Um Bußgelder zu vermeiden, sollen Autobauer von der EU nun doch drei Jahre mehr Zeit bekommen, um die nochmals verschärften CO2-Grenzwerte einzuhalten. Sogar das Verbrenner-Aus steht auf der Kippe. Die regionale Automobilindustrie schwankt zwischen Erleichterung und Skepsis.

Europas Automobilindustrie steht unter großem Druck: Die auf 2035 festgesetzte Deadline für die letzten Zulassungen von Autos mit Verbrennermotor (Verbrenner-Aus) rückt näher, doch der Absatz (europäischer) E-Autos entwickelt sich längst nicht so wie prognostiziert. Jetzt drohen den Herstellern auch noch Strafen, weil sie die von der EU festgesetzten Flottengrenzwerte nicht einhalten können, die den durchschnittlichen Ausstoß an CO2 ihrer produzierten Fahrzeuge umfasst.
Die EU lenkt nun ein, allen voran Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Mit der Verlängerung der Frist für die Einhaltung der Grenzwerte um drei Jahre wolle man den Autobauern Luft verschaffen. Und noch mehr: Das tatsächliche Verbrenner-Aus ab 2035 soll ebenfalls überprüft werden. Zu groß sei die Gefahr, eine der größten Branchen Europas ambitionierten Klimazielen zu opfern.
Konkrete Vorschläge fehlen noch
Ganz sicher ist sich Bernd Spreitzer, Geschäftsführer von KSG Spreitzer in Gosheim, noch nicht, ob von der Leyens Vorschläge auch tatsächlich umgesetzt werden. Denn ob und wie die mittelständische Zulieferindustrie in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg von der Fristverlängerung profitiert, müsse sich erst noch zeigen. Noch fehle es an konkreten Gesetzesvorschlägen, sagen die Automobilzulieferer, die im Arbeitskreis Automotive der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg regulatorische Rahmenbedingungen eng im Blick haben. Meinungen gibt es natürlich trotzdem schon: „Der Vorstoß von der Leyens zur Fristverlängerung bei EU-Flottengrenzwerten war längst überfällig“, sagt Geschäftsführer Horst-Rainer Petermann von Güntert Präzisionstechnik in Villingen-Schwenningen. Durch das massive Eingreifen der Politik und die Vorgaben Richtung Elektromobilität sei es zu einer gravierenden Schieflage der gesamten Automobilbranche gekommen. „Die Technologieoffenheit der Antriebstechnik ist wichtig. Am Ende entscheidet der Verbraucher – nicht die Politik.“
Und wofür sich der Verbraucher entscheidet, zeigen die Statistiken deutlich: Zum 1. Oktober 2024 waren laut Kraftfahrt-Bundesamt in Baden-Württemberg rund sieben Millionen Autos zugelassen – davon lediglich sechs Prozent (420 000) mit Elektroantrieb. Im Februar 2025 hatten von insgesamt 203 000 neu zugelassenen Fahrzeugen (minus 6 Prozent) laut ADAC knapp 36 000 einen elektrischen Antrieb. Das sind zwar 30 Prozent mehr als im Vorjahresmonat aber immer noch ein Drittel weniger als zu Zeiten der Ende 2023 plötzlich eingestellten Förderprämie. Matthias Möhrle, Geschäftsführer beim Zulieferer Helmut Hechinger in Villingen-Schwenningen, wünscht sich daher, gezielte Förderprogramme zur Stärkung der Nachfrage und des Konsums neu aufzulegen. „Für Zulieferer, die sowohl in der klassischen Verbrennungstechnologie verwurzelt sind als auch bereits erhebliche Investitionen in die Elektromobilität getätigt haben, sind stabile und verlässliche politische Rahmenbedingungen essenziell.“ Dabei gehe es um Förderprogramme genauso wie um eine flexiblere Gestaltung regulatorischer Vorgaben, etwa durch angepasste Übergangsfristen bei den EU-Flottengrenzwerten.
Deutlicher Appell an die Politik
Auch wenn die Autobauer nun vermutlich mehr Zeit haben werden, die EU-Klimaziele umzusetzen, hat sich an der Grundidee für nachhaltige Mobilität nichts geändert. Die Unternehmen sind bereit, Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität zu ergreifen. Dafür brauchen sie aber auch entsprechende Technologien und Kraftstoffe zu wettbewerbsfähigen Kosten und in ausreichender Menge. Das betont auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) in einem Positionspapier. Eine weitere klare Forderung: Technologieoffenheit – sowohl von der EU als auch der Bundesregierung. Das fordert auch Arnd Franz, der CEO von Mahle mit großem Standort in Rottweil: „Wir brauchen Technologievielfalt, die batterieelektrische wie auch Hybrid-Fahrzeuge mit erneuerbaren Kraftstoffen einschließt, wenn wir CO2-Emissionen schnell reduzieren und Arbeitsplätze in Europa sichern wollen.“ Die angekündigte beschleunigte Überprüfung der CO2-Flottenziele für 2035 sei ein positives Signal und wichtig für die Entscheidungen der Unternehmen zu ihrer künftigen technologischen Ausrichtung. Sein Appell: „Die EU-Kommission muss konkret darlegen, wie CO2-Vorgaben technologieoffen ausgestaltet werden können.“
Auch Schaeffler – mit großem Werk in Lahr – begrüßt die Initiative der EU-Kommission, bleibt aber ebenfalls verhalten positiv. Denn die entscheidende Frage, wie die Technologieneutralität in der Praxis umgesetzt wird, bleibe. „Um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie aufrechtzuerhalten und Arbeitsplätze zu erhalten, ist es erforderlich, dass die Überprüfung der Verordnungen auch in eine Überarbeitung übergeht“, betont Konzernsprecher Steffen Nieländer
Eines ist klar: Die Zeit drängt. Die Automobilindustrie, in der allein in Baden-Württemberg rund elf Millionen Menschen beschäftigt sind, steckt tief in der Krise. Für viele Unternehmen geht es ums Überleben. Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut schlägt Alarm: „Wir hören beinahe täglich von Unternehmen im Automobilbereich, die den Abbau von Arbeitsplätzen oder die Verlagerung von Produktions-Standorten außerhalb von Deutschland und auch von Baden-Württemberg ankündigen. Dieser Trend muss gestoppt und umgekehrt werden.“ Sie fordert seit Langem, dass die EU den Herstellern entgegenkommt, um drohende Strafzahlungen für das Verfehlen der CO2-Flottengrenzwerte zu vermeiden.
Trotz aller politischer Entwicklungen sieht auch Bernd Spreitzer noch keinen Grund zur Entspannung für die Zuliefererindustrie in der Region. „Diese vermeintlich guten Nachrichten für Hersteller sollten kein Grund sein, sich zurückzulehnen“, warnt Bernd Spreitzer. Im Gegenteil: Der Mittelstand müsse sich jetzt noch mehr denn je darauf fokussieren, innovative Teile und Komponenten zu wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten.
Daniela Santo
AuToS-Projekt
Zur Unterstützung der mittelständischen Zuliefererindustrie haben die im IHK-Arbeitskreis Automotive beteiligten Zulieferer das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte AuToS-Projekt auf den Weg gebracht. Das Netzwerk der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg bietet zusammen mit weiteren Partnern verschiedene kostenfreie Formate, Dienstleistungen und Kooperationsprojekte an. Mehr Infos gibt es hier.