Am 1. Juni erblickt das „Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung“, kurz: „europäisches Einheitspatent“ das Licht der Welt. Zudem tritt das „Einheitliche Patentgericht“ seinen Dienst an. Beides soll einen einheitlichen Schutz in der EU schaffen und Patentstreitigkeiten billiger, einfacher und kalkulierbarer machen. Was hinter dem neuen System steckt, erklärt Patentanwältin Stephanie Modrow, die bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg kürzlich ein Seminar dazu gegeben hat.
Frau Modrow, demnächst startet das EU-EP, das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung. Was ändert sich dann?
Stephanie Modrow: Ab dem 1. Juni erteilte europäische Patente kann man als sogenanntes Einheitspatent validieren, das heißt, man bekommt ein Patent mit einheitlicher Wirkung für alle teilnehmenden EU-Staaten.
Stephanie Modrow
… ist Patentanwältin und promovierte Physikerin. Sie arbeitet für die Sozietät Westphal, Mussgnug & Partner, Patentanwälte mbB, einem Zusammenschluss von Patentanwälten mit Standorten in München, Villingen-Schwenningen und Linz (Österreich) mit Schwerpunkt auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes (Patente, Marken, Muster). Patentrechtlich begleitet sie Anmelde- und Erteilungsverfahren sowie Verletzungs- und Rechtsbestandsverfahren, unter anderem mit dem Schwerpunkt Chirurgietechnik. Sie berät von Einzelpersonen über KMU bis zu großen Unternehmen im Hinblick auf die Möglichkeiten, wie sie ihre Erfindungen am besten schützen können.
Wo liegt der Unterschied zum klassischen europäischen Patent?
Beim EU-EP ist nicht nur das Anmelde- und Prüfungsverfahren einheitlich, sondern eben auch die Schutzwirkung und die Verwaltung des erteilten Patents. Dazu muss man wissen, was das europäische Patent an sich ist, das vor fast 50 Jahren eingeführt wurde. Ziel war damals, die Patente, die in jedem einzelnen Land angemeldet und geprüft wurden, einem einfacheren Verfahren zugänglich zu machen und mit einem Anmelde- und einem Erteilungsverfahren vor einem Amt, dem europäischen Patentamt, zu bündeln. Aber: Nach Erteilung des Patents zerfällt es immer noch in ein Bündel von einzelnen nationalen Patenten in Europa. Deshalb besteht die Idee, ein einziges Schutzrecht für die gesamte EU zu schaffen, also ein Einheitspatent, auch schon fast 50 Jahre.
Eine lange Zeit. Warum hat das jetzt so lange gedauert?
Versuche sind immer wieder gescheitert. Man hat sich zum Beispiel lange nicht zur Sprache einigen können. An dem jetzt neu geregelten System nehmen auch nicht alle EU-Staaten teil, sondern nur 17 der 27 Mitglieder. Für die wird das Einheitspatent auch erstmal nur gelten. Spanien und Kroatien haben von vornherein gesagt, dass sie nicht teilnehmen. Es ist sehr schwer abzuschätzen, ob weitere Staaten noch folgen oder nicht.
Wer wird vom Einheitspatent profitieren?
Insgesamt hat das Einheitspatent den Vorteil, dass dieses Schutzrecht ein größeres territoriales Gebiet abdeckt, eben das der 17 Staaten, die das Übereinkommen ratifiziert haben. Das bietet Kosten- und Verwaltungsvorteile. Es ist dann für Unternehmen von Vorteil, wenn sie ein Interesse haben an einem Schutz in möglichst vielen EU-Ländern. Die Frage ist aber, ob man so ein großes Gebiet benötigt. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass bei vielen europäischen Patenten ohnehin eine Auswahl getroffen wurde auf eine geringere Zahl von Ländern. Das muss jedes Unternehmen dann in Abhängigkeit von seinen Produkten abwägen, was hilfreicher und günstiger ist.
Die Teilnehmer
17 Länder starten im Juni mit dem Europäischen Einheitspatent:
Belgien – Bulgarien – Dänemark – Deutschland – Estland – Finnland – Frankreich – Italien – Lettland – Litauen – Luxemburg – Malta – Niederlande – Österreich – Portugal – Schweden – Slowenien
Was müssen Inhaber oder Anmelder von Patenten beim EU-EP noch bedenken?
