wirtschaft auswirken kann. Spanien hat deswegen vor Kurzem die dort geltende Wertgrenze ersatzlos aufgehoben. Frankreich plant zurzeit, die zuvor praktizierte Höchstgrenze von 175 Euro auf 100 Euro zu reduzieren. In beiden Fällen war Wirtschaftsförderung das erklärte Motiv.
Warum kommt dennoch eine Wertgrenze in Deutschland? Neben Steuereinnahmen hofft der Bund, dass mit einem sinkenden Einkaufstourismus aus der Schweiz die Belastung des Zolls vor Ort, der aktuell 15 Millionen Ausfuhrscheine abstempelt, abnimmt. Denn mit einem veränderten Einkaufsverhalten der Schweizer wird voraussichtlich nicht nur ein Rückgang der Kundenfrequenz, sondern auch der Bescheinigungsverfahren einhergehen. Die Schätzungen liegen bei 25 Prozent. Für eine effektive, vollständige Entlastung des Zolls kann allerdings nur ein digitalisiertes Verfahren sorgen. Doch die Entwicklung dieser App, die bereits weit fortgeschritten war, liegt seit mehr als einem Jahr auf Eis, weil die dafür notwendigen und vorgesehenen Haushaltsmittel blockiert werden.
„Die Freigabe der Haushaltsmittel und die Einführung der App ist deshalb unser nächstes Etappenziel“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Marx. Denn die nun vorgeschlagene Bagatellgrenze ist eine Interimslösung, die ersatzlos entfällt, wenn und sobald das Ausfuhrverfahren digital abgewickelt werden kann. Die Pläne liegen vor. „Jetzt muss endlich der Haushaltsausschuss im Bundestag die bereits eingestellten 26 Millionen Euro freigeben. Unsere Mitgliedsunternehmen in der Region stehen schon seit einem Jahr für eine erste Testphase bereit.“
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