Bei der Kooperation zwischen Start-ups und Mittelständlern ist noch viel Luft nach oben –obwohl beide Seiten davon profitieren können. Der Freiburger Wirtschaftsexperte Stephan Lengsfeld über verpasste Chancen, Start-up-Strategien und das Risiko opportunistischen Suchverhaltens
Was brauchen Gründer? Geld und Kontakte. Und was haben sie? Ideen. Beste Voraussetzungen eigentlich, um mit mittelständischen Unternehmern so richtig durchzustarten. In der Praxis aber funktioniert das mit dem Verkuppeln längst (noch) nicht so, wie es sein könnte, erläutert Professor Stephan Lengsfeld von der Uni Freiburg im Interview mit unserer Redakteurin Susanne Ehmann.
Herr Lengsfeld, Sie haben zu Mittelstand-Start-up-Kooperationen geforscht. Warum?
Stephan Lengsfeld: In Projekten und Gesprächen ist aufgefallen, dass es wenige Mittelständler gibt, die mit Start-ups kooperieren. Es gibt viele, die kooperieren wollen, es aber dann nicht tun. Teils aus fehlender Offenheit, teils aus einer fehlenden Vorstellung, was alles möglich ist und wie man es gestalten kann. Wir wollten etwas über die Motive und Hemmnisse erfahren und darüber, wo es Lösungen und Impulse geben kann.
Und was sind die Motive und Ziele dieser Partnerschaften?
Die Motive aus Sicht von Start-ups sind zum Beispiel: Sie wollen Ressourcen. Die sind immer knapp bei einem Start-up. Und sehr gerne auch die Marktzugänge und Vertriebsstrukturen. Gleichzeitig wollen sie aber möglichst viel Freiheit, um sich weiterzuentwickeln. Das führt zu einem interessanten Spannungsfeld.
Aus Sicht der Mittelständler ist es das Interesse an Technologien und innovativen Arbeitsprozessen. Man will flexibler, agiler werden und Kulturveränderungen mitgestalten. Dazu kommt die Frage nach neuen Märkten, neuen Kundengruppen und manchmal auch nach neuen Geschäftsmodellen. Von daher gesehen haben beide Seiten grundsätzliches Interesse. Es gibt auch den Fall, dass mittelständische Unternehmen Start-ups als reines Investment sehen. Das ist aber eher die Ausnahme.
Wie unterscheiden sich die Unternehmen, die bereits mit Start-ups zusammenarbeiten, von denen, die es nicht tun?
Im Rahmen einer Interview-Studie haben wir elf technologie-orientierte Mittelständler zu Start-up-Strategien befragt. Da gibt es einige, die sowohl eine Innovationsstrategie als auch eine eigene Start-up-Strategie haben, die explizit diskutiert und verschriftlicht wurde, die auch in den Prozessen verankert ist und wo es Personen gibt, die verantwortlich sind. Wer schon Erfahrung und Know-how hat, sucht proaktiv nach Start-ups, hat schon verschiedene Kooperationspartner und sucht sich die Informationen an verschiedenen Quellen zusammen, also auch über Verbände wie die IHK oder Acceleratoren. Diese Unternehmen wissen ganz genau, wo weltweit Cluster sind, wo vielleicht mit der Technologie oder technologienah gearbeitet wird. Diese Unternehmen sind offen und immer auf der Suche, sprechen mit Business-Angels und Venture-Capital-Gesellschaften. Sie nutzen systematisch ein breites Netzwerk und mehrere Informationskanäle.
Und die anderen?
Die haben dagegen eher ein opportunistisches Suchverhalten: Wenn sich eine Tür auftut, dann gucken wir uns das mal an – wenn nicht, forcieren wir es auch nicht. Einige gucken auch nur regional. Viele haben keine Strategie, haben das nicht institutionell verankert. Und dann gibt es natürlich auch viele Zwischenformen.