Ein Knackpunkt ist: Das Einheitspatent kann als Ganzes mit einem einzigen Verfahren für nichtig erklärt werden. Das kann ein Nachteil sein, denn gegebenenfalls ist man auf einen Schlag sein gesamtes Patent los. Wer beim klassischen Verfahren bleibt, hat in jedem Land eine eigene Chance.
Neu ab Juni ist auch das Einheitliche Patentgericht. Was hat es damit auf sich?
Das EPG ist ein neu geschaffenes Gericht der EU für Fragen der Rechtsbeständigkeit und der Patentverletzung. Ab Juni können erste Verfahren dann dort eingereicht werden. Hauptsitze sind München und Paris. Es wird Lokalkammern in allen teilnehmenden Ländern geben. Deutschland hat vier Lokalkammern: in München, Düsseldorf, Mannheim und Hamburg. Welches Gericht zuständig ist, hängt ab vom Sitz des Beklagten oder des Klägers. Unternehmen aus dem Südwesten sind damit nicht typischerweise an Mannheim gebunden.
Wie tritt das neue Patentgericht in Aktion?
Aktuell müssen Patente im Fall einer Verletzung national durchgesetzt werden. Ab Juni kann man ein solches Verfahren auch zentral, vor dem einheitlichen Patentgericht anstrengen. Es wird auch zuständig sein für bereits erteilte Schutzrechte.
Wer diese zusätzliche Zuständigkeit in Bezug auf seine bereits bestehenden Patente nicht möchte, kann einen so genannten Opt-out-Antrag stellen – und diesen im Zweifel später auch wieder per „opt-in“ zurücknehmen. Dem Patentinhaber bleibt so unterm Strich die Wahl des Gerichtsstandes – national oder zentral – während er seinen Gegner durch das Opt-out erstmal auf „national“ beschränkt hat. Es wird spannend zu sehen, wie viele von diesen Anträgen gestellt werden.
Können Sie eine Empfehlung aussprechen?
Das ist wirklich ganz schwierig, es ist immer eine Einzelfallentscheidung, in die viele Faktoren einfließen.
Auf die Tube drücken oder abwarten – Was lässt sich Patenteinreichern aktuell raten?
Wer für sein Patent in Kürze die Erteilung erwartet, aber das Einheitspatent haben möchte, sollte einen Antrag auf Verzögerung der Erteilung beim Europäischen Patentamt stellen. Denn das EU-EP kann tatsächlich erst ab Juni beantragt werden. Alles, was vorher erteilt wird, läuft nach dem bisherigen System.
Ab Juni können Patentinteressierte dann wählen und müssen abwägen: Möchte ich das Einheitspatent haben und nutze die Kostenvorteile, weil ich viele Länder erreiche? Oder bleibe ich beim klassischen System? Es bleibt im Erteilungsverfahren komplett erhalten und man validiert dann weiter flexibel in den einzelnen Nationalstaaten. Beides bleibt auch nach dem 1. Juni möglich. Wie das System akzeptiert wird, wird man wahrscheinlich erst Ende des Jahres beurteilen können.
Das Gespräch führte Benedikt Brüne.
Bild: Adobe Stock/svetazi
Hier gibt es Beratung und Expertise
IHK Hochrhein-Bodensee:
Seminar „Schutzrechtsstrategien für KMU“, 23. Mai in Konstanz und 24. Mai in Schopfheim
Seminar „EU-Patent und einheitliches Patentgericht“, 5. Juli in Konstanz
Seminar „Patent-Monitoring und Wettbewerberüberwachung“, 5. Juli in Konstanz. Infos und Anmeldung unter www.ihk.de/konstanz über die Veranstaltungssuche
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg:
Sprechstunden „Erstberatung für Patente und Erfindungen am 9. Mai, 13. Juni, 11. Juli, 8. August, 12. September und 10. Oktober. Infos und Anmeldung unter www.ihk.de/sbh/veranstaltungen-5134384
IHK Südlicher Oberrhein:
Telefonische Erfinderberatung. Termine in Freiburg: 4. Mai, 1. Juni, 6. Juli, 3. August, 7. September. Termine in Lahr: 25. Mai, 20. Juli, 21. September. Infos und Anmeldung unter www.ihk.de/freiburg über die Veranstaltungssuche, Stichwort „Patent“