Einige sind also sehr sensibilisiert und andere noch gar nicht. Sie sagen, unser Geschäft läuft und können damit auch recht haben. Das hängt sehr vom tatsächlichen Geschäftsfeld ab. Aber es kann auch sein, dass dadurch Chancen entweder spät oder gar nicht gesehen werden, geschweige denn, dass man sie dann rechtzeitig gegriffen kriegt.
Halten Sie Kooperationen zwischen Start-ups und Mittelständlern für wichtig?
Es lohnt sich auf jeden Fall, ein bisschen das Ohr an der Schiene zu haben. Selbst wenn sich jemand noch sehr sicher fühlt. Neue Technologien und Innovationen können bestehende Geschäftsmodelle und Märkte ablösen. Nehmen wir Digitalisierung und KI: Es werden nicht nur einfach Prozesse digitalisiert, die vorher schon da waren, sondern es werden völlig neue Prozesse, Arbeitsweisen und Geschäftsmodelle geschaffen, und viele Betriebe müssen andere dafür abgeben oder verändern. Wer so etwas gar nicht mitgekriegt hat, kann nichts tun. Dann kommt es und man ist weg.
Und selbst wer es kommen sieht, hat vielleicht das Problem, das Neue zu integrieren und die eigenen Prozesse entsprechend zu verändern, auch mit den Mitarbeitern. Es kann Widerstände geben, die dazu führen, dass es zu lange dauert und man dann scheitert. Man lebt so lange gut, bis plötzlich das, was man nicht gesehen hat, dasteht. Deswegen ist es enorm wichtig, Entwicklungen aktiv mitzubekommen und dranzubleiben.
Für die Unternehmen, die gerne künftig mit Start-ups kooperieren möchten – was können sie tun?
Ein erster Schritt ist die Sensibilisierung dafür, welche Vorteile Kooperationen haben. Dazu die Förderung von Offenheit: Also nicht nur Chancen sehen, sondern auch ergreifen und eigene Ressourcen mit dem Start-up teilen. Kooperation heißt immer Geben und Nehmen. Wichtig ist auch, den eigenen Bedarf gut zu identifizieren, die eigenen Erwartungen zu kennen.
Wir haben Mittelständler, Start-ups und Intermediäre gefragt, welche Anbahnungsformate für Startup-Mittelstand-Kooperationen als besonders zielführend angesehen werden. Messen und Workshops zielen auf Sensibilisierung, Challenges oder Hackathons gehen schon einen Schritt weiter und es gibt Mentoring als begleitenden Prozess. Manche Acceleratoren haben inzwischen über Wochen und Monate hinweg einen Matchmaking-Prozess, wo sie sowohl Mittelständler als auch Start-ups begleiten. Dabei können Erwartungshaltungen geklärt, wechselseitig abgestimmt und Probleme frühzeitig angegangen werden.
Damit solche Kooperationen auch funktionieren?
Es ist immer die Frage: Passt es zusammen? Entstehen untereinander Verbindlichkeit und eine Vertrauensbasis, so dass beidseitig auch wirklich miteinander gearbeitet wird? Und keine Enttäuschung hinterher dahingehend entsteht, dass es entweder nicht funktioniert oder die andere Seite nicht das beiträgt, was man selbst sich erhofft hat – Technologie, Ressourcen, Manpower oder die Zeitachse betreffend. Unternehmen und Start-ups sind teilweise auf sehr unterschiedlichen Zeitachsen unterwegs. Ein Start-up ist sehr agil, es sind nur wenige Leute an Entscheidungsprozessen beteiligt. Ein gewachsenes Unternehmen hat eine Hierarchie, die mehr oder weniger agil arbeitet. Das zu erkennen und zusammen zu kriegen, sodass es eine Passung hat, ist für beide Seiten wichtig.
Stephan Lengsfeld
Stephan Lengsfeld ist Leiter des Instituts für Finanzwesen, Controlling und Entrepreneurship der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Kontakt:
0761 203-2377
lengsfeld@vwl.uni-freiburg.